Vom Erinnern zum Verhindern
Von Elias Kaiser
Jorge João Gomondai kam im Alter von 18 Jahren als Vertragsarbeiter in die DDR. Wie so viele aus Mosambik arbeitete er in einem Schlachtbetrieb. Eines Nachts griff ihn eine Gruppe junger Neonazis in einer Straßenbahn an. Gomondai überlebte trotz mehrerer Notoperationen nicht. Er wurde am 6. April 1991 das erste Opfer rechter Gewalt in Sachsen nach dem Anschluss der DDR. Der in dem Jahr geborene Christopher W. wurde 27 Jahre später am Abend des 17. April 2018 auf brutale Weise in einem Abrisshaus am Güterbahnhof in Aue von zwei Bekannten ermordet. Weil die Ermittler von einem homosexuellenfeindlichen Tatmotiv ausgingen, wurde der Fall von den Behörden als rechte Gewalttat eingestuft. Christopher W. wurde damit zum bislang neuesten Todesopfer der extremen Rechten im Freistaat. Über ihn sowie über 15 weitere durch Faschisten begangene Morde klärt gegenwärtig eine Ausstellung im Foyer des Dresdner Gewerkschaftshauses auf. Unter dem Titel »Erinnern heißt verhindern« haben Schülerinnen und Schüler der 107. Oberschule und des Gymnasiums Dresden-Plauen die Schautafeln gestaltet.
Während der Eröffnungsveranstaltung am vergangenen Freitag erklärte eine der beteiligten Schülerinnen, die Ausstellung solle Raum geben für Erinnerung. Man dürfe bei rassistischen Übergriffen nicht wegsehen, lautet die Botschaft der Schülergruppe. Die zunehmende Stärke der extremen Rechten mache den Jugendlichen Sorgen, erklärte ein anderer Schüler. Es gehe nicht nur darum, »Täter zu nennen, sondern den Fokus auf die Opfer rechtsextremer Gewalt zu legen«, hielt eine weitere an der Erarbeitung der Ausstellung beteiligte Schülerin fest. Sie solle »Geschichten sichtbar machen und zeigen, wie aktuell das Thema immer noch« sei.
Ausführlich beschrieben werden die beiden Fälle der in Dresden Ermordeten. Unter ihnen auch Marwa El-Sherbini, die 2008 in einem Gerichtssaal von dem Mann erstochen wurde, den sie wegen rassistischer Beleidigungen angezeigt hatte. El-Sherbinis Sohn war während des Angriffs anwesend, ebenso ihr Mann, der von einem Bundespolizisten angeschossen wurde, als er seiner bedrängten Ehefrau zu Hilfe eilen wollte, die damals gerade mit ihrem zweiten Kind schwanger war.
Aber auch Fälle aus sächsischen Kleinstädten werden umfassend geschildert, wie jener von Mike Zerna, der 1993 den Überfall von Neonazis auf den Klub »Nachtasyl« in Hoyerswerda nicht überlebte. Die später festgestellten Täter schlugen ihn zusammen und kippten anschließend ein Transportfahrzeug auf ihr wehrloses Opfer. Mike Zerna starb sechs Tage später im Krankenhaus an seinen Verletzungen. Doch die von den Schülern in Form einer Ausstellung erzählten Geschichten berichten auch von mutigem Handeln. Beispielsweise von Peter T., der sich 1995 während eines Ausflugs an einen Stausee bei Hohenstein-Ernstthal Neonazis entgegenstellte, die Migrantinnen und Migranten gejagt hatten. Acht von ihnen prügelten T. daraufhin zu Tode. Oder von Achmed Bahir, der 1996 Verkäuferinnen in einem Leipziger Gemüseladen zu Hilfe eilte, die von Nazis angegriffen worden waren. Seine Courage bezahlte Bahir mit seinem Leben, als einer der Täter mit einem Messer auf ihn einstach.
Den Fall Achmed Bahir thematisierte auch Professor Hajo Funke in seinem Vortrag, mit dem die Ausstellung schließlich eröffnet wurde. Als Erforscher der extremen Rechten hatte sich Funke durch seine Arbeit zur Aufklärung des NSU-Komplexes einen Namen gemacht. Er machte auch die »Höcke-AfD« für die steigende Anzahl von »rechtsextremistisch« motivierten Straftaten verantwortlich. Die vom Thüringer Fraktions- und Landesvorsitzenden der Partei verbreitete rassistische Hetze trage Funke zufolge dazu bei, dass sich Täter nach rechts radikalisieren würden.
Den Schülerinnen und Schülern dankte Funke für deren Engagement und betonte, dass die erarbeiteten Materialien von vielen zu sehen sein würden und damit dazu beitrügen, das Problem kenntlich zu machen. Die Ausstellung ist noch bis Ende Januar 2026 im Foyer des Gewerkschaftshauses von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends zugänglich.
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