Solange es dauert
Von Sabine Lueken
Eingangs liegt Paula (Ruby Commey) – adrett im schicken, blendend weißen Minikleid im Militarystyle – mit ihrem halbwüchsigen Sohn (Noah Bailey im Wechsel mit Saïd Schindler) vorm Fernseher. »Es muss doch auch noch was anderes geben als schlafen. Arbeiten. Schlafen und wieder arbeiten!« Sie spekuliert, auch finanziell, auf den Reifenhändler, der hier Schlagzeuger (Andrea Belfi) ist. Vielleicht kann er ihr aus ihrer Misere helfen. Und der Sohn hätte einen Vater.
So weit, so bekannt. Der berühmte Defa-Film »Die Legende von Paul und Paula« (1973) von Regisseur Heiner Carow nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf ist Vorbild dieser im Zeitraffer auf der Studiobühne des Gorki-Theaters ablaufenden, einstündigen Schmalspurversion (Regie: Murat Dikenci). Neben den Originaldialogen werden die bekanntesten Songs vom Sohn gesprochen oder gemurmelt. Dazu gehört der Puhdys-Hit von Ulrich Plenzdorf, der ihn seinerzeit rasch aus dem Hohelied Salomos zusammenstellte: »Unsre Füße, sie laufen zum Tod. Er verschlingt uns und wischt sich das Maul. Unsre Liebe ist stark wie der Tod. Und er hat uns manch Übels getan.« Später, an passender Stelle, deklamiert der Sohn auch den anderen berühmten Refrain: »Geh zu ihr, und lass deinen Drachen steigen! He, he, he, deinen Drachen ... He, he, he, geh zu ihr!«
Die Bühne (Marilena Büld, auch Kostüme) ist ein spitz zulaufender Kasten mit zersprungenen Scheiben, blutrot gestrichenen Holzwänden und rotem Teppichboden. Eine Schiffskabine? Eine Schiffsschaukel? Paula stammt ja, wie wir wissen, aus einer Familie von Flussschiffern. Sie arbeitet allerdings nicht als Kassiererin wie die Film-Paula, sondern als Guide auf einem touristischen Ausflugsdampfer. Wenn sie ihre Ansage ein zweites Mal spricht, wird deutlich, dass hier nicht die märchenhaften Elemente aus dem Film gemeint sind. »Die Paula nimmt Kurs auf die Rummelsburger Bucht, Filmkulisse und Spiegel unserer Geschichte.« Die Handlung ist von den 1970ern in die 90er und in die Gegenwart transponiert: East Side Gallery ... Klubs ... Klubsterben.
Paula lernt Paul (Samuel Schneider) beim Tanzen kennen. Sie will vor der Ehe mit dem Schlagzeuger noch mal ein Fass aufmachen – und »kein kleines!« In Pauls dunkler Garage kommen sie sich näher. Paul trägt ein Hemd, das seine behaarte Brust in einem herzförmigen Ausschnitt frei lässt – eine Reminiszenz an das berühmte Foto, auf dem Paula Paul das Hemd auf dem Rücken zerreißt. Paula leuchtet ihm immer wieder mit der Taschenlampe aufs Herz, ihre Hände streicheln sich, und diese Zärtlichkeit wird als Schattenspiel groß an die Wand geworfen. Ja, das ist nett, dauert aber ziemlich lange. Anderntags sagt Paula: »Wir lassen es dauern, solange es dauert. Wir machen nichts dagegen und nichts dafür. Und wir fragen uns nicht allerlei Zeugs.«
Aber das stimmt nicht. Es kommt, wie es kommen muss. Paula, resolut und selbstbewusst, will mehr als Paul. Paul sieht sehr gut aus, ist aber ein angepasster, verheirateter Geschäftsheini. Erst will er nicht, dann will er doch – heutzutage nennt man das On-Off-Beziehung. Am Ende zerschlägt er mit der Axt Paulas Wohnungstür. »Ich habe noch nie jemanden so geliebt wie dich. Ich hab’ doch alles geopfert für uns: meine Familie, meine Karriere. Und jetzt? … Nichts … Jetzt ist alles weg ... Du hast mich verändert, Paula.« Gelegenheit, das zu beweisen, gibt es nicht. Paula ist schwanger und will das Kind, obwohl sie daran sterben könnte. »Sie wollten immer, dass ich die Pille nehme, Herr Professor, dass ich mich mit Hormonen vollballer, statt meiner eigenen Intuition zu vertrauen.«
Die Dialoge stimmen bis auf wenige Ausnahmen erstaunlich genau mit denen des Films von Plenzdorf und Carow überein. Aber alles, was an dem Defa-Kultfilm vielleicht gefiel, fehlt: die tragische Liebe allen Widerständen zum Trotz, die surrealen und die märchenhaften Elemente, das (Ost-)Berlinische, die Kritik an der DDR-Wirklichkeit, vielleicht an Abriss und gesichtslosen Neubauten, die späte Katharsis von Paul, dem feigen Karrieristen. Es fehlt der politische und soziale Kontext, es fehlt die versprochene Dekonstruktion des »romantisch verklärten« Films, die Entlarvung der »zutiefst toxischen Dynamik« dieser »auf den ersten Blick« »großen Liebesgeschichte«. Zurück bleibt nur der Plot: Frau liebt Mann, Mann will eigentlich nicht, dann doch, Blumen auf dem Bett, Frau stirbt – oder nicht? Am Ende der Inszenierung, die irgendwie abrupt endet, tanzt Paula ausgelassen mit ihrem Sohn zu Techno. Die hohen Erwartungen, die der Abendzettel mit einem feministischen Text von bell hooks weckt, werden nicht erfüllt. »Solange Männer über Frauen herrschen, kann es keine Liebe zwischen uns geben.«
Nächste Vorstellungen: 20.12., 31.12.
Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug
Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Bei ihm stimmte es
vom 19.12.2025 -
Die Pflicht, sich nicht mitschuldig zu machen
vom 19.12.2025 -
Verhandlungen
vom 19.12.2025 -
Nachschlag: Kapitalistischer Hai
vom 19.12.2025 -
Vorschlag
vom 19.12.2025