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Aus: Ausgabe vom 04.12.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Österreich

Selbstbedienungsladen WKÖ

Pflichtmitgliedschaft und Zwangsabgaben: Wirtschaftskammersystem steht unter »Reformdruck« – schärfste Kritik von Neoliberalen und Rechten
Von Oliver Rast
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Hinter der Fassade: Aufgeblähter Verwaltungsapparat und exorbitant hohe »Entschädigungen« für Funktionäre

Sie produzieren vor allem eines: Skandale und Schlagzeilen – und das seit einem Monat. Die Bosse der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), der wichtigsten Lobbyorganisation des österreichischen Kapitals mit Sitz in Wien. Sattes Lohnplus für WKÖ-Beschäftigte, exorbitant hohe Funktionärsentschädigungen, aufgeblähter Verwaltungsapparat, Zwangsmitgliedschaft und teure Kammerumlagen für Unternehmen – kurz: die WKÖ als Selbstbedienungsladen, Postenversorgungsstelle und De-facto-Parallelorganisation der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP).

Kein Wunder, dass die interimistische WKÖ-Präsidentin Martha Schultz nach dem Abgang von Vorgänger und »Multiverdiener« Harald Mahrer um Schadensbegrenzung bemüht ist. Sie fürchtet weiteren Ansehensverlust – und steht unter Zugzwang, muss »Reformen« anstoßen, berichtete der Standard am Montag.

Gelegenheit dazu gab es am 27. November bei der turnusmäßigen Herbsttagung des Wirtschaftsparlaments der WKÖ. Dort sitzen das Präsidium der Bundeskammer, die Präsidenten der neun Landeskammern sowie die Mitglieder der Spartenvertretungen. Zusätzlich sind die politischen Fraktionen vertreten, darunter Wirtschaftsbund, Industrie-Liste, Sozialdemokratischer Wirtschaftsverband (SWV), Freiheitliche Wirtschaft (FW), Grüne Wirtschaft und Unos – Unternehmerisches Österreich.

Besonders im Blick der Kritiker: Zwangsmitgliedschaft und Kammerumlagen. Wer ein Gewerbe anmeldet oder ein Unternehmen gründet, wird automatisch Mitglied und muss Beiträge (Kammerumlagen) leisten. Mit den Pflichtabgaben wird die Arbeit der WKÖ – aus früheren Gewerbevereinen und Handelskammern hervorgegangen – finanziert.

Die Fraktionen hätten den Startschuss für die Umsetzung eines »umfassenden Reform- und Evaluierungspakets« gegeben, hieß es aus der WKÖ-Pressestelle. Ein erster Zwischenbericht soll dem Wirtschaftsparlament im ersten Halbjahr 2026 vorgelegt werden. Sind damit die Konflikte vom Tisch? Sicher nicht. Denn bislang sind nur höhere »Entschädigungen« für Funktionäre eingefroren und überdurchschnittliche Lohnerhöhungen für die rund 5.800 WKÖ-Beschäftigten halbiert worden. Und die Tourismusunternehmerin Schultz erklärte gegenüber dem Standard lediglich: »Es wird Dinge geben, die wir nicht mehr weiterführen.« Aber: Pflichtmitgliedschaft und Zwangsabgaben bleiben tabu – letztere jedenfalls im Grundsatz, wenn auch womöglich gesenkt.

Während der ÖVP-nahe Wirtschaftsbund, der die WKÖ seit Jahrzehnten dominiert, die Rolle der Wirtschaftskammer als »Haus, das funktioniert« verteidigt, bleibt das Gros der Fraktionen skeptisch. So fordert der SWV mittels »Zehnpunkteplan« straffe Verwaltungsprozesse und volle Transparenz bei Gehältern sowie eine Entlastung bei den Kammerumlagen. Ähnlich äußerte sich Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, und: »So, wie die Kammer jetzt agiert, kann es nicht weitergehen.« Der gemeinsame Reformbeschluss gebe aber endlich »grünes Licht« für Veränderung.

Schärfer argumentieren Unos und FW. Die den neoliberalen Neos nahestehenden Firmenchefs sehen im Abgabensystem einen Standortnachteil für Österreich. Ferner fordern sie eine Urabstimmung über die Pflichtmitgliedschaft. Und nicht zuletzt müssten die WKÖ-Rücklagen in Milliardenhöhe zugunsten von Gewerbetreibenden, Unternehmern und Selbständigen reduziert werden.

Deutlicher reagierte die rechte FPÖ samt parteinaher Kapitalfraktion. Mit »Gagenexzessen, Privilegienstadel und ÖVP-Pfründesystem« müsse Schluss sein. Die Interessen der Unternehmer dürfen nicht »Berufsbürokraten und Abkassierern« überlassen werden. Deshalb: Abschaffung von Zwangsmitgliedschaft und -gebühren.

Fakt ist, der »Reformdruck« lastet weiter auf der WKÖ. Zehn Wirtschaftskammern, zehn Präsidenten, 45 Vize und rund 10.000 Funktionäre in 865 Fachorganisationen plus knapp 6.000 Zuarbeiter. Fürwahr, ein Klientelkoloss, der vor allem eines schafft: sich selbst zu reproduzieren.

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