Rosa-Luxemburg-Konferenz am 11.01.2025
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Aus: 75 Jahre DDR, Beilage der jW vom 02.10.2024
DDR 75

Das Wissen und die Macht

Bildung unter sozialistischen Vorzeichen in der DDR
Von Joshua Relko
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Unterrichtstag in der Produktion: Schülerinnen und Schüler empfangen ihre Schutzhelme in Karl-Marx-Stadt

Im Jahr 1946 erließen die Landesregierungen in der sowjetischen Besatzungszone das »Gesetz zur Demokratisierung der deutschen Schule«. In Paragraph 1 wurde zum ersten Mal in der deutschen Geschichte »ausgehend von den gesellschaftlichen Bedürfnissen, jedem Kind und Jugendlichen ohne Unterschied des Besitzes, des Glaubens oder seiner Abstammung die seinen Neigungen und Fähigkeiten entsprechende vollwertige Ausbildung« garantiert. Es war der Beginn einer revolutionären Umwälzung im deutschen Bildungssystem.

Der Sieg der Alliierten über den deutschen Faschismus 1945 und die proklamierte Entnazifizierung stellten unmittelbar die Frage nach einem Neuanfang im deutschen Bildungssystem. Wurden direkt nach Kriegsende noch in allen Besatzungszonen Schritte etwa zur Entwicklung eines neuen Lehrkörpers unternommen, zeigten sich bald schon die gravierenden Unterschiede in der Praxis der Westalliierten einerseits und der Sowjetunion andererseits: Während in den Westzonen wenige Jahre nach dem Krieg mehr und mehr Lehrende, die vor 1945 der NSDAP angehörten, rehabilitiert wurden und in den Schuldienst zurückkehrten, stellten sogenannte Neulehrer 1949 im Osten fast 70 Prozent des Lehrkörpers.

Es kam zu grundlegenden Neuerungen im Bildungssystem: Die Mehrgliedrigkeit aus der Kaiserzeit wich einer für alle Jungen und Mädchen obligatorischen Einheitsschule, Schulgeld wurde abgeschafft und Religionsunterricht Privatsache. Nicht zuletzt war es die Prügelstrafe, die von der sowjetischen Militär­administration schon 1945 per Befehl aus dem Schulwesen verbannt wurde – in Westdeutschland war sie noch bis in die 70er Jahre gesetzlich legitimiert, in Bayern sogar bis 1983.

Die Volkskammer verabschiedete 1959 das »Gesetz über die sozialistische Entwicklung des Schulwesens«, das die 1946 formulierten Grundsätze vertiefte. Die bereits Anfang der 50er Jahre etablierte zehnklassige Schule für alle Kinder und Jugendlichen wurde hier gesetzlich festgeschrieben – es war die Geburtsstunde der Poly­technischen Oberschule (POS). Schrieb das Gesetz von 1946 noch eine achtjährige Schulpflicht vor, spiegelten sich in der Erweiterung auf zehn Jahre sowohl die Notwendigkeit einer umfassenderen Entwicklung von Fachkräften als auch die im planwirtschaftlichen Aufbau erlangten Kapazitäten dafür wider.

Für die meisten Kinder begann die gesellschaftliche Erziehung mit Kinderkrippe und Kindergarten, die gleichzeitig wichtige Bausteine in der Entlastung der Familien und insbesondere der Frauen in der Sorgearbeit darstellten. Zur Wahrheit gehört, dass diese Einrichtungen nicht auf Knopfdruck aufgebaut werden konnten und so in den Anfangsjahren noch nicht genügend Betreuungsplätze zur Verfügung standen. In späteren Jahren besuchten aber deutlich über 90 Prozent des DDR-Nachwuchses einen Kindergarten.

Die Funktion der Pionierorganisation Ernst Thälmann, meinen bürgerliche Geschichtsschreiber, sei die einer ideologischen Indoktrination und organisatorischen Disziplinierung der Schüler gewesen. Wenn ehemalige Pioniere selbst zu Wort kommen, klingt das meistens etwas anders: freundschaftlicher Zusammenhalt, Hilfeleistungen für die schulisch Schwächeren, Solidarität mit den Kindern von Angola bis zur Sowjetunion, nicht zuletzt eine umfassende Freizeitgestaltung unabhängig vom Budget des Elternhauses. Fakt ist, dass die Mitgliedschaft in der Pionierorganisation, genauso wie später in der Freien Deutschen Jugend, nicht verpflichtend war.

Die politische Erziehung fand nicht nur in den Kinder- und Jugendorganisationen statt, sondern auch in den Schulen und Universitäten selbst – im Rahmen von Staatsbürgerkunde oder Einführungen in die Grundlagen des Marxismus-Leninismus. Die Qualität dieser Angebote hing oft von den jeweils Lehrenden ab: Manche Teilnehmer erinnern sich an interessante Diskussionen, andere daran, wie sie Gesetzestexte rezitierten.

Schülerinnen und Schüler wurden nicht im Alter von zehn oder elf Jahren in ein dreigliedriges Schulsystem einsortiert. Die POS garantierte allen Kindern der DDR eine gemeinsame Schullaufbahn bis zur zehnten Klasse, die nicht zuletzt von einer Verbindung schulischer Theorie mit betrieblicher Praxis (etwa in Zusammenarbeit mit sogenannten Patenbetrieben) gekennzeichnet war. Danach erst trennten sich die Wege: Wer ein Studium anstrebte, erwarb sein Abitur innerhalb von zwei Jahren auf der Erweiterten Oberschule (EOS) oder innerhalb von drei Jahren in Kombination mit einer Berufsausbildung. Wer statt dessen die Schule nach der zehnten Klasse für eine normale Berufsausbildung verließ, hatte grundsätzlich die Möglichkeit, etwa über Fachschulen zu einem späteren Zeitpunkt noch das Abitur zu absolvieren. Die Berufswahl war faktisch nicht weniger frei als heute – auch wenn das gerne verdreht wird: In jeder Volkswirtschaft gibt es einen bestimmten Bedarf für jeden Beruf. In der DDR regelte das nicht die Anarchie des Arbeitsmarktes, sondern eine engmaschige Berufsberatung orientiert an gesellschaftlichem Bedarf und individuellen Stärken bereits in der Schule.

Mit dem alten bürgerlichen Bildungsprivileg entlang der Klassenzugehörigkeit zu brechen, verstand die politische Führung der DDR von Anfang an als zentrale Aufgabe. Die Grundlage dafür bildete ein kostenfrei zugängliches Bildungssystem von der Kinderkrippe bis zur Universität. Lediglich für das Mittagessen wurde ein symbolischer Obolus erhoben. Die Schulküchen – bei den einen beliebt, bei den anderen berüchtigt für Puddingsuppe und Nudeln mit Tomatensoße – waren nach 1990 mit das erste, was aus den Schulen in Ostdeutschland verschwand.

Studierende studierten und mussten sich nicht mit Nebenjobs über Wasser halten. Darüber hinaus wurde versucht, Arbeiterkinder gezielt zu fördern. Ein wichtiger Meilenstein in dieser Hinsicht waren die sogenannten Arbeiter- und Bauernfakultäten, die in den Anfangsjahren der DDR bestanden und aus proletarischem Nachwuchs die Intelligenz der neuen Gesellschaft hervorbringen sollten.

In 40 Jahren DDR zeigten sich allerdings auch problematische Tendenzen, zu denen insbesondere Ansätze einer neuen Elitenbildung zählen: Die Aufsteiger der frühen DDR-Jahrzehnte versuchten nicht selten, den einmal erreichten Status an ihren Nachwuchs zu »vererben«. Es war für den Zugang zu bestimmten Bereichen unzweifelhaft so, dass persönliche Beziehungen oder unkritische Angepasstheit wichtiger wurden als die soziale Herkunft oder eine ehrliche sozialistische Überzeugung.

Die Errungenschaften des DDR-Bildungswesens waren kein Zufall. »Diese erfolgreiche Entwicklung des Schulwesens war nur möglich, weil in der Deutschen Demokratischen Republik die Arbeiterklasse im Bündnis mit den Bauern und den anderen demokratischen Kräften des Volkes die Macht ausübt«, erklärte die Volkskammer in der Präambel des Schulgesetzes 1959 – und lag damit richtig. Wie sonst kann es sein, dass die BRD der Gegenwart – trotz einer gegenüber der DDR ungleich höheren Wirtschaftsleistung – vor allem mit verfallenen Schulgebäuden, chronischem Lehrermangel, PISA-Desastern, massenhafter Gewalt und Mobbing als Massenphänomen auf sich aufmerksam macht? Die Auseinandersetzung mit dem Bildungswesen der DDR, seinen Erfolgen, seinen Schwierigkeiten und mit dem, was nicht gut lief, ist von praktischer Relevanz – sie zeigt, was eine Gesellschaft ermöglichen kann, wenn sie sozialistischen Charakter trägt.

Joshua Relko studiert Geschichte in Berlin

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