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Aus: Ausgabe vom 29.12.2025, Seite 10 / Feuilleton
Film

Die Verachtung

Sie modernisierte Frankreich und zerstörte den eigenen Mythos: Zum Tod der Schauspielerin, Sängerin und Tierschützerin Brigitte Bardot
Von Stefan Ripplinger
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Die arme B. B. in »Et Dieu … créa la femme«: »Sobald ein einziger Mythos angekratzt wird, sind alle Mythen in Gefahr« (Simone de Beauvoir, »Brigitte Bardot und das Lolita-Syndrom« )

Brigitte Bardot (B. B.) hat das Kino stets verachtet. Die am Sonntag in Saint-Tropez im Alter von 91 Jahren Verstorbene tanzte und sang leidenschaftlich gern, aber Kino? Non, pas du tout. Das Kino hat sie auch dann nicht ernst genommen, als sie bei den Dreharbeiten zu »Le Mépris« (»Die Verachtung«, 1963) zwei legendären Regisseuren gegenüberstand und abwechselnd in die Sonnenbrille von Jean-Luc Godard und das Monokel von Fritz Lang blickte. Dass die Filmindustrie ausgerechnet sie zum »Sexsymbol« stilisierte, hat ihr mal geschmeichelt und sie mal angewidert. Aber nötig gehabt hat sie es nie. Anders als ungezählte Tingeltangeltänzerinnen, die ihre nackte Haut verkaufen müssen, stammte sie aus großbürgerlichem Haus.

Ein wohlerzogenes Kind

Der Vater, ein Ingenieur, führte eine Firma für Flüssigluft und dichtete nebenbei. Einer seiner Gedichtbände wurde von der Akademie lobend erwähnt, was auch in Frankreich ein ganz schlechtes Zeichen ist. Die Mutter erfreute sich bester Verbindungen in die Kunstwelt, doch diese musische Hochgestimmtheit änderte nicht das Mindeste daran, dass man bourgeois bis auf die morschen Knochen war. Als die siebenjährige Brigitte im Spiel mit ihrer kleinen Schwester eine kostbare chinesische Vase zerbrach, wurden die beiden nicht nur verprügelt, sondern durften ihre Eltern von Stund an nur noch siezen. Die Mutter bot nach dem Tod des Vaters 1975 Brigitte das Du an, doch es war zu spät.

Zu ihrer Klasse hatte sie ein ebenso gebrochenes Verhältnis wie zu ihrem Körper. Das hatte beides Gründe: Von Geburt an war sie auf dem linken Auge fast blind, eine Amblyopie, die in die Anmut ihrer Bewegungen immer ein wenig Unsicherheit mischte. Wohl deshalb nahm sie bis in ihr sechzehntes Lebensjahr Tanzstunden. Sie erwies sich für den Tanz als durchaus begabt, war aber auch auf diesem Feld nicht ehrgeizig genug. Inzwischen schleppte die gut vernetzte Mutter sie zu Fotografen. Verschiedene Male erschien die junge Brigitte auf dem Titel des Magazins Elle, um für Diäten oder züchtige Mode zu werben. Sie ist auf diesen Bildern hübsch, aber nicht schön oder gar begehrenswert, einfach nur ein wohlerzogenes Kind. Was für ein Unterschied zu den Fotos, die Willy Rizzo nur wenige Jahre später für Paris Match aufnehmen sollte: B. B., auf allen Vieren aus der Kajüte einer Yacht kriechend oder im Bikini eine Gasse hinabeilend. Dazwischen lag nicht eine Pubertät, sondern ein Mann: Roger Vadim (1928–2000).

Der Sohn eines jüdischen Konsuls und einer Widerstandskämpferin träumte damals vom Kino und davon, Brigitte, seine künftige Frau, auf der Leinwand erstrahlen zu lassen. Dank bereits geknüpfter Kontakte brachte er sie beim Film unter. Doch in den Schnulzen, in denen sie Nebenrollen übernahm, war sie noch immer das, was sie auf den Elle-Titeln war: ein Kind. Zur legendären Frau wurde sie mit Vadims erstem Film: »Et Dieu … créa la femme« (1956), »Und Gott der Herr … bauete ein Weib«. Der deutsche Verleihtitel will es weniger bi­blisch: »… Und immer lockt das Weib«. Nach der Unterdrückung und dem Muff der 1940er entwarf Vadim die Verführerische als freie Frau. Wie eine ihrer Biographinnen, Marie-Dominique Lelièvre, schreibt, unterschied sich die Bardot sowohl vom damals in Frankreich amtierenden »Sexsymbol« Martine Carol als auch von Marilyn Monroe in einem entscheidenden Punkt: Sie schwitzte.

Sauerkraut

Wie die unvergessliche Tanzszene des Films zeigt, in der B. B. durch eine Stube wirbelt, in der Curd Jürgens und Jean-Louis Trintignant wie Ölgötzen stehen und starren, unterscheidet sie sich von den hochtoupierten, strengen Schönheiten ihrer Zeit noch durch ein anderes Detail: ihr frei fließendes, langes Haar, ihre »Choucroute« (»Sauerkraut«), wie man in Frankreich diese Frisur nennt. Sie erinnert an die wilden Mähnen von Mary Pickford, dem ersten großen Star des Kinos.

Dient, wie Godard behauptete, Bardot in diesem Film Vadim lediglich dazu, sich selbst auszudrücken und »Autorenfilmer« zu werden? Vielleicht, aber im Alltag war sie die Autorin. »Et Dieu …« war noch nicht geschnitten, als sie sich bereits Trintignant ins Bett legte, den sie vorher spießig fand. In der Folge nahm sie überhaupt jeden Mann, der ihr gefiel, und spottete so einer Warnung von Boney M. und der göttlichen Millie Jackson: »Never, never change your lovers in the middle of the night.« Gilbert Bécaud, Alain Delon, Sami Frey und Gunter Sachs waren nur einige illustre Nachfolger von Vadim. Auch schöne Frauen verschmähte sie nicht. Mit ihrem zweiten Mann, dem Schauspieler Jacques Charrier, hatte sie einen Sohn, mit dem sie nie etwas anfangen konnte. Sie wollte weder Tochter noch Mutter sein. Die Ehe litt außerdem darunter, dass Bardot bereits damals das Zwanzigfache von Charrier verdiente.

Godard versachlichte sie in »Le Mépris«, indem er ihre Choucroute kürzte oder unter einem Haarband versteckte. Das Bild der nicht zu bändigenden Kindfrau kehrte wieder in Louis ­Malles »Viva Maria« (1965), ja steigerte sich neben dem Ko-Star, der auf Seriosität bedachten Jeanne Moreau.

1973, mit 39, beendete Bardot ihre Kinokarriere. Anregender als ihre Filme waren stets ihre Pressekonferenzen: »Was ist das dümmste Wesen, dem Sie jemals begegnet sind?« – »Sie, weil Sie mir eine so dumme Frage stellen.« – »Was denken Sie über freie Liebe?« – »Ich denke nicht, wenn ich Liebe mache.« – »Was reizt Sie an einem Mann?« – »Seine Frau.«

Seither verdarb sie als Tierschützerin den Jägern und Pelzhändlern das Geschäft. Von ihrer Ablehnung des Schächtens verfiel sie zu einer Ablehnung der Muslime und wurde dafür, zu Recht, verurteilt. Die Sprüche der im Alter Verbitterten waren dumpf, aber an die Infamie eines Thilo Sarrazin oder eines Friedrich Merz reichten sie dennoch nicht heran. Eine Linke ist sie nie gewesen, doch als die ultrarechte Terrorgruppe OAS 1961 ein Schutzgeld von ihr erpressen wollte, weigerte sie sich und erklärte, sie wolle nicht in einem Naziland leben. Brigitte Bardot war immer klüger und mutiger als die Kerle, die sich an ihrem Bild aufgeilten.

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