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Aus: Ausgabe vom 29.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Rock ’n’ Roll

Kindische Ängste

Motörhead – die schlechteste Band der Welt
Von Frank Schäfer
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Lemmy Kilmister im Juli 2007 beim Jazzfestival in Montreux

Die Gruppe Motörhead wurde 1975 in London von Lemmy Kilmister gegründet. Frank Schäfer geht in der Serie »50 Jahre Motörhead – die schlechteste Band der Welt« dem sehr lauten Rock-’n’-Roll-Phänomen auf den Grund.

Ende Juli 2009 geht ihre Festivalsaison in Europa zu Ende, im August touren sie mit Testament, dem Black-Sabbath-Derivat Heaven and Hell und Judas Priest als »Metal Masters« durch gut besuchte Arenen der USA. Im September geht es hier eine Nummer kleiner weiter, mit den Misfits, Airbourne, Valiant Thorr und Year Long Disaster als Begleitung. Ende Oktober bis Mitte Dezember folgen schließlich England und das europäische Festland. Ihre Opener wechseln, in England begleiten sie Saxon und Danko Jones, später gehören Airbourne und Witchcraft zur Entourage.

Anfang März kommen Motörhead wieder zusammen für einen Auftritt beim jährlichen Dubai Desert Rock Festival, ihrem ersten Aufenthalt im Nahen Osten. Die eigentliche Frühjahrstour beginnt aber erst fünf Wochen später, in Südamerika. Gleich der erste Gig im Estadio Malvinas Argentinas, Buenos Aires, gerät völlig außer Kontrolle. Motörhead spielen ihr übliches 75-Minuten-Set, aber der Mob hat noch nicht genug. Die Unzufriedenheit über die vermeintlich zu kurze Auftrittszeit schaukelt sich weiter hoch und kulminiert in einem Bühnensturm, der Motörhead Teile ihres Equipments kostet. Was für ein Auftakt! Die Band denkt an Abbruch der Südamerikatour, aber nicht mit Lemmy. Die nächsten fünf Konzerte in Brasilien und Kolumbien spielen sie eben mit geliehener Ausrüstung.

Auf ihr einmal mehr straffes Festivalprogramm im Sommer folgt eine in diesem Jahr etwas andere US-Tour, denn Mikkey Dee fehlt der Band immerhin drei Wochen lang – mehr oder weniger entschuldigt. Dass man als Motörhead-Mitglied nicht reich wird, zeigt der Umstand, dass Dee ein Angebot von »Kändisjungeln«, der schwedischen Version der Reality-Show »Dschungelcamp«, annimmt. Lemmy ist fassungslos. »Das ist der schlimmste Scheiß, den es jemals im TV gegeben hat«, schimpft er im Interview.

Angeblich will Dee dem Fernsehsender zugesagt und vergessen haben, das Management davon in Kenntnis zu setzen, und so kommt es aus Versehen zu Überschneidungen zwischen den Drehterminen und der Motörhead-Tour. Das ist jedenfalls die offizielle Erklärung. Plausibler erscheint mir, dass der Drummer als Dschungelkämpfer ein Vielfaches der Motörhead-Honorare verdienen und deshalb die paar verpassten Gigs leicht verschmerzen kann. Lemmy heuchelt in der Öffentlichkeit zwar Verständnis; bei der internen Aussprache wäre man jedoch gern dabei gewesen. Auch die Motörhead-Gemeinde kommentiert diesen Loyalitätsbruch eher unbarmherzig. Aber natürlich finden Motörhead Ersatz. Der ehemalige Guns-N’-Roses-Drummer Matt Sorum springt für die zwölf Septembershows ein, in denen Dee den Behelfstarzan spielt. »Warum ich?« soll er Lemmy überrascht gefragt haben. »Weil Dave Grohl keine Zeit hat.«

Für die Shows in Kanada Ende September steht Dee wieder zur Verfügung. Die Nordamerikatour geht noch bis Oktober, von November bis Mitte Dezember ist Europa an der Reihe, einmal mehr mit einem längeren Abstecher nach England und diversen Deutschland-Gigs. Kurz vor Weihnachten stehen noch zwei Konzerte in St. Petersburg und Moskau auf dem Plan, bevor sie sich in die Winterpause verabschieden.

Für Matt Sorum sind die paar Wochen bei Motörhead eine harte, aber interessante Erfahrung, und er stöhnt und schwärmt davon auf seiner Webseite – nicht zuletzt von Lemmys eisernem Arbeitsethos. »Er ist immer pünktlich. Wir gehen auf die Bühne, ohne Verzögerungen.« Sorum hat in seiner bisherigen Karriere durchaus anderes erlebt. »In Bands zu sein, wo du darauf stundenlang warten musst, macht dich fertig.« W. Axl Rose werden die Ohren geklingelt haben.

In der Winterpause bleibt Lemmy wieder etwas mehr Freizeit – zum Musikmachen. So bittet ihn sein Kollege und Drinking Mate Slash ins Studio. Lemmy spielt Bass und singt beim Song »Doctor Alibi«, der im Frühjahr 2010 auf Slashs erstem Soloalbum erscheint. Es ist nur eins von Lemmys diversen Seitenprojekten, das aber ein bisschen mehr Beachtung verdient, nicht nur, weil einer der berühmtesten Rockgitarristen seiner Zeit ihn einlädt, sondern auch, weil er in den Lyrics erstmals seinen angegriffenen Gesundheitszustand thematisiert. Er macht sich darin zwar augenzwinkernd über die Bedenkenträgerei der Ärzte lustig, aber es schwingt eben auch Besorgnis mit, wenn er anschließend noch einen Schamanen aufsucht, um sich von ihm bestätigen zu lassen, dass alles in Ordnung ist und er einfach nur so weitermachen soll. »I said that’s what I need to hear / Took away my childish fears«, singt er erleichtert. Das klingt schon sehr nach Autosuggestion. Die Ängste jedenfalls sind präsent.

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