Sohn Frankreichs
Von Christian Selz, Kapstadt
Ganz so bekannt wie die Größen des Genres ist er nicht, dennoch darf seine Karte in keinem Diktatorenquartett fehlen: Jean-Bédel Bokassa. Am Silvestertag vor 60 Jahren putschte sich der Armeestabschef in der Zentralafrikanischen Republik an die Macht. Der Diktator schwor, gegen kommunistischen Einfluss zu kämpfen, und hatte die ehemalige Kolonialmacht Frankreich fest an seiner Seite.
Geblieben sind von Bokassa vor allem Überlieferungen, die derart vor Brutalität und Absurdität strotzen, dass sie nur zu perfekt in das Klischee des verrückten afrikanischen Tyrannen passen. So heißt es, der Staatschef habe Kabinettsmitglieder seiner Regierung umbringen lassen, wenn sie seinen Bruderkuss nicht mit ausreichend Gefühl erwiderten. Einen Minister habe er gar nach der Ermordung wie ein Schweinefleischgericht zubereiten lassen, um damit dessen unwissende Kabinettskollegen und sich selbst zu verköstigen. Den Hang zum Kannibalismus soll Bokassa nach der eigenhändigen Ermordung einer seiner zahlreichen Geliebten entwickelt haben.
Die grausamen Anekdoten lassen den Diktator fraglos als Psychopathen erscheinen. Doch das Monster wurde erschaffen. Als Bokassa am 22. Februar 1921 als Sohn des Häuptlings Mindogon Mufasa im Dorf Bobangui geboren wurde, war das Gebiet der heutigen Zentralafrikanischen Republik ein Teil von Französisch-Äquatorialafrika, genauer die Kolonie Ubangi-Shari. Die dort wichtigsten europäischen Werte dieser Zeit: Unterdrückung, Rassismus, Ausbeutung. Als Vater Mufasa es wagte, einige Angehörige seiner Dorfgemeinschaft aus der Zwangsarbeit für die Kolonialisten zu entlassen, ließ das allmächtige französische Forstwirtschaftsunternehmen, das die Region ausplünderte, ihn in Ketten abführen. Am 13. November 1927 wurde er auf dem zentralen Platz vor dem Büro der Präfektur in der Provinzhauptstadt Mbaïki öffentlich zu Tode geprügelt. Eine Woche darauf beging Bokassas Mutter Marie Yokowo Suizid. Mit sechseinhalb Jahren war der Junge somit Vollwaise.
Teil der Kolonialarmee
Seine Verwandten steckten Bokassa in eine französische Missionsschule, doch er entschied sich gegen die Priesterausbildung. Mit 18 Jahren schloss er sich der französischen Kolonialarmee an. Er landete 1944 mit den Alliierten in der Provence und diente auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs für das koloniale Frankreich, unter anderem in den brutalen Unterdrückungskriegen in Indochina und Algerien. Aus dem Opfer der Kolonialmacht war ein Täter für dieselbe geworden. 1959 ging er, immer noch in Diensten Frankreichs, in sein Heimatland zurück, das seit 1958 in den Zustand eines halbautonomen Gebiets überführt worden war und 1960 formal in die Unabhängigkeit entlassen wurde.
Als ersten Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik hatte Paris David Dacko installiert, einen Cousin Bokassas. 1962 wechselte letzterer von den französischen Truppen in die Armee seines Verwandten, wo er schnell Karriere machte, als erster den Grad eines Obersts erreichte und Stabschef wurde. Die junge Zentralafrikanische Republik geriet jedoch bald in ökonomische Schwierigkeiten. Ursächlich dafür war neben verbreiteter Korruption vor allem die Abhängigkeit von Frankreich, das weiterhin den Großteil der Exportgüter (fast ausschließlich Rohstoffe und landwirtschaftliche Erzeugnisse) abnahm, während es auch Quelle der meisten Importgüter (überwiegend verarbeitete Waren) war. Einfacher gesagt: Die Zentralafrikanische Republik blieb auch nach der Unabhängigkeit de facto im Rang einer Kolonie, in der auch heute noch mit dem von Paris dominierten und an den Euro gebundenen CFA-Franc bezahlt wird.
Mordender Präsident
Um zumindest ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu erreichen, baute Dacko ab 1964 diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik China auf. Bokassa stellte sich gegen diesen Kurs und bot sich Paris als verlässlichen Antikommunisten an. Als der mit den höchsten militärischen Auszeichnungen Frankreichs dekorierte Bokassa schließlich am Silvesterabend 1965 gegen seinen Cousin putschte, diesen in den frühen Morgenstunden des 1. Januar 1966 festnehmen ließ und sich noch am selben Tag als neuen Staatschef präsentierte, griff die ehemalige Kolonialmacht nicht – wie zwei Jahre zuvor in Gabun – zugunsten des alten Amtsinhabers ein. Auch in den Folgejahren, als Bokassa jede Opposition verbieten, Gegner töten und die Bevölkerung immer weiter verarmen ließ, während er sich selbst aus der Staatskasse und französischen Entwicklungshilfezahlungen bereicherte, hielt die Bande zur Grande Nation. Bokassa lieferte Frankreich Uran und Diamanten, er war also dienlich. Seine Verbrechen wurden ignoriert.
Die Prunksucht Bokassas führte allerdings zum Zerwürfnis mit dessen Vertrautem Alexandre Banza, den er noch aus gemeinsamen Zeiten in der französischen Armee kannte und später als Finanzminister installierte. Doch in Paris zahlte man lieber, als Konkurrenz zuzulassen: Der damalige französische Präsident Charles de Gaulle glaubte, dass Banza ein Mann der CIA war, und soll dem französischen Geschäftsmann und Regierungsberater für Afrika, Jacques Foccart, bereits 1967 offenbart haben, dass er bei Bokassa seinen Wunsch hinterlegt hatte, Banza zu liquidieren. Dieser versuchte es zwar zunächst einmal mit Herabstufungen in der Hackordnung des Regimes, 1969 wurde Banza dann aber doch ermordet, manchen Quellen zufolge von Bokassa persönlich.
Während in der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, Bangui, auch später noch Minister verschwanden und mutmaßlich verspeist wurden, wuchs zwischen dem nächsten französischen Präsidenten Valéry Giscard d’Estaing und Bokassa gar eine enge Freundschaft. Frankreichs Staatschef ließ sich von seinem Amtskollegen zur gemeinsamen Großwildjagd in dessen privates Reservat einladen, das sich über weite Teile des Ostens der Zentralafrikanischen Republik erstreckte. Und er sagte auch nicht nein, als der generöse Diktator ihm ein paar Diamanten im Wert von einer Viertelmillion US-Dollar zusteckte. Als der Skandal publik wurde, wollte Giscard d’Estaing den Gegenwert an das Rote Kreuz und andere gemeinnützige Organisationen gespendet haben, wo man allerdings nichts von entsprechenden Zuwendungen wusste.
Zuvor zahlte Frankreich noch die Zeche für die absurdeste Prunkschlacht der Ära Bokassa: seine Krönung zum Kaiser im Dezember 1977, ganz im Stile Napoleons gehalten. Vom goldenen Thron über die Flasche Champagner für jeden Gast bis zu den tausenden Schnittblumen wurde alles aus Frankreich importiert. Die Kosten von etwa 20 Millionen US-Dollar, damals in etwa das Jahresbudget der Zentralafrikanischen Republik, verbuchte Paris als Entwicklungshilfe.
Schloss statt Knast
Der Sturz des Despoten kam dann zu einer Zeit, in der er allzu häufig mit seinen Beziehungen zur Sowjetunion, zu China und zum libyschen Revolutionsführer Muammar Al-Ghaddafi kokettierte, die ihn zwar allesamt nicht wirklich unterstützen wollten, womit er Frankreich aber zu immer höheren Zahlungen drängte. Zugleich hatte Amnesty International aufgedeckt, dass Bokassa die Ermordung von mehr als 100 Schulkindern zu verantworten hatte. Sie hatten protestiert, weil der Diktator sie zwingen wollte, überteuerte Schuluniformen aus der Produktion einer seiner 17 Ehefrauen zu kaufen. Dem Amnesty-Bericht zufolge soll Bokassa einige der Kinder »nahezu sicher« selbst zu Tode geprügelt haben, so wie die Franzosen einst seinen Vater. Giscard d’Estaing geriet ob seiner Unterstützung Bokassas mehr und mehr unter Druck und schickte schließlich im September 1979 während eines Staatsbesuchs Bokassas in Libyen das Militär nach Bangui, um dessen Amtsvorgänger und Cousin Dacko wieder im Amt zu installieren. Praktischerweise verschwanden bei dieser Gelegenheit auch die Akten Bokassas, die detaillierter über dessen Beziehung zu Paris hätten Auskunft geben können.
Der Geschasste wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt, lebte aber zunächst einige Jahre in der Republik Côte d’Ivoire und später in einem seiner Schlösser in Frankreich, wo er politisches Asyl genoss. 1986 kehrte er überraschend in die Zentralafrikanische Republik zurück, wurde erneut verurteilt, saß einige Jahre in Haft, wurde schließlich begnadigt und starb 1996 in einer Villa in Bangui.
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