Gegründet 1947 Mittwoch, 30. April 2025, Nr. 100
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: 30 Jahre Verlag 8. Mai, Beilage der jW vom 09.04.2025
30 Jahre Verlag 8. Mai

»Wir leben davon, dass wir täglich 16 Seiten jW bestücken«

Garantie des Erscheinens, stille Reserve, Hausbank. Was macht die Genossenschaft so wichtig für die junge Welt? Ein Interview mit Michael Sommer
Von Nikki Uhlmann
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Bevor die jW-Genossen ihre Zeitung samt Verlag selbst in die Hand nahmen, hatte die Westberliner Mediengruppe Schmidt & Partner sie herausgegeben und sukzessive heruntergewirtschaftet. Was geschah 1995?

Der ganze Betrieb wurde ein anderer. Schmidt & Partner hatten damals lauter winzige Firmen betrieben. Man lief über den Flur und war plötzlich in einem anderen Unternehmen. Dieses Konzept trug nur so lang, bis die Erbmasse der jW, also die Abonnements und das Betriebskapital, aufgebraucht war. Es folgte der Konkurs, von dem die Belegschaft übrigens morgens aus dem Radio erfuhr. Dann war für einige Tage Ruhe, bis ein paar mutige Kollegen, vor allem Dietmar Koschmieder und Klaus Fischer, den Verlag 8. Mai gründeten und den Betrieb übernahmen. Das passierte am 12. April 1995. Die Genossenschaftsgründung erfolgte am 7. Oktober 1995. Zwischenzeitlich arbeiteten wir mehr oder weniger auf Pump. Alles war vorläufig. Einige waren arbeitslos gemeldet und trotzdem für die Zeitung tätig. Niemand wusste, ob in einer Woche oder in einem Monat Schluss sein würde. An mehr als ein halbes Jahr haben wir überhaupt nicht gedacht.

Die junge Welt behauptet sich bis heute und sie wächst. Welche Vorteile hat das Genossenschaftsmodell im Verlagswesen?

Die Genossenschaft ist Mehrheitseigentümer des Verlags. Der muss Gewinne erwirtschaften, um sich selbst zu finanzieren. Der Vorteil besteht darin, dass wir als Genossenschaft Kredite ausgeben können. Zuletzt haben wir unsere Betriebs- und Abofirma, die AVZ GmbH, mit einem Darlehen dabei unterstützt, neue Software anzuschaffen. Damit kann sie unter anderem Fördermittel einwerben. Wir sind quasi so was wie die stille Reserve. Manche sagen auch: »Die Hausbank der jungen Welt.« Zudem unterstützen wir die Rosa-Luxemburg-Konferenz finanziell. Am Ende ist es auch eine politische Frage. Die Genossinnen und Genossen sollen ja nicht nur ihr Geld hier hineinstecken, sie sind natürlich auch Multiplikatoren und helfen, wo sie können.

Wie werden die Genossen in die Zeitungsproduktion eingebunden?

Das ist eine alte Streitfrage. In die tägliche Zeitungsproduktion sind sie nicht eingebunden. Die Redaktion hat und braucht Autonomie. Das betonen wir auf jeder Vollversammlung. Dagegen gibt es immer mal wieder Einwände, seltener rigorose Forderungen, zum Beispiel unseren langjährigen, 2019 verstorbenen Autor Wiglaf Droste aus der Zeitung zu verbannen. Als Genossenschafter soll man die Zeitung ja kritisieren, aber konstruktiv und nicht vernichtend.

Im Gegenzug sacken die Genossen dann jährlich einen Teil des Gewinns ein oder was passiert damit?

Eine Rendite, sagen wir immer, gibt es nicht, aber jeden Tag eine druckfrische Zeitung. Die Genossenschaft verwaltet natürlich die Gewinne ihrer GmbHs. Da kommt aber nicht viel zusammen. Erfreulich ist, dass die junge Welt 2024 wieder ein kleines Plus verzeichnet hat.

Die Genossenschaft der Taz zählt rund 24.000 Mitglieder bei einer Auflage von 44.800 Zeitungen. Die junge Welt geben bei einer verkauftgen Auflage von täglich mehr als 21.000 Zeitungen rund 3.000 Genossen heraus. Augenscheinlich besteht kein Zusammenhang zwischen Reichweite und Genossenschaftsgröße. Wäre ein starke jW nicht auch ohne Genossenschaft denkbar?

»Wir sind 1.000«, haben wir im Juni 2009 geworben. Mittlerweile sind wir 3.000. Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, auch was die Zahl der Genossenschafter betrifft. Davon unabhängig könnte die Zeitung vielleicht überleben, aber sinnvoll ist es nicht.

Genossen, die zugleich Mitarbeiter des Verlags sind, können Beschlüsse der Genossenschaft einmalig aufheben. Kam das schon mal vor?

Ich kann mich nicht erinnern, dass das schon mal vorgekommen ist. Die Genossenschaft erfüllt ihren Zweck.

Kommen wir zu dir. Du bist Vorsitzender der Genossenschaft. Was sind deine Aufgaben?

Zuerst sind das einige Sitzungen. Wir tagen rund alle zwei Wochen, führen die Geschäfte, nehmen neue Mitglieder auf, beantworten ihre Fragen und bearbeiten Anteilserhöhungen, Erbfälle oder Kündigungen.

Hast du den Genossen schon mal eine Auskunft verweigert, weil solche Auskunft, wie es in der Satzung heißt »nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung geeignet« schien »der Genossenschaft einen Nachteil zuzufügen«?

Nein.

Du warst bereits im Vorstand, hast dich dann aber zurückgezogen. Heute bist du Vorsitzender. Warum bist du damals gegangen, warum heute wieder hier?

Gegangen bin ich wegen Überlastung. Ich hatte mit der Vorstandsarbeit und der Produktionsleitung einfach zu viele Aufgaben. Zudem gab es das Bestreben, ein weibliches Mitglied in den Vorstand aufzunehmen. Dann, 2023, stand zur Debatte, wer den Betrieb weiterführt und vor allem wie, wenn die Geschäftsführung wechselt. Wir haben das positiv genutzt, indem wir auf einer Belegschaftsversammlung ein neues Unternehmensstatut beschlossen haben. Danach sind drei Vorstandsmitglieder zurückgetreten. Bei der erforderlichen Neuwahl habe ich mich wieder zur Verfügung gestellt und bin Vorsitzender geworden. Nur sind die Aufgaben nicht weniger geworden. Letztlich findet ein Großteil der genossenschaftlichen Arbeit außerhalb der Dienstzeit statt, die Sitzungen beispielsweise nach Produktionsschluss – die Nachbereitung der Sitzungen erst recht.

Was war dein schlimmster, was dein schönster Moment in oder mit der Genossenschaft?

Mit der Genossenschaft habe ich schon einiges durchgemacht. Zu den unschönsten Momenten zählt definitiv eine Episode ab 1999. Ein Teil der Belegschaft um den damaligen Chefredakteur Holger Becker hat damals versucht, die Mehrheit im Vorstand und damit die Zeitung an sich zu reißen. Das ging so weit, dass versucht wurde, uns hier mittels bürgerlicher Gerichte auf Konkursverschleppung zu verklagen. Das war ein Flügel, den ich politisch – überspitzt gesagt – als nationalbolschewistisch beschreiben würde. Er wollte, so muss man es im nachhinein sagen, die junge Welt in den Konkurs führen oder hat den Konkurs zumindest billigend in Kauf genommen, um mit dem, was absehbar übrig geblieben wäre, ein neues Projekt zu gründen – vielleicht sogar unter demselben Namen. Dieser dunkle Moment wurde zu einem der lichtesten, als unsere Vollversammlung diesen Übernahmeversuch abschmetterte. Die Genossen sind stabil geblieben, und die Kolleginnen und Kollegen, die dieses Manöver gestartet hatten, sind gegangen.

Trotz aller Widrigkeiten kann die Genossenschaft ihr dreißigstes Jubiläum feiern. Was hat sie in den nächsten 30 Jahren, bis zum sechzigsten Jubiläum, vor?

Im Vordergrund steht sicherlich, mehr Mitglieder einzusammeln. Ob wir mal 24.000 Mitglieder erreichen werden, wie die Taz sie hat, weiß ich nicht. Dieses Jahr werden wir erst mal feiern. Wir wollen im Sommer, am 21. Juni, nach unserer Genossenschaftsversammlung, eine kleine Party auf der Terrasse des Verlags machen. Ansonsten werden wir weiterhin alles dafür geben, dass diese Zeitung am Leben bleibt, solange es die Branchenumstände zulassen. Ich rechne nicht damit, dass es, wenn ich in zwölf Jahren in Rente gehe, noch eine Printzeitung geben wird. Das bedauere ich sehr, weil ich diese gedruckte Zeitung liebe. Wir dürfen aber nicht so lange Print produzieren, dass wir irgendwann daran kaputtgehen. Gleichzeitig sollten wir versuchen, Print so lange wie möglich am Leben zu halten, schon weil es kein anderes Medium gibt, das so gut auf Demonstrationen verteilt werden kann. Was sollen wir sonst machen, QR-Codes hochhalten? Dennoch müssen wir online viel stärker werden. Das wird uns ganz neue Arbeitsroutinen abverlangen. Noch leben wir davon, dass wir täglich diese 16 Seiten jW bestücken.

Wenn du dich direkt an die Leser dieser Zeitung wendest, was würdest du sagen?

Lest die Zeitung und macht sie bekannt, und wenn euch das Projekt junge Welt am Herzen liegt, wenn ihr meint, dass eine linke, marxistische Tageszeitung in diesem Land notwendig ist, und wenn ihr dieses Projekt unterstützen möchtet, mit eurem Geld, wenn ihr bereit seid, für die jW in die Bresche zu springen, dann werdet Mitglieder der Genossenschaft.

Michael Sommer ist Vorsitzender der LPG junge Welt eG und Produktionsleiter der Tageszeitung junge Welt.

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