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Aus: »Saigon ist frei«, Beilage der jW vom 23.04.2025
US-Bürgerrechtsbewegung

Solidarität der Unterdrückten

Schwarze Bürgerrechtsbewegung in USA protestierte gegen Wehrdienst und US-Imperialismus – mit Wirkung
Von Jürgen Heiser
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Marsch in Washington: Kriegsgegner im eigenen Land wurden für die US-Regierung zum Problem (30.4.1970)

Der »Amerikanische Krieg«, so nennt man den Vietnamkrieg in dem Land, das einen der brutalsten imperialistischen Feldzüge seit dem Zweiten Weltkrieg erleiden musste. Der Begriff »Vietnamsyndrom« steht für das Debakel dieses Kolonialkriegs, an dessen Ende die Militärmacht USA scheiterte – trotz bedingungsloser Unterstützung von ­NATO-Ländern wie der BRD. Der Genozid am vietnamesischen Volk rief weltweit Widerstand hervor. Die Bilder des unrühmlichen Endes dieses Interventionskrieges, als das US-Militär samt seiner Heerscharen ziviler »Berater« am 29. April 1975 fluchtartig seine Bastion Saigon (heute Ho-Chi-Minh-Stadt) verlassen musste, sind deshalb auch 50 Jahre später noch im kollektiven Bewusstsein präsent.

Die Kapitulation des Saigoner Marionettenregimes am 30. April 1975 markierte den Sieg der Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (NFB). Das Ende der US-Strategie hatte sich bereits zwei Jahre zuvor abgezeichnet, als am 27. Januar 1973 die Demokratische Republik Vietnam und die Vereinigten Staaten in Paris das »Abkommen über die Beendigung des Krieges und die Wiederherstellung des Friedens in Vietnam« unterzeichneten.

US-Professor Jerry Lembcke, Autor kritischer Bücher über die Mythen des Vietnamkrieges und selbst Veteran, verwies im US-Onlineportal Truthout am 27. Januar 2023 auf die »Dolchstoßlegende«, Kriegsgegner und Linke hätten »die US-Soldaten verraten und den Sieg verhindert«. Die USA wurden jedoch vor allem durch die heldenhafte Entschlossenheit und den Kampfgeist des vietnamesischen Volkes und seiner populären Guerilla besiegt – von der Armee eines bitterarmen Landes, das der hochtechnisierten US-Militärmacht die Stirn bot. Über zwei Millionen Vietnamesen, mehrheitlich Zivilbevölkerung, starben zwischen 1945 und 1975 in den Kriegen gegen den französischen und den US-Imperialismus. Das Programm der NFB für die nationale Befreiung von imperialistischer Vorherrschaft – Land für die Bauern und ein menschenwürdiges Leben für die arbeitende Klasse – mobilisierte die Massen, die bereit waren zum Kampf bis zum Tod.

Gegen Kriegsdienst

Erst in zweiter Linie war es die Antikriegsbewegung im Hinterland, die dem US-Imperium das Debakel bescherte. Erste Proteste gegen den Krieg kamen aus der aufkeimenden schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Malcolm X, Verfechter eines panafrikanischen Antiimperialismus, und die Mississippi Freedom Democratic Party stellten sich dem Krieg entgegen. Durch antirassistische Proteste und Hunderte Ghettoaufstände gegen Armut und Rassismus befand sich das Land in Aufruhr. Doch zunächst hatten traditionelle Organisationen wie die 1905 gegründete National Association for the Advancement of Colored People und christlich orientierte Gruppierungen den US-Krieg unterstützt. Schwarze Männer ohne Jobs erhofften sich vom Militärdienst eine berufliche Perspektive.

Die Ausweitung des Krieges führte aber in allen Strömungen des ­Civil Rights Movements zu einem Umschlagen der Meinung. Martin Luther King und das Student Nonviolent Coordinating Committee verurteilten ihn. Der prominente schwarze Boxer Muhammad Ali (eigentlich: Cassius Clay) setzte ein Zeichen, als er den Kriegsdienst verweigerte. Die 1966 gegründete Black Panther Party und weitere militante Organisationen wie die Young Lords der puertoricanischen Diaspora in den USA organisierten sich und bildeten mit jungen Wehrpflichtigen der weißen Arbeiterklasse erste Keimzellen der »Anti-draft«-Bewegung, die dann auch an den Universitäten unterstützt wurde.

Doch junge Schwarze und Latinos wurden in höherem Maße eingezogen und hatten kaum Möglichkeiten zur legalen Zurückstellung vom Kriegsdienst. Dennoch galt für sie insgeheim Muhammad Alis oft zitierte Aussage: »Ich werde nicht 10.000 Meilen von zu Hause entfernt helfen, eine andere arme Nation zu ermorden und niederzubrennen, nur um die Vorherrschaft weißer Sklavenherren über die dunkleren Völker der Welt sichern zu helfen.« Auch sein zweites bekanntes Zitat »Kein Vietcong hat mich jemals ›Nigger‹ genannt«, das er vom Studentenführer Stokely Carmichael (später: Kwame Ture) übernommen hatte, brachte zum Ausdruck, was vor allem Schwarze in der US-Armee dachten.

Für Anhänger der Black-Power-Bewegung ergab sich ihr Engagement gegen den Krieg als logischer Schritt aus ihrem Kampf gegen Rassismus und Armut. Sie spürten am eigenen Leib, wie Rüstung große Ressourcen verschlang, die ihre soziale Lage hätten verbessern können, statt den Konzernen des militärisch-industriellen Komplexes gigantische Profite zu verschaffen. Für sie war der Krieg des westlichen Imperialismus gegen kolonisierte Völker das Spiegelbild ihres Daseins in den »Inner colonies« nichtweißer Minderheiten. Malcolm X brachte es in der letzten Rede vor seiner Ermordung im Februar 1965 in Detroit auf den Punkt: Die afrikanischen Völker könnten »noch nicht sehen, dass die Vereinigten Staaten zwar nicht den afrikanischen Kontinent kolonisiert hatten, Uncle Sam aber Millionen von Schwarzen hier auf diesem Kontinent kolonisiert hatte«.

Widerstand wächst

Der Amtsantritt des Johnson-Nachfolgers Richard Nixon 1969 verschärfte die Lage durch die Ausweitung der Flächenbombardements auf Laos und Kambodscha. Als die USA und Nordvietnam dann durch die Siege der NFB kurz vor einem Friedensabkommen zu stehen schienen, befahl die Nixon-Regierung im Dezember 1972 das »Weihnachtsbombardement«, bei dem mehr tödliche Last über Nordvietnam abgeworfen wurde als im gesamten Zeitraum zwischen 1969 und 1971. Das sollte Nixons Versicherung an den verbündeten Machthaber Nguyen Van Thieu sein, Südvietnam nicht aufzugeben.

Der Versuch von Polizei und Nationalgarde, die sich ausweitenden Massenproteste gegen den Krieg brutal zu unterdrücken, scheiterte. Nixon hatte zwar 1969 angesichts der zunehmenden Antikriegsaktivitäten im ganzen Land noch getönt, dass er sich »unter keinen Umständen davon beeindrucken« lasse. Doch in seinen Memoiren gab er später zu, die Antikriegsbewegung habe ihn dazu veranlasst, Pläne für eine Verschärfung des Krieges fallenzulassen.

Aus ihren Kampferfahrungen entwickelte vor allem die schwarze Opposition das Bewusstsein, dass der Widerstand im Hinterland des Imperiums in dem Maße auch den Kampf der Befreiungsfront in Vietnam stärkt, wie er die Kriegsstrategie des Weißen Hauses und des Pentagons schwächt.

Ausschlaggebend dafür war die dritte Kraft gegen den Krieg, die Revolte der in Vietnam eingesetzten Soldaten, allen voran Schwarze, die in der Armee überproportional vertreten waren. Sie trugen den militanten Kampf in die Truppe, verteilten Untergrundzeitungen, meuterten gegen Befehle. Ganze Einheiten verweigerten den Kampf und riefen: »Das ist nicht unser Krieg.« Es kam zu Entwaffnungen oder gar Tötungen von Offizieren. Hunderttausende Veteranen schlossen sich nach der Heimkehr der Antikriegsbewegung an. Angetrieben von der Wut über die Lügen ihrer Regierung und die Greueltaten, die sie miterlebt hatten, rückten sie an die Spitze der Bewegung, oft in ihren Uniformen, auf Krücken oder in Rollstühlen.

»Krieg an der Heimatfront«

J. Edgar Hoover, Direktor der Bundes­polizei FBI, hatte schon 1967 auf den Punkt gebracht, was gegen den Widerstand zu tun sei, um nicht die Kontrolle zu verlieren: Er führe einen »Krieg an der Heimatfront«, so Hoover, der entscheidend sei für die Front in Vietnam. In der Black Panther Party sah er »die größte Bedrohung für die innere Sicherheit«, weil ihre schnell wachsenden Ortsgruppen überall im Land dem Aufbegehren der schwarzen Bevölkerung eine Orientierung gaben. Hoover wies deshalb seine Abteilungen an, »die Aktivitäten der Hass verbreitenden Organisationen und Gruppen des schwarzen Nationalismus, ihre Führer, Sprecher, Mitglieder und Unterstützer zu entlarven, zu spalten, irrezuleiten oder anderweitig zu neutralisieren«.

Das Ausmaß dieses »Krieges an der Heimatfront« zur Befriedung des Hinterlandes erklärt, warum neben Dutzenden Black Panthers auch zwei legendäre Vorkämpfer der Bewegung in dieser Zeit ermordet wurden: Malcolm X am 21. Februar 1965 und Martin Luther King nur drei Jahre später, am 4. August 1968. Beide hatten seit 1964 gegen alle Spaltungsbehauptungen neue Pfade betreten, um über politische Differenzen hinweg solidarisch zusammenzuarbeiten und Kräfte zu bündeln. Sie standen mit ihrem Leben dafür ein, die schwarze Bürgerrechtsbewegung mit der Antikriegsbewegung zu vereinen, um den »Amerikanischen Krieg« zu beenden.

Jürgen Heiser ist freier Journalist und Übersetzer und maßgeblich an der Kampagne für die Befreiung des US-Bürgerrechtlers Mumia Abu-Jamal beteiligt, dessen Kolumnen er regelmäßig in junge Welt vorstellt.

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