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Aus: Ausgabe vom 19.12.2025, Seite 15 / Feminismus
Familienzusammenführung

Schnell ist nicht

Heirat, Krieg, Trennung durch Flucht: Die Geschichte einer sudanesischen Familie, die einfach nur gemeinsam in Sicherheit leben will
Von Eike Andreas Seidel
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Gestrandet in Kairo: Sudanesische Frauen warten mit ihren Kindern an einer Bushaltestelle (13.5.2025)

Es war eine großartige Hochzeit in Sudans Hauptstadt Khartum Ende 2022. Weit über eintausend Gäste bei der Feier der Männer. Geladen hatte die Familie des Bräutigams. Abends dann noch einige hundert Frauen bei der Ehefrau. Sechs Wochen später, im Februar 2023, dann die »Heimholung« der Ehefrau in das Haus des Mannes und Übergabe des Brautgeschenks. Alles nach den Vorschriften der Religion, aber in einer durchaus modernen Form.

Ali hatte gerade seinen Masterabschluss in Pharmazie gemacht und war zum Präsidenten der jungen Akademiker im Sudan gewählt worden. Dasselbe hatte seine Ehefrau Azza studiert. Ihnen schien die Welt offenzustehen. Dann der Krieg. Khartum wird unsicher, Azza ist schwanger. Jeder Traum auf eine berufliche Zukunft im Land zerplatzt. Also beschließen sie, die Hauptstadt zu verlassen und zu Verwandten in Alis Geburtsort zu ziehen. In der Hektik der fluchtartigen Abreise in die Provinz geht die Heiratsurkunde verloren. Sie besitzen nur noch die Kopien auf ihren Mobiltelefonen. Kaum in der Provinz angekommen, lassen sie sich Ersatzdokumente ausstellen.

Ali nutzt eine wissenschaftliche Konferenz in Kenia, um nach Deutschland zu fliehen. Dort erfährt er von der glücklichen Geburt seiner Tochter. Hier scheint alles gut zu verlaufen. Für deutsche Verhältnisse relativ schnell bekommt er subsidiären Schutz als Geflüchteter aus einem Kriegsgebiet. Wir schreiben Ende 2024. Umgehend stellt er einen Antrag auf den Nachzug seiner Ehefrau mit der kleinen, kaum einjährigen Tochter. Der Wahlkampf in Deutschland beginnt, die Hetze gegen die Geflüchteten nimmt zu, die »Turboeinbürgerung« und der Familiennachzug für Geflüchtete mit subsidiärem Schutz sind Themen, mit denen speziell Bild im Verbund mit dem CSU-Scharfmacher und heutigem Innenminister Alexander Dobrindt Stimmung macht. Doch noch gelten die Regelungen und Gesetze der amtierenden Regierung.

Eigentlich alles gut

Azza gelingt es im Dezember 2024, mit Hilfe der Internationalen Organisation für Migration (IOM), einer Organisation der Vereinten Nationen, nach Addis Abeba in Äthiopien zu gelangen. Dort warten Hunderte von Menschen aus dem Sudan auf eine Chance, ein Visum zu bekommen, um ihre Ehepartner in Europa zu erreichen. Seit der Schließung der deutschen Botschaft in Khartum sind für Bürger des Sudan die Vertretungen in Addis Abeba in Äthiopien und Nairobi in Kenia für die Erteilung von Visa zuständig. Dass bei der überstürzten Räumung der deutschen Botschaft in Khartum damals Hunderte von Pässen von Antragstellern zurückgelassen worden sind, die nun das Land nur noch illegal verlassen können, betrifft sie – Hamdulillah – nicht. Azza hat ihren Pass, ihr Mann hat subsidiären Schutz in Deutschland, und der Antrag auf Familienzusammenführung ist gestellt. Etwas Wartezeit ist einkalkuliert, aber sie ist guter Hoffnung. Die monatlichen zweihundert US-Dollar Visagebühren für Äthiopien für sie und ihre Tochter, dazu die Miete und die durchaus mit deutschen Verhältnissen vergleichbaren Lebenshaltungskosten in dieser Stadt können für wenige Monate aufgebracht werden.

In Deutschland mahlen die Mühlen der Bürokratie gewohnt langsam. Schließlich sind alle beteiligten Ämter zufrieden und einverstanden: Ali hat subsidiären Schutz, er ist in Deutschland nicht vorbestraft; weitere Auflagen wie Sprachkenntnisse, eigener Verdienst und Wohnung gelten nicht für ihn. Die Ausländerbehörde schickt entsprechende Papiere an die Botschaft in Addis Abeba – behauptet sie jedenfalls. Doch dort ist nur eine Akte angekommen. Entweder die der Tochter oder die der Mutter fehlt. Ali schreibt eine Mail an die Ausländerbehörde und versucht, das Ganze schnell aufzuklären. Doch schnell ist nicht, wir sind in Deutschland. Er bekommt keine Antwort.

Nach einer Woche bittet er um Hilfe. Ein Helfer hängt sich ans Telefon und bekommt nach zwei Tagen tatsächlich die Sachbearbeiterin ans Telefon. Er lässt nicht locker, und noch während des Telefonats durchsucht sie die Akten und bestätigt die fehlerhafte Sendung. Es täte ihr sehr leid (was soll sie auch sonst sagen; ob sie dabei rot wird, ist am Telefon nicht ersichtlich), und sie würde es umgehend korrigieren. Endlich sind die Papiere in der Botschaft und das Visum könnte eigentlich erteilt werden. Also noch mal einen Monat warten in Addis. Deutsche Freunde sammeln Geld und spenden tausend Euro.

Kafka lässt grüßen

Doch dann die Katastrophe: Die Botschaft verweigert das Visum mit der denkwürdigen Begründung, die beiden seien gar nicht verheiratet. Das Formular, auf dem die Ersatzurkunde ausgestellt worden sei, werde schon seit langem im Sudan nicht mehr benutzt. Ein solches hätten sie in der Botschaft noch nie gesehen, und auch die vorgelegten Filme und Bilder von der Hochzeit seien kein Beleg – die Filme und Bilder enthalten Metadaten mit dem Aufnahmedatum. Die ganze Trauung sei inszeniert, dies werde schon dadurch deutlich, dass der Bräutigam bereits einen Ehering trage.

Es ist wie in der Geschichte, mit der eine Frau auf den Vorwurf reagiert, sie habe eine ausgeliehene Schüssel kaputt zurückgegeben: Erstens habe sie keine Schüssel ausgeliehen (das sei keine Trauungsfeier, da er ja einen Ehering getragen habe), zweitens habe sie diese heil zurückgegeben (das Formular wird schon lange nicht mehr benutzt), und drittens sei der Sprung schon vorher drin gewesen (ein solches Formular habe man in der Botschaft noch nie gesehen).

Wer kann dem Dr. Watson in der Botschaft mal erklären, dass es auch in Deutschland einen Unterschied gibt, an welcher Hand der Ring vor und nach der Hochzeit getragen wird? Und auch hierzulande ist es nicht ungewöhnlich, dass auf einen eigenen Verlobungsring verzichtet und der Ehering bei der Hochzeit von dem »Verlobungsfinger« auf den »Ehefinger« umgesteckt wird. Eben dieses auch im Islam nicht unübliche Umstecken kann auf den Bildern nachvollzogen werden.

Der Dr. Watson in der Botschaft soll sich auch mal fragen, warum angesichts des Riesenaufwands der angeblich vorgetäuschten Hochzeit es den angeblichen Betrügern nicht möglich gewesen sein soll, eine »übliche« Heiratsurkunde zu fälschen, und sie statt dessen auf ein uraltes und angeblich nicht mehr gültiges Formular zurückgegriffen hätten. Da hilft es der Familie auch nicht mehr, dass die sudanesische Botschaft anschließend bestätigt, dass die Ehe rechtsgültig geschlossen und das Formular selbstverständlich gültig sei. Gegen den Bescheid der Botschaft kann nun nur noch beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht werden.

In den Mühlen der Justiz

Es gibt nur wenige Anwaltskanzleien in Deutschland, die sich in dieser speziellen Angelegenheit auskennen. Unter den vielen verzweifelten, meist weiblichen, vor der deutschen Botschaft gestrandeten Menschen, die auf ihr Visum warten, machen Gerüchte die Runde. Diesen Anwälten wird unterstellt, sie würden nicht richtig arbeiten, weil es immer so lange dauern würde. Vielleicht helfe ja ein Bakschisch bei der Beschleunigung oder ein anderer Zaubertrick – möglichst die Hilfe eines einflussreichen deutschen Bürgers.

Nein, zwei und mehr Jahre Verfahrensdauer sind hier die Regel, bis ein Urteil vor dem Verwaltungsgericht gesprochen wird, mit Glück auch für die Klagenden. Und ob es dann nicht doch angefochten wird, kann nicht vorhergesehen werden. Es drängt sich geradezu der Verdacht auf, es könne Auftrag der Botschaft sein, möglichst viele Visaanträge dieser Art erst einmal abzulehnen und damit den Antrag auf Familienzusammenführung in den Mühlen der Justiz schreddern zu lassen.

Mittlerweile ist Azzas Vater nach Addis gekommen, um seiner Tochter und der mittlerweile schwer erkrankten Enkelin beizustehen. Sie versuchen, aus dem teuren und unfreundlichen Addis nach Ägypten zu kommen, wo das Leben hoffentlich leichter ist. Zumindest wird dort auch Arabisch gesprochen.

Ali seinerseits versucht, neben seinem Deutschunterricht auch noch etwas Geld zu verdienen, um es seiner Frau zu schicken. Am besten wäre es, er würde in seinem Fach eine Festanstellung finden. Dann könnte er als akademische Fachkraft erneut einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Die kann nach heutiger Rechtslage auch beantragt werden, wenn er damals noch nicht verheiratet gewesen wäre. Die gemeinsame Tochter wurde ja nicht in Frage gestellt. Doch welche Aufenthaltsgesetze dann in diesem Land gelten werden, ist völlig offen.

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