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Aus: Ausgabe vom 19.12.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Thailand und Kambodscha

Ein alter Konflikt

Thailand und Kambodscha: Fortgesetzte Angriffe und Gefechte trotz »Friedensabkommen« und Waffenruhe. Bangkok will Nachbarland militärisch schwächen
Von Satyajeet Malik
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Ein verletzter kambodschanischer Soldat in einem Lazarett nahe der Frontlinie (Ou Chrov, 14.12.2025)

Die erneute Eskalation im Grenzkonflikt zwischen Thailand und Kambodscha dauert nun schon zwei Wochen an, mit zahlreichen Opfern und Hunderttausenden Vertriebenen auf beiden Seiten. Damit sind sowohl der Ende Juli vereinbarte Waffenstillstand als auch das Ende Oktober unterzeichnete »Friedensabkommen« zunichte gemacht worden. Am Donnerstag bombardierte Thailands Armee mit der Grenzstadt Poipet erstmals dichtbesiedeltes Gebiet, wie das kambodschanische Verteidigungsministerium mitteilte. Aus Bangkok wurde der Angriff bis Donnerstag mittag noch nicht bestätigt.

Ziel der Attacken sei es, Phnom Penhs Streitkräfte »bis zu einem Punkt« zu schwächen, »dass Kambodscha für lange Zeit keine militärische Gefahr für Thailand darstellt«, sagte Bangkoks Militärchef Chaiyapruek Duangprapat in einem Fernsehinterview am Sonntag. Damit hat die aktuelle militärische Auseinandersetzung zwischen den beiden Nachbarstaaten bereits eine höhere Eskalationsstufe erreicht als die fünftägigen Gefechte im Juli.

Die angegriffene Stadt Poipet gilt als Zentrum der Kasinos – und der berüchtigten Onlinebetrugsindustrie Kambodschas. Laut Singapurs Nachrichtensender Channel News Asia werde in dem Geschäftszweig etwa die Hälfte des gesamten Bruttoinlandsprodukts des Landes erwirtschaftet. Bangkok behauptet, die Betrugszentren und Kasinos, in deren Betrieb neben Teilen der kambodschanischen Elite auch thailändische und chinesische kriminelle Netzwerke verwickelt sein sollen, seien Ziel der Angriffe – da sie auch militärisch genutzt würden.

Thailand ist seinem Nachbarland militärisch weit überlegen – die Armee verfügt über die dreifache Truppenstärke und weitaus modernere Waffen. Grund dafür ist neben der wirtschaftlichen Überlegenheit Bangkoks auch die traditionell enge Bindung an Washington. Doch Chinas Einfluss auf das Land hat in der jüngeren Vergangenheit zugenommen, Beijings wirtschaftliche Bedeutung für Bangkok stellt die der USA bereits längst in den Schatten. Da die Volksrepublik auch für Kambodscha der wichtigste Handelspartner und Kreditgeber ist, spielt das Land als Vermittler eine entscheidende Rolle. Beijing sieht seine Investitionen in beiden Staaten durch einen potentiell lang andauernden Krieg gefährdet und will seine ökonomische Vormachtstellung in Südostasien auch in politischen Einfluss übersetzen – und das Feld nicht den USA überlassen. Am Donnerstag kündigte das Land an, seine diplomatischen Anstrengungen zu erhöhen, um den »Frieden wiederherzustellen«, wie der katarische Sender Al-Dschasira berichtete. Die in der vergangenen Woche vom US-Präsidenten verkündete Waffenruhe wurde unmittelbar danach von Bangkok dementiert.

Klar ist: Das von Trump mit viel Pomp für sich reklamierte »Friedensabkommen« vom Oktober konnte die Ursachen des Konflikts nicht adressieren. Der Grenzstreit geht wie viele andere Konflikte dieser Art auf die Kolonialzeit zurück. 1863 wurde Kambodscha Teil der sogenannten französischen Kolonialföderation Indochina, zu der auch Laos und Vietnam gehörten. Auf der anderen Seite erstreckte sich das britische Indienreich bis nach Myanmar, das im Osten an Thailand (damals Siam) grenzte. Infolgedessen entging Thailand einer formellen Kolonisierung, da die beiden europäischen Mächte es zu einem Pufferstaat machten, um einen direkten Konflikt zwischen ihnen zu vermeiden.

1904 wurde die Grenze zwischen Siam und Französisch-Indochina durch einen Vertrag festgelegt, der 1907 geändert wurde, wobei die Franzosen Siam unter Druck setzten, drei Provinzen an Kambodscha zurückzugeben. Dazu gehörte auch Preah Vihear mit dem gleichnamigen Hindutempel. Als Kambodscha 1953 die Unabhängigkeit von Frankreich erlangte, stellte Thailand sofort den Status von Preah Vihear in Frage und argumentierte, dass die Karte von 1907, auf der der Tempel in Kambodscha verzeichnet war, ungültig sei. Allerdings entschied der Internationale Gerichtshof 1962 zugunsten Phnom Penhs, eine Entscheidung, die in Bangkok nie akzeptiert wurde. Im Laufe der Jahrzehnte kam es immer wieder zu Spannungen, die erneut eskalierten, nachdem Kambodscha 2008 die Aufnahme des Tempels in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes erreicht hatte – bis heute.

Die Regierungen in Bangkok und Phnom Penh heizen den Grenzstreit immer wieder an; auch weil sie sich davon wohl die Linderung ihrer innenpolitischen Krisen versprechen. Seit dem Ende der fast zehnjährigen Militärherrschaft im Jahr 2023 hatte Thailand bereits drei Premierminister, von denen der letzte vor wenigen Tagen zurückgetreten ist. Neuwahlen sind für den 9. Februar angesetzt. Das Land hat seit dem Ende der absoluten Monarchie im Jahr 1932 die weltweit meisten militärischen Putschversuche erlebt – 13 davon waren erfolgreich, neun erfolglos.

Bei den bevorstehenden Parlamentswahlen könnte die »linksgerichtete« People’s Party (PP) die absolute Mehrheit gewinnen. Die PP genießt große Unterstützung in der Bevölkerung, da sie Reformen befürwortet, durch die die Rolle des Militärs eingeschränkt werden soll. Es sind sogar Änderungen an den Gesetzen vorgesehen, die die mächtige Monarchie des Landes schützen. Da kommt den konservativen Eliten der Grenzkonflikt mit Kambodscha gelegen: Durch das Schüren des Nationalismus könnte die PP zurückgedrängt werden, um die Interessen des Militärs und der Monarchie zu verteidigen. Vor den Neuwahlen am 9. Februar ist deshalb nicht mit einer Waffenruhe zu rechnen.

Hintergrund: Der lange Schatten Washingtons

Während des gesamten Kalten Kriegs spielte die herrschende Clique in Thailand eine reaktionäre und pro-US-amerikanische Rolle. Direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten die USA ihre Präsenz in Thailand ausgebaut und es in ein »Sprungbrett« verwandelt, um »die untere Flanke der UdSSR« anzugreifen und ganz Asien zu erobern. Das Land wurde nicht nur vollständig für das US-Kapital geöffnet, das mächtige thailändische Militär arbeitete auch aktiv mit Washington zusammen, indem es eigene Soldaten schickte, um an der Seite der USA in deren Angriffskrieg gegen die Demokratische Volksrepublik Korea zu kämpfen. Das thailändische Militär soll auch Söldner entsandt haben, um den Krieg der USA gegen Vietnam zu unterstützen.

Von 1969 bis 1973 bombardierten die USA von ihren Stützpunkten in Thailand aus Kambodscha. Unter dem Codenamen »Operation Freedom Deal« soll das US-Militär 500.000 Tonnen Sprengstoff auf fast die Hälfte des Territoriums des Nachbarlands abgeworfen haben. Zwischen einer halben und einer Million Menschen wurden dabei getötet. Ziel der US-Angriffe war es, die Versorgungslinien zu zerstören, die das damalige Nordvietnam unter der Führung von Ho Chi Minh eingerichtet hatte, um Truppen und Gerät zu den Verbündeten im Süden zu schicken. 1970 übernahm das kambodschanische Militär unter Lon Nol mit Unterstützung der USA die Macht, bis 1975 nach einem langen Krieg die nationalistisch-kommunistischen Roten Khmer an die Regierung kamen.

Das thailändische Regime beteiligte sich auch an der Unterdrückung anderer nationaler Befreiungsbewegungen und Guerillakämpfe in der Region, darunter in Myanmar und Malaysia. Insgesamt sollen die USA während des Vietnamkriegs 300 Marine- und Luftwaffenstützpunkte, Landeplätze, Munitionsdepots und Treibstofflager sowie spezielle Ausbildungslager in Thailand betrieben haben. Die Beziehungen zwischen beiden Seiten waren so eng, dass Thanom Kittikachorn, Thailands Premierminister von 1963 bis 1973, sein Land als den 51. Bundesstaat der USA bezeichnete.

Heute ist Bangkok ein wichtiger Nicht-NATO-Verbündeter (Major Non-NATO Ally, MNNA) der USA. Der Status wurde Thailand 2003 gegeben. Die thailändischen Streitkräfte veranstalten zusammen mit der US-Armee jährlich die Militärübung »Cobra Gold«; es sind die größten Kriegsspiele, die das Pentagon im indopazifischen Raum organisiert. Doch die Beziehungen zwischen beiden Seiten gerieten 2014 aufgrund der US-Sanktionen und Kritik nach dem Militärputsch in Bangkok ins Stocken. Seitdem hat das südasiatische Land engere wirtschaftliche und sogar militärische Beziehungen zu China aufgebaut. (sm)

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