Gegründet 1947 Mittwoch, 30. April 2025, Nr. 100
Die junge Welt wird von 3005 GenossInnen herausgegeben
Aus: 30 Jahre Verlag 8. Mai, Beilage der jW vom 09.04.2025
30 Jahre Verlag 8. Mai

Das Schweigekartell durchbrechen

Verlag 8. Mai und junge Welt müssen sich seit Neugründung 1995 ständig Attacken der Staatsmacht erwehren. Doch die beste Antwort auf Diffamierung bleibt Herstellung von Öffentlichkeit
Von Sebastian Carlens
7.jpg

Die Bundesrepublik Deutschland feiert sich gerne als Musterländle der Pressefreiheit. In der jährlich von der prowestlichen NGO »Reporter ohne Grenzen« (Reporters sans frontières, RFS) vorgelegten »Rangliste« durfte sich die BRD 2024 freuen, in die »Top ten« der Länder mit entsprechend garantierter Pressefreiheit aufgestiegen zu sein. Im Jahr davor rangierte das Land noch auf dem 21. Platz. Ganz unten auf dieser »Rangliste« stehen all jene Staaten, die allgemein aus deutscher und westlicher Sicht zu »Autokratien«, »Diktaturen« und »Systemkonkurrenten« gerechnet werden: Russland, China, Vietnam, Kuba, so gut wie alle afrikanischen Staaten und allgemein die Länder des globale Südens. »Der Sprung auf Ranglistenplatz zehn ist zudem auch der Tatsache geschuldet, dass sich andere Länder auf der Rangliste verschlechtert haben«, so RFS. Ein paar Probleme gibt es natürlich auch im Herzen Europas. »Seit dem Beginn von Israels Krieg gegen die Hamas beobachtet RSF zudem vermehrt Übergriffe auf Medienschaffende auf Pro-Palästina-Demonstrationen« – durch Demonstranten. Aber ansonsten: Eigentlich alles in bester Ordnung. Anders darf es auch nicht sein, wenn dem Rest der Welt penetrant und mit erhobenem Zeigefinger erklärt wird, wie Demokratie zu funktionieren hat.

Unter Dauerbeobachtung

»Eine Zensur findet nicht statt«, heißt im deutschen Grundgesetz, Artikel 5, Absatz 1. Bereits das ist, wie im Folgenden deutlich wird, in Zweifel zu ziehen. Doch auch unterhalb des zensierenden Eingriffs oder des direkten Verbots von Medienerzeugnissen gibt es vielfältige Möglichkeiten, die Arbeit der Presse zu erschweren. Von ihnen wird in der BRD vielfältig Gebrauch gemacht, wenn es gegen missliebige Veröffentlichungen geht. Die Tageszeitung junge Welt und der Verlag 8. Mai, in dem die Zeitung erscheint, haben in den vergangenen dreißig Jahren mit vielen dieser Methoden Erfahrungen sammeln müssen.

Eine direkte staatliche Attacke gegen die Zeitung ist die wiederkehrende Listung und Verunglimpfung der jW im jährlichen Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Als einzige Tageszeitung in der Bundesrepublik steht die junge Welt unter Dauerbeobachtung durch diesen Inlandsgeheimdienst. Erstmals wurde die junge Welt im Jahresbericht für 1998 im Kapitel »Agitations- und Kommunikationsmedien« als »das auflagenstärkste und aufwendigste organisationsunabhängige Blatt« im Linksextremismus erwähnt. Seit dem Jahr 2004 wird sie regelmäßig im Kapitel »Linksextremismus« des Geheimdienstberichtes aufgeführt und dort als »Gruppierung« eingestuft, die »verfassungsfeindliche Ziele« verfolge – einen revolutionären Umsturz in der BRD.

Nun handelt es sich bei der jungen Welt nicht um eine politische Organisation, sondern um ein journalistisches Produkt. Aus diesem Grund entschlossen sich Verlag und Redaktion, juristisch gegen die Bespitzelung und Diffamierung vorzugehen. Im Juli 2024 entschied das Verwaltungsgericht Berlin erstinstanzlich, dass die Tageszeitung junge Welt weiterhin in den jährlichen Berichten des Verfassungsschutzes als »linksextremistisch« und damit verfassungsfeindlich aufgeführt werden darf.

Das hat Konsequenzen für Redaktion und Verlag: So verweigert beispielsweise die Deutsche Bahn unter Verweis auf den Verfassungsschutz-Eintrag das Anmieten von Werbeplätzen in Bahnliegenschaften; Bibliotheken, Schulen und Universitäten sperren den Onlinezugang zur Zeitung; eine Druckerei weigerte sich, eine andere Druckschrift mit einer Anzeige der jungen Welt herzustellen. Radiosender haben bereits gebuchte Werbespots unterbrechen und aus dem Programm nehmen lassen. Manchmal wird uns offen mitgeteilt, dass die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht eine weitere Zusammenarbeit mit Werbepartnern verunmögliche. Doch der Geheimdienst verfügt über ein ganzes Arsenal an Methoden, auch unbemerkt unsere Arbeit zu erschweren, dazu zählen auch sogenannte Vertrauensleute und technische Abhörmaßnahmen. Selbstverständlich wird dabei auch vor den schutzbedürftigen Interessen einer Zeitungsredaktion nicht haltgemacht.

Dies verursacht ökonomische Schäden, die auch ausdrücklich so gewollt sind. Die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke wandte sich 2021 mit einer Kleinen Anfrage (BT-Drucksache 19/28956) an die Bundesregierung, um sich im Detail nach den Gründen für die geheimdienstliche Beobachtung der jungen Welt zu erkundigen. In der Antwort der (damaligen) Koalition von Union und SPD wurde offen eingeräumt, dass das Stigma der Nennung in den BfV-Berichten auch dem Zweck diene, »verfassungsfeindlichen Bestrebungen (…) den weiteren Nährboden entziehen zu können«. Um die Reichweite der Zeitung einzuschränken, werden ihre wirtschaftlichen Grundlagen bewusst angegriffen, den Rest soll dann der – so beeinflusste – Markt erledigen. Die Bundesregierung kriminalisiert eine Weltanschauung in einer Weise, die an Gesinnungsterror und damit an finsterste Zeiten des Kalten Krieges erinnert.

Aktuell kämpft die junge Welt darum, in einer zweiten Instanz gegen das Urteil in Berufung gehen zu können, denn selbst dies soll der Zeitung untersagt werden. Wir informieren auf unserer Website unter jungewelt.de/pressefreiheit laufend über den Stand des Verfahrens.

Polizei im Haus

Doch auch mit dem bewaffneten Arm der Staatsmacht durften die Zeitung und ihre Mitarbeiter verschiedentlich Bekanntschaft machen. Ende Januar 1997 ließ die Bundesstaatsanwaltschaft erneut die Räume der jW durchsuchen und den Arbeitscomputer eines Mitarbeiters beschlagnahmen. Der betroffene Redakteur berichtete damals in der Zeitung regelmäßig über eine Brandkatastrophe in einem Lübecker Asylbewerberheim. Der Verdacht lag schon damals nahe, dass dies der eigentliche Grund für die Polizeiaktion gewesen war – und nicht die Jagd auf drei Mitarbeiter der kriminalisierten Zeitschrift Radikal, die als offizielle Begründung genannt wurde.

Im Jahr 2011 dirigierte die Berliner Polizei eine von der damaligen Neonazipartei NPD vor dem Karl-Liebknecht-Haus, dem Sitz der Linkspartei, angemeldete Demonstration vor die nahegelegenen Räumlichkeiten der jungen Welt. Über den geeigneten Ort der Manifestation wurde mit dem braunen Mob im Vorfeld offensichtlich »verhandelt«. Es kam, wie es kommen musste: Die Neonazis wüteten unter dem Schutz von 500 Polizeibeamten vor dem Denkmal für Rosa Luxemburg auf der Terrasse des jW-Gebäudes. Die Verlegung sei eine »politische Entscheidung« gewesen, räumten die Beamten damals ein. Geschäftsleitung und Redaktion waren zu keinem Zeitpunkt darüber informiert worden. Schließlich kam es zu einer Protestaktion auf der jW-Terrasse im sechsten Stock. Sichtlich erbost über die Störungen versuchte eine Gruppe von Neonazis, in die jW-Räume im Erdgeschoss vorzudringen. Die Polizei nahm schließlich den Geschäftsführer der Verlag 8. Mai GmbH, Dietmar Koschmieder, vorübergehend in Gewahrsam. Die sogenannten »freiheitsbeschränkenden Maßnahmen« wurden zum Teil mit Gewalt durchgesetzt und dauerten fast zwei Stunden.

Zum jüngsten – und gleichzeitig heftigsten – Angriff der Staatsmacht auf die Räume des Verlags kam es allerdings erst unlängst, im Februar 2025. Nachdem einer Veranstaltung mit der UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten palästinensischen Gebiete, Francesca Albanese, nach politischem Druck die Räume entzogen worden waren, bot der Verlag 8. Mai die eigene Galerie im Erdgeschoss als Ersatzort an. Während rund um das Verlagsgebäude eine Hundertschaft der Polizei aufgefahren war, überwachten in der Mailgalerie trotz des Protestes des Geschäftsführers und des Verlagsleiters fünf martialisch ausgerüstete und bewaffnete Polizisten mit einem Dolmetscher jedes gesprochene Wort. Ein »niedrigschwelliges« Eingreifen, auch unter Einsatz von Gewalt, war angedroht worden. Der Verlag geht aktuell auch gegen diese Schikane juristisch vor, noch gibt es kein Urteil. Albanese konstatierte nach der Veranstaltung, dass »die Situation für die Meinungsfreiheit überall schlecht ist«, in Deutschland jedoch aufgrund der Repressionen »ein Sauerstoffmangel« zu spüren sei.

Rufmord und Geraune

Richtig funktioniert die Delegitimierungsstrategie allerdings nur, wenn bürgerliche Medien gezielt Teile der Öffentlichkeit mit entsprechend aufbereiteten Informationen füttern. Die Internationale Rosa-Luxemburg-Konferenz, die von der Tageszeitung junge Welt seit 1995 veranstaltet wird, wurde in den ersten Jahren aufmerksam journalistisch begleitet. Dieses Interesse nahm ab, je mehr Besucher ihren Weg zur Konferenz fanden. Wenn dann doch berichtet wird, folgt dies einem bekannten Muster: Skandalisierung, Rufmord und Geraune. Der Berliner Tagesspiegel zitierte 2024 in einem Bericht, was anonymisierte Personen der Reporterin im Berliner Tempodrom der Zeitung ins Mikro gesagt haben sollen. Bei der damaligen Konferenz war unter anderem eine Friedensmanifestation für einen gerechten Frieden in Nahost Teil des Programms. Die Reporterin braute zusammen: »Leugnung der Gräueltaten der Hamas: Das ist hier gesellschaftsfähig.« Was die Frau vom Tagesspiegel am Rande aufgeschnappt haben will, wurde vom Simon Wiesenthal Center (SWC) mit Sitz in Los Angeles dann zur zentralen Sache gemacht: Heute könne man sich wieder wie damals in Berlin versammeln, »um die Ermordung, Vergewaltigung und Entführung von Juden zu rechtfertigen« und »völkermordende, judenhassende Terroristen« zu »legitimieren«, wird der »abscheulichen Konferenz« in einer Presseerklärung vorgeworfen. Dabei bezieht sich das SWC ausschließlich auf den Tagesspiegel-Beitrag. Der Tagesspiegel griff diese von ihm inszenierte Empörung schließlich selbst wieder auf und titelte am 18. Januar 2024: »Nach judenfeindlichen Ausfällen: Simon Wiesenthal Center verurteilt Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin«. Solche Schmierenstücke landen schließlich als vermeintlich seriöse Quellenangabe im Onlinelexikon Wikipedia, das mittlerweile auch in akademischen Arbeiten als zitierfähig gilt. Ist es in der Welt, dient es in der nächsten Runde weiter zur Verunglimpfung der Zeitung.

Sie lügen wie gedruckt – und wir drucken, wie sie lügen. Ein offensiver Umgang mit Angriffen auf Redaktion und Verlag wie diesem hat sich als der beste Weg herausgestellt, Reichweite und Wirkmacht der jungen Welt zu vergrößern. Aus den Versuchen, die Zeitung mundtot zu machen, kann schließlich politischer Gewinn gezogen werden: indem das Schweigekartell gebrochen und die junge Welt bekannter gemacht wird. Das ist gleichzeitig die einzige Chance, die wir haben. Die BRD legt aus geopolitischen Erwägungen Wert darauf, sich weiterhin als Vorkämpfer der Meinungs- und Pressefreiheit zu inszenieren. In- wie ausländische Skandalisierung solcher ganz realen Vorgänge in Deutschland kann diese Strategie der Herrschenden empfindlich treffen.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Angeblicher Beleg für »die Umsturzabsichten« der jungen Welt: Ve...
    29.06.2024

    Der Staat gegen junge Welt

    Darf der Verfassungsschutz die Arbeit einer Tageszeitung behindern? Zu grundsätzlichen Fragen der Presse- und Meinungsfreiheit verhandelt das Verwaltungsgericht in Berlin am 18. Juli 2024
  • Die Bundesregierung will die Reichweite der jungen Welt einschrä...
    05.06.2024

    Pressefreiheit vor Gericht

    junge Welt klagt gegen Geheimdienstaktivitäten. Am 18. Juli wird darüber vor dem Verwaltungsgericht Berlin verhandelt

Regio: