Widerständig, ein Leben lang
Von Dieter Reinisch
Über die Jahre verbrachte ich zu Studienzwecken viel Zeit in einem kleinen, feuchten Büro hinter einem Straßengeschäft an der Falls Road. Es war das Büro von Republican Sinn Féin (RSF) in der Provinz Ulster, einer Gruppe, die sich 1986 aufgrund politischer Differenzen von Sinn Féin abgespalten hatte. In dem sonst verwaisten kleinen Belfaster Büroraum drängten sich im Frühjahr 2009 ein Dutzend Fernsehteams. Am 9. März war der nordirische Polizist Stephen Carroll bei einem Anschlag militanter Republikaner in Craigavon getötet worden. Er war der erste Polizist, der seit dem Karfreitagsabkommen 1998 bei einem republikanischen Anschlag ums Leben kam. Die Continuity IRA (CIRA), die sich als Nachfolgegruppe der Irish Republican Army versteht, bekannte sich zu dem Attentat.
Vor der Presse saß der damalige RSF-Sprecher Richard Walsh. Neben ihm junge Frauen und Männer aus Craigavon. Sie berichteten von der enormen Repression gegen die Linksrepublikaner seit dem Attentat. Im Nebenraum stand eine Gruppe von Frauen und kochte Tee. Mit verschränkten Händen beobachtete RSF-Vizepräsidentin Geraldine Taylor das Geschehen. Sie hatte das Sagen im Büro. Mit strenger Miene beobachtete sie »ihre Frauen« und hörte den jungen Leuten bei der Pressekonferenz zu. Am 24. November starb die frühere Oberbefehlshaberin der republikanischen Frauenorganisation Cumann na mBan in Belfast.
Meist saß Taylor in ihrem großen Ledersessel am Schreibtisch und trank Tee. Ihren Sitz machte sie nur frei für den CIRA-Oberbefehlshaber Tommy Crossan, der Jahre später, kurz vor Ostern 2014, in Belfast von einer anderen republikanischen Gruppe erschossen wurde. Sie hielt nicht viel von ihm, auch wenn beide ehemalige IRA-Gefangene waren. Aber vom damaligen RSF-Präsidenten Des Dalton hielt sie noch weniger, denn er hatte keine militärische Vergangenheit. Mit ihm sprach sie nur außerhalb des Büros im Stehen – für Taylor stand der bewaffnete Flügel immer über dem politischen.
Von Politik hielt sie wenig, »die führt immer nur zur Kapitulation«, sagte sie mir in einer Interviewserie 2010. Ich schrieb damals an meinem Buch »Die Frauen der IRA«. Streng anonymisiert nannte ich sie »Eithne«.»Immer wenn die Armee (IRA) etwas brauchte, haben wir sie unterstützt, aber wir blieben immer unabhängig – nicht loyal zur Armee, sondern loyal zum republikanischen Kampf.« 1986 trennte sie sich von Sinn Féin, der Partei, der sie formell erst ein Jahr zuvor beigetreten war, »weil es mir gesagt wurde«. Über viele Jahre hinweg war sie das Gesicht einer kleinen Gruppe republikanischer Dissidenten, die sich dem Friedensprozess widersetzten.
Taylor hatte zumeist einen strengen Blick – selten sah man sie lächeln. Sie sprach nie über ihren Aktivismus – kaum jemand wusste daher von ihrem enormen Beitrag im bewaffneten Kampf der 1970er und 80er Jahre: »Weil Frauen niemals sprechen, kennt uns niemand, und wir konnten immer unsere Arbeit machen, ohne viele Gefangene zu haben.« Nur für republikanische Gefangene und ihre Familien hatte Taylor, selbst ehemalige Gefangene, Zeit und Sympathien. Für viele wirkte Taylor wie ein Relikt des 20. Jahrhunderts. Aber sie war eine der letzten Republikanerinnen, die die Tradition des bewaffneten Kampfes einer streng disziplinierten Untergrundarmee bis weit ins 21. Jahrhundert fortführte. Bis zuletzt hielt sie daran fest: Nur der militante Kampf der Frauen an der Seite der IRA könne eine vereinte Republik herbeiführen. Das Gedenkkomitee für die irischen republikanischen Märtyrer kondolierte mit den Worten: »Irland hat einen der letzten wirklich treuen Menschen verloren.«
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