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Aus: Wein, Beilage der jW vom 09.09.2020
Weinrecht

Was es ist

Was als Wein zu gelten hat, unterliegt gesetzlichen Bestimmungen. Jetzt soll das »germanische« dem »romanischen« Weinrecht weichen
Von Daniel Bratanovic
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Diese Beilage ist mit unterschiedlichen historischen Weinplakaten, vor allem französischen, illustriert.

Was ist das, ein Wein? Man mag ihn als Geist- oder Heiterkeitsspender verhimmeln oder als »Rassengift, als Zerstörer der Gesundheit und des Familienglücks« verteufeln wie die Prohibition Party in den USA vor etwa 150 Jahren – was er sei, bleibt damit noch unbestimmt. In der bürgerlichen Gesellschaft liefert das Recht die maßgebliche Definition. Deren einfachste lautet: »Wein ist das durch alkoholische Gährung aus dem Safte der Weintraube hergestellte Getränk.« Das klingt so banal wie selbstverständlich, ist es aber nicht.

Die Festlegung findet sich in Paragraph 1 des zweiten Weingesetzes des Deutschen Reichs von 1901. Vor dieser ersten juristischen Bestimmung durfte im Reich auch so manch anderes Getränk unter der Bezeichnung Wein veräußert werden: Nachweine aus Trester und aus mit Zuckerwasser erhitzter Weinhefe, Wein aus frischem wie getrocknetem Obst und eben der vergorene Saft der Beeren der Edlen Weinrebe. All diese unterschiedlichen Typen wurden wiederum mit tatkräftiger Unterstützung des Chemikers als beliebige Mischungen feilgeboten.

Mit dem Gesetz von 1901 verschwanden auch die »analysefesten« Weine wieder vom Markt, die ihren zeitweiligen Erfolg dem ersten Weingesetz von 1892 zu verdanken hatten. Darin war zwar gestattet worden, den Most durch »wässrige Zuckerlösung« zu strecken, allerdings durfte dabei der Gehalt an »Extraktstoffen und Mineralbestandtheilen nicht unter die bei ungezuckertem Wein (…) in der Regel beobachteten Grenzen herabgesetzt werden«. In der Praxis bedeutete das bloß, dass der aufgezuckerte Wein mittels Trester- oder Rosinenweinen, aber auch dank Chemikalien wieder über die Grenze gedrückt wurde. »Analysefest« hieß der Wein demgemäß nicht deshalb, weil er ungepanscht war, sondern weil er vor der staatlichen Prüfung bestand, wobei ohnehin die Untersuchungsmethoden ungenügend und die Kontrollen lasch waren. Immerhin war mit dem 1892er-Gesetz der Zusatz solcher vertrauenerweckender Substanzen wie Aluminiumsalze, Borsäure und Teerfarbstoffe untersagt worden.

Die Panscherei blieb derweil über die Jahrzehnte gang und gäbe, und als »analysefest« galt bis in die 1980er Jahre der Wein, wenn dem gärenden Most Saccharose beigegeben wurde, um den Alkoholgehalt zu erhöhen. Nachweisbar war das nicht. Mit dem Weingesetz von 1969 waren für den Wein Güteklassen (Tisch-, später Tafelwein, Qualitätswein, Prädikatswein) eingeführt worden, die sich nach Öchslegraden bestimmten. So darf das Mostgewicht eines Prädikatsweines nicht unter 75 Grad Öchsle liegen. Die unerlaubte Aufzuckerung ermöglichte indes, Weine systematisch auf eine höhere Stufe zu katapultieren. Es ließ sich also tricksen, wo das Gesetz Klarheit versprach.

Jetzt soll alles anders werden. Mitte August legte das Landwirtschaftsministerium dem Bundeskabinett einen Gesetzentwurf vor, dessen wesentliche Botschaft »Terroir statt Öchsle« lautet. Vorgesehen ist eine Neuregelung des Bezeichnungsrechts. Das »germanische Weinrecht« mit seinen an Zuckergehalten orientierten Angaben wie »Kabinett« oder »Spätlese« soll dem romanischen der großen Weinbaunationen Frankreich, Spanien und Italien weichen, bei dem die kontrollierten Ursprungsbezeichnungen maßgeblich sind. Die Qualitätsstufen wären dementsprechend gestaffelt: angefangen von Wein ohne geschützter Herkunft – »Wein aus Deutschen Landen« – bis hin zur wenige Hektar großen Einzellage. Streit herrscht unter den Weinproduzenten angesichts der Frage, ob die Angabe von »Großlagen« – etwa der »Kröver Nacktarsch« – innerhalb dieser Hierarchie erhalten bleiben soll oder nicht. Genossenschaften, Großkellereien und Discounter beharren darauf, die Selbstvermarkter und der Verband Deutscher Prädikatsweingüter lehnen sie als irreführend ab.

Wie auch immer, üblicher Etikettenschwindel – ein »Johannesberger Erntebringer« muss keinen Wein aus Johannesberg enthalten – könnte danach der Vergangenheit angehören. Ein vernünftiger Entwurf womöglich, der auf eine Verbesserung hoffen ließe, wenn die verantwortliche Ministerin – »so komplett ungeeignet und idealbesetzt zugleich ist in der Bundesregierung niemand sonst« (Kay Sokolowsky) – nicht Julia Klöckner hieße.

Diese Beilage ist mit unterschiedlichen historischen Weinplakaten, vor allem französischen, illustriert.

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