Einzäunen hilft nicht
Von Uwe Krüger
Im Oktober meldete die Welt: »So stürzt das Wildschwein Deutschland in ein Dilemma.« Die genannten Fälle, die Menschen direkt betreffen, wie zum Beispiel zerwühlte Gärten oder Wildschweine, die in Swimmingpools baden, vernachlässigten aber eine schwerere indirekte Folge: Mit dem Einzug der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in heimische Wildschweinbestände ließ sich das deutsche Schweinefleisch weniger gut exportieren. Wegen dieses Dilemmas entstanden vor einigen Jahren wieder Zäune an Deutschlands Grenzen, vor allem entlang von Oder und Neiße.
Die ASP trat 2007 in Georgien das erste Mal mit Wucht auf. Von dort breitete sich die Seuche aus, die für Wild- und Hausschweine fast immer tödlich endet, für die menschliche Gesundheit aber ungefährlich ist. In westliche Richtung erreichte die ASP 2014 die EU-Länder Litauen und Polen. Nachdem die ASP auch den Westen Polens erreicht hatte, begann man auf der deutschen Seite die Grenze zu sichern: In Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wurden auf weit mehr als 1.000 Kilometern mindestens 1,20 Meter hohe und stabile Knotengeflechtzäune aufgestellt. Doch Wildschweine sind gut darin, kleine Schwachstellen in Zäunen zu finden und sie auszunutzen, um durchzubrechen. Zudem werden die ASP-Zäune an vielen Stellen von Straßen, Feld- und Waldwegen sowie Fließgewässern unterbrochen. Daher wurde diese erste »Verteidigungslinie« schnell durchbrochen. Interessanterweise vollzog sich die Ausbreitung eher in »Sprüngen« – neue Seuchenherde tauchten wiederholt nicht in unmittelbarer Nähe der Zäune, sondern viele Kilometer westlich davon auf. Damit bestätigte sich der Verdacht, dass ein sehr entscheidender »Vektor« bei der Verbreitung der ASP der Mensch ist.
Behördenintern werden typische Szenarien des weiteren Infektionsgeschehens durchgespielt: etwa wenn Fernfahrer aus Osteuropa Stullen mit infizierter Wurst mitführen, die dann über den Müll auf Rastplätzen zu heimischen Wildschweinen gelangen, wenn innerhalb Deutschlands Schweine von »ferkelproduzierenden Betrieben« zu »Mastbetrieben« und am Ende der Mast zu den Schlachthöfen transportiert werden, wenn Tierärzte von Stall zu Stall fahren oder wenn Jäger ein infiziertes Wildschwein erlegt haben und die Schlachtabfälle irgendwo in der benachbarten Natur entsorgen. Es gibt zwar klare Verhaltensregeln, die eine solche Verschleppung von Erregern verhindern sollen, doch werden sie offenkundig nicht in allen Fällen beachtet.
Mittlerweile hat sich die ASP bis nach Hessen, Rheinland-Pfalz und NRW ausgebreitet. Auch dort werden jetzt in altbekannter Manier ASP-Zäune gebaut – obwohl sich in Ostdeutschland bereits gezeigt hat, dass sie nur sehr eingeschränkt Wirkung zeigen, und dort in vielen Regionen schon zweite und dritte »Verteidigungslinien« errichtet werden mussten. Diese Zäune ziehen auch »Kollateralschäden« nach sich. So können etwa erwachsene Rothirsche die 1,20 Meter hohen Zäune im Prinzip problemlos überspringen, doch für ihre Kälber sind sie eine unüberwindbare Barriere. Bei einem Oderhochwasser werden Hasen und Rehe durch die Zäune daran gehindert, trockene Rückzugsorte zu erreichen – und wenn Wildtiere doch versuchen, den Zaun zu überwinden, können sie sich dabei verletzen oder sogar sterben.
Mit anderen Maßnahmen konnten in den östlichen Bundesländern mehr Erfolge bei der Bekämpfung der ASP erzielt werden, beispielsweise mit der Verordnung einer Jagdruhe im engeren Umkreis neuer Ausbrüche, der Suche nach Kadavern mit speziellen ASP-Suchhunden und einer Reduzierung von Wildschweinen im weiteren Umfeld von Ausbrüchen. Dennoch können die ASP-Ausbrüche nicht ganz eingedämmt werden – mit zum Teil schweren Konsequenzen für die Hausschweinbestände: Infizierte Betriebe haben ihren gesamten Bestand zu »keulen«, und der Transport von Schweinen innerhalb von amtlich festgelegten »Sperrzonen« und dort hinaus ist verboten.
Immerhin können erste Wildschweinzäune in Sachsen und Brandenburg bereits wieder abgebaut werden. Die Veterinärbehörden müssen nun kritisch auswerten, ob die Folgen für alle Wildtiere und die hohen Kosten für den Auf- und Abbau der Zäune in einem vernünftigen Verhältnis zu ihrem geringen Erfolg stehen. Allerdings ist die Bekämpfung von Tierseuchen eine Kernzuständigkeit der EU – was schnelle Veränderungen wahrscheinlich ausschließt.
Zudem ist die ASP in Polen und in den südosteuropäischen EU-Staaten nach wie vor verbreitet. Hier fehlt den Behörden oft der Überblick über die Bestände, und ihre Maßnahmen treffen auf den Widerstand einer größeren Zahl betroffener Menschen, da es dort noch eine größere Zahl an privaten Schweinehaltern gibt, die ein paar Tiere in ihren Hinterhöfen halten. Aufgrund der anhaltenden Gefahr durch die ASP sollen daher die Zäune am westlichen Ufer der Oder zunächst auch nicht demontiert werden. Angesichts des Seuchenreglements, das für die ganze EU einheitlich gilt, wirft das aber die Frage auf, warum es auf der polnischen Seite der Oder so gut wie keine Wildschweinzäune gibt. Es wundert daher nicht, dass die ASP auch zu politischen Konflikten zwischen den Staaten führt.
Was die Zukunft angeht, wird der »einheitliche europäische Markt« die Bekämpfung der ASP nicht erleichtern. Durch den gestiegenen Grenzverkehr kommen auch immer mehr hausgeschlachtete Fleischwaren aus Südosteuropa, sei es, weil Deutsche sich in Polen und anderswo mit billiger Wurst eindecken, sei es, weil Pendler, die in Deutschland arbeiten, sie mitbringen. Nicht wenige Pendler arbeiten übrigens für genau die Forstbetriebe, die in den Wäldern unter anderem Wildzäune errichten.
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