Wann kommt das neue Dokumentationszentrum?
Interview: Gisela Sonnenburg
Wo heute in Hamburg der Lohsepark liegt, lag früher der Hannoversche Bahnhof. Von dort aus deportierten die Hitlerfaschisten zahlreiche Menschen in Ghettos, KZ und Vernichtungslager. Darum sollen ein Gedenkort und ein Dokumentationszentrum im Lohsepark entstehen – so wurde es 2008 vom Hamburger Senat auf Druck von Verfolgtenverbänden beschlossen. Der Gedenkort wurde 2017 auch eingeweiht, aber der Bau des Dokumentationszentrums noch nicht begonnen. Warum nicht?
Der wesentliche Grund ist, dass der Senat die Verantwortung für den Bau des Dokumentationszentrums in die Hände des Investors Harm Müller-Spreer legte. Dabei hätte er nach einer früheren ähnlichen Vorgehensweise wissen müssen, dass mit Spekulanten keine angemessene Erinnerung an die NS-Verbrechen entstehen kann.
Warum ist gerade der Hannoversche Bahnhof als Erinnerungsort wichtig?
Er war ein zentraler Ort deutscher Verbrechen in der Nazizeit. Von dort wurden über 8.000 Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma in Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert. Das Dokumentationszentrum ist für die Aufarbeitung und die Erinnerung an die Nazizeit und ihren Folgen von herausragender gesellschaftlicher Bedeutung. Ein Vorteil dieses Ortes ist auch, dass er mitten in der Stadt liegt und Menschen im Alltag erinnern kann.
Ein erster Anlauf, das Dokumentationszentrum einzurichten, scheiterte bereits. Damals wollte der Investor es im Erdgeschoss eines Bürogebäudes plazieren. Doch weiter oben im selben Gebäude wurden Räume an die Wintershall DEA GmbH vermietet – eine Firma mit Nazivergangenheit. Es gab deshalb Proteste. Was war die Folge dieser Fehlplanung?
Das war keine Fehlplanung, sondern Vertragsbruch. Im Dauernutzungsvertrag zwischen Investor und Stadt war geregelt, dass das Gebäude nicht in einer Weise genutzt werden darf, die mit dem Dokumentationszentrum nicht vereinbar ist. Der Senat versuchte, mit einer Mediation eine Lösung herbeizuführen, was scheiterte. Die Verfolgtenverbände stiegen aus und erklärten, dass sie den Einzug der Wintershall Dea GmbH ablehnen. Letztlich einigten sich Senat und Investor darauf, dass Müller-Spreer der Stadt ein Gebäude an anderer Stelle am Lohsepark für das Dokumentationszentrum baut und schenkt.
Welches Konzept ist für das Dokumentationszentrum vorgesehen?
Es soll eine Dauerausstellung zu den Deportationen vom Hannoverschen Bahnhof geben, in der neben den Verfolgten auch die Menschen in den Blick genommen werden, die sich an den Verbrechen beteiligt, zugesehen und davon profitiert haben. Daneben wird es Räume für Bildungsarbeit, Veranstaltungen und Konferenzen geben. In Zeiten, in denen es immer weniger Zeitzeug*innen gibt und sich die Geschichte mit dem Erstarken von rechtsextremen Kräften zu wiederholen droht, braucht es genau solche Orte, die uns vor Faschismus und Krieg mahnen.
Die Fertigstellung des Dokumentationszentrums war für 2026 avisiert. Aber bis heute kam es nicht mal zur Grundsteinlegung. Eine Anfrage der Linke-Fraktion enthüllte, wieso nicht.
Aktuell geht es bei dem Projekt wegen eines Streits um Spendenquittungen zwischen dem »Schenker« Harm Müller-Spreer und der Stadt nicht weiter. Ich frage mich aber, ob es sich dabei nur um einen vorgeschobenen Grund von Müller-Spreer handelt, um das Dokumentationszentrum nicht bauen zu müssen.
Welchen Vorschlag machen Sie jetzt, damit das Dokumentationszentrum möglichst schnell gebaut und eröffnet werden kann?
Die Stadt soll den Bau und die Umsetzung des Dokumentationszentrums selbst in die Hand nehmen. In der letzten Bürgerschaftssitzung haben wir einen Antrag eingebracht, damit der Senat prüft, unter welchen Voraussetzungen das möglich ist. Leider haben SPD und Grüne den Antrag abgelehnt und nicht mal der Überweisung in den Kulturausschuss zugestimmt. Es braucht wohl leider wieder Druck von außen, damit der Senat seiner historischen und politischen Verantwortung gerecht wird.
Marco Hosemann ist Mitglied der Linke-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, außerdem Sprecher für Stadtentwicklung, Erinnerungskultur, Denkmalschutz, Tourismus und Bezirke
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