Blockade der Industriestaaten
Von Wolfgang Pomrehn
Eines der Ergebnisse der diesjährigen UN-Klimakonferenz, die im November im brasilianischen Belém tagte, ist sicherlich, dass die Fronten klarer denn je sind. Die USA scheinen vom hinhaltenden Widerstand gegen internationalen Klimaschutz zum Boykott der Verhandlungen übergegangen zu sein, indem sie ihnen erstmalig gänzlich fernblieben; der Auftritt der Bundesregierung war kaum besser. Bundeskanzler Friedrich Merz machte eine Stippvisite in der Stadt an der Amazonasmündung und hatte es erklärtermaßen eilig, wieder wegzukommen. So eilig, dass er keine Zeit fand, in seiner dortigen Rede die zentrale Frage des Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Brennstoffe zu erwähnen. Statt dessen fiel er durch reichlich arrogante Äußerungen über das Gastgeberland auf, die sicherlich beste Werbung für die deutsche Exportindustrie gewesen sein dürften.
Viele Gespräche in den Gängen und hinter verschlossenen Türen drehten sich um zwei Themen, die Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva im Vorfeld der Konferenz aufgebracht hatte, die jedoch nicht in der offiziellen Tagesordnung zu finden waren: Wie kann die weitere Entwaldung des Planeten gestoppt werden, und ist eine Einigung auf einen Zeitplan für den Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas möglich? Zu letzterem passte natürlich schlecht, dass Brasilien wenige Wochen vor der Konferenz neue Lizenzen für die Erdölexploration vor seiner Küste vergeben hatte. Letztlich schaffte es der von Brasilien geforderte Zeitplan denn auch nicht in die Abschlusserklärung, wofür vermutlich unter anderem die Rekordzahl von rund 1.600 registrierten Lobbyisten der Erdöl- und Gasindustrie gesorgt haben dürfte, von denen viele als Teil von Regierungsdelegationen mit am Verhandlungstisch saßen.
In den letzten Stunden der wie üblich überzogenen Verhandlungen war heftig gerungen worden, ob die fossilen Energieträger in den Abschlussdokumenten überhaupt Erwähnung finden. Die brasilianische Tagesleitung hatte sie nach erheblichem Widerspruch – eine Koalition von Erdölproduzenten unter der Führung Saudi-Arabiens hatte ihr Veto angedroht – aus den Texten gestrichen, woraufhin sich massiver Protest unter anderem von Kolumbien, Panama und Uruguay regte. Kolumbiens Verhandlungsführerin Irene Vélez verwies nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters darauf, dass die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas mit Abstand die wichtigste Ursache der Klimaveränderungen ist und ihr Land daher keinem Verhandlungsergebnis zustimmen könne, das die Wissenschaft ignoriert. »Ein durch Leugnung der Klimawissenschaften erzwungener Konsens ist ein gescheitertes Abkommen«, so die kolumbianische Ministerin.
Ein russischer Delegierter hatte, so die Nachrichtenagentur, den Gegnern verwässerter Abschlussdokumente hingegen vorgeworfen, sich wie Kinder zu verhalten. Verschiedene lateinamerikanische Delegationen fassten dies als Beleidigung auf, was in Verhandlungen, die einvernehmlich abgeschlossen werden müssen, nicht gerade vorteilhaft ist. Doch nachdem Tagungspräsident André Aranha Corrêa do Lago schließlich die Delegierten der brasilianischen Nachbarn in kleiner Runde noch einmal beschworen hatte, gaben diese ihren Widerstand schließlich auf. Auch die EU-Delegation, die die Verhandlungen wie gewöhnlich stellvertretend für ihre Mitglieder führte, ließ ihre Bedenken beiseite. Der Beschluss gehe in die richtige Richtung, so EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra.
Immerhin hat sich die EU aber der brasilianischen Initiative angeschlossen, nun zunächst außerhalb des formalen Verhandlungsrahmens einen Zeitplan für den Übergang weg von den fossilen hin zu erneuerbaren Energieträgern zu erarbeiten. Im April 2026 wird es dazu ein Gipfeltreffen geben, und das Ergebnis soll dann auf die Tagesordnung der nächsten UN-Klimakonferenz gesetzt werden. Insgesamt unterstützen rund 80 Länder den brasilianischen Vorschlag, darunter auch Erdölexporteure wie Mexiko und Norwegen. Allerdings repräsentieren diese Staaten nach einer Analyse des Fachinformationsdienstes Carbon Brief nur sieben Prozent der weltweiten Gas- und Erdölförderung.
China, von dem einige gehofft hatten, dass es angesichts seines atemberaubenden Tempos beim Ausbau der Solar- und Windenergie sowie der Elektrifizierung des Verkehrssektors eine führende Rolle in den Verhandlungen übernehmen würde, gehört indes nicht zu den Unterstützern des brasilianischen Vorschlags. Nach wie vor verweist man in Beijing gerne und nicht zu unrecht darauf, dass die alten Industrieländer vorangehen müssen. Was das Land allerdings nicht davon abhält, die Länder des Südens mit immer größeren Mengen preisgünstiger Solaranlagen zu versorgen.
Auch in Sachen Entwaldung sucht Brasilien eine »Koalition der Willigen«. Kurz vor Konferenzbeginn wurde ein internationaler Waldfonds vorgestellt, die »Tropical Forests Forever Facility«, mit dem Länder für den Schutz ihrer Wälder belohnt werden sollen. Staaten sollen in den Fonds 25 und private Anleger weitere 100 Milliarden US-Dollar (21,5 und 86 Milliarden Euro) einzahlen. Das Geld soll dann an den Finanzmärkten Gewinn abwerfen. Die Initiatoren erhoffen sich einen Betrag von vier Milliarden US-Dollar jährlich, der an Länder ausgeschüttet wird, die ihre Entwaldungsrate unter 0,5 Prozent drücken können. Brasilien hat bereits eine Milliarde US-Dollar (etwa 870 Millionen Euro) zugesagt.
Berlin will eine Milliarde Euro einzahlen. Nun sollen es also die Finanzmärkte richten, während andererseits das EU-Parlament kurz nach der Konferenz in Belém den Vorschlag der EU-Kommission abnickte, die Waldschutzverordnung der Gemeinschaft aufzuschieben. So wird es für Importeure vorerst keine Verpflichtung geben, dass ihre Produkte wie Holz, Kakao oder Gummi nicht auf Kosten des Regenwaldes hergestellt wurden.
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