Gegründet 1947 Dienstag, 2. Dezember 2025, Nr. 280
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 02.12.2025, Seite 11 / Feuilleton
Oper

Extreme Gefühle

Umberto Giordanos »Fedora« an der Deutschen Oper Berlin
Von Kai Köhler
11.jpg
Die Angst singt mit

Manche Erfolgsopern geraten irgendwann in Vergessenheit. Zu ihnen zählt Giordanos »Fedora«, nach einem Theaterstück von Victorien Sardou, der auch die Vorlage für Giacomo Puccinis »Tosca« geschrieben hat. Nach der Uraufführung 1898 war »Fedora« häufig und auf großen Bühnen zu sehen. Die Besetzungen waren oft prominent, Enrico Caruso erlebte in der männlichen Hauptrolle seinen ersten großen Triumph. Nach 1930 wurden Aufführungen jedoch selten.

Das liegt mit Sicherheit nicht an der Handlung, die auf knappe drei Akte und gut 100 Opernminuten zusammengedrängt ist. Der russischen Fürstin Fedora Romazov wird am Vorabend ihrer Hochzeit der Verlobte weggeschossen. Rachegierig reist sie dem flüchtigen Verdächtigen, Loris Ipanov, bis Paris nach, wo sie – unerkannt – von ihm ein Geständnis erhält. Als sie schon alles arrangiert hat, um ihn festnehmen und verschleppen zu lassen, erfährt sie von Loris, weshalb er geschossen hat: Er erwischte den Verlobten im Bett mit seiner Frau. Fedora erkennt sich als Betrogene, Liebe flammt auf, und sie flieht mit Loris vor der selbstgestellten Falle in die Schweiz. Dort lebt das Paar für kurze Zeit im Glück, bis Loris erfährt, dass an seiner Stelle sein Bruder gefangengesetzt wurde und in der Haft umgekommen ist; Vater des von ihm Getöteten war ein rachsüchtiger Polizeichef. Loris’ Mutter ist vor Gram gestorben. Wer ist die Verräterin in Paris, die Bruder und Mutter getötet hat, fragt sich Loris, der die Zusammenhänge nicht kennt. Ob er der Schurkin nicht verzeihen könne, fragt Fedora, die sehr gut weiß, was sie getan hat. Nein! donnert Loris, Fedora nimmt Gift, zu spät wird ihr Geliebter versöhnlich.

Mögliche politische Kritik an Machtmissbrauch ist sogleich abgemildert; der Polizeichef wurde nach dem Tod des Gefangenen entlassen. »Fedora« ist ganz auf Oper als Genuss extremer Gefühle hinkomponiert. Die Handlung bietet Anlässe genug. Die Deutsche Oper Berlin hat mit Riccardo Zandonais »Francesca da Rimini« und Ottorino Respighis »La fiamma« gezeigt, dass es in der italienischen Oper nach Verdi und neben Puccini manches zu entdecken gibt. Gilt dies auch für »Fedora«?

Giordano setzt sein farbenreiches Orchester harmonisch und melodisch durchaus geschickt ein, Dirigent John Fiore vermittelt mit sängerfreundlicher Zurückhaltung. Die Dramaturgie ist straff und, mit dankbaren Nebenrollen, dennoch ensemblefreundlich. Es gibt keine langen Arien, die den Fortgang verzögern, doch kurze und durch den Verlauf motivierte Solopassagen, die es den Hauptrollen erlauben zu glänzen. Langeweile kommt nie auf, weil die Oper auf Kontraste setzt. Im Paris- und Schweiz-Akt gibt es heitere Zwischenszenen, im Schweiz-Akt schaltet Giordano mehrfach ein volksliedhaftes, melancholisch-idyllisches Knabensolo ein, um die Katastrophe des Liebespaars Fedora – Loris um so wirksamer hereinbrechen zu lassen.

Man merkt, wie kalkuliert all das ist – und ist man darum verstimmt? Ja, ein wenig. Aber dass jemand Dramaturgie kann und sie einsetzt, um das Publikum zu bewegen, ist ja heutzutage auch nicht eben wenig. Ein Mangel ist allerdings, dass bis kurz vor Schluss die Figuren zuwenig an Individualität gewinnen. Puccini weiß schon im ersten Akt seiner ähnlich verknappten »Tosca« den Hauptfiguren ein ganz eigenes Profil zu geben, auch deshalb zündelt er wirksame Gefühlsexplosionen herbei.

Die Deutsche Oper kann sich auf exzellente Sänger stützen. In der Titelrolle vermittelt Vida Miknevičiūtė alle Facetten Fedoras. Nicht ohne Grund umjubelt war Jonathan Tetelman als Loris. Sein Tenor war kraftvoll, ohne zu forcieren, farbenreich und klar, emotional ohne Sentimentalität; nur trat das Zerbrechliche der Figur in den Hintergrund. Den heiteren Kontrast zur Haupthandlung vertrat Julia Muzychenko als emigrierte russische Gräfin. Tobias Kehrer ließ mit seinem Bass den Petersburger Polizeioffizier gerade dadurch bedrohlich erscheinen, dass er seine Fragen freundlich zurücknahm.

Regisseur Christof Loy machte klar, dass die Bediensteten des Ermordeten bei ihrer Befragung Grund zur Angst hatten; schließlich weiß er in Gruppenszenen allen Figuren ein eigenes Profil zu geben. Seine detailfreudige Arbeit hatte nach Stationen in Stockholm bereits 2016 und Frankfurt am Main 2022 nun in Berlin Premiere. Herbert Murauer hat ihm einen großen Salon als Bühne gebaut, mit einem großen Rahmen im Hintergrund, der sich im Schweiz-Akt zum Bild einer scheinbaren Idylle weitet. Im ersten Akt werden fleißig Videos in den Rahmen projiziert, die – Seltenheit! – tatsächlich mehr als modische Zutaten sind. Sie zeigen teils Fedoras Emotionen in Großaufnahme, teils bringen sie Vorgänge in Nebenräumen und verdichten so die Ereignisse weiter. Die Personen bewegen sich bei Loy ganz im Einklang mit Handlung und Musik. Das gilt sogar dort, wo er einen Kontrapunkt setzt, etwa am Ende, wenn von einer Versöhnung zwischen Loris und der sterbenden Fedora die Rede ist. Statt Nähe zu zeigen, bewegt sich Fedora hier aus dem Bühnenraum hinaus; es ist zu spät, Loris vermag sie nicht zu halten. Diese Aufführung ist nahe am Bestmöglichen. Ob das reicht, »Fedora« ins Repertoire zurückzubringen, bleibt abzuwarten.

Nächste Aufführungen: 2., 5., 7.12.

Friedenspropaganda statt Kriegsspielzeug

Mit dem Winteraktionsabo bieten wir denen ein Einstiegsangebot, die genug haben von der Kriegspropaganda der Mainstreammedien und auf der Suche nach anderen Analysen und Hintergründen sind. Es eignet sich, um sich mit unserer marxistisch-orientierten Blattlinie vertraut zu machen und sich von der Qualität unserer journalistischen Arbeit zu überzeugen. Und mit einem Preis von 25 Euro ist es das ideale Präsent, um liebe Menschen im Umfeld mit 30 Tagen Friedenspropaganda zu beschenken.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Seitdem Open AI die neue Video-App »Sora 2« veröffentlicht hat, ...
    08.11.2025

    »Das Urheberrecht stammt aus der analogen Welt«

    Über den Schutz des geistigen Eigentums in der DDR und dessen Niedergang in Zeiten des Internets und der künstlichen Intelligenz. Ein Gespräch mit Artur Wandtke
  • »Seht ihr’s nicht? Immer lichter wie er leuchtet, sternumstrahle...
    07.11.2025

    Am Seil

    Berliner Premiere von Michael Thalheimers »Tristan und Isolde«-Inszenierung an der Deutschen Oper
  • »Tausend in Tempelhof«: Riesenschwarte im Riesenhangar
    30.09.2025

    Spektakel der Erlösung

    Der Generalmusikdirektor der Komischen Oper Berlin James Gaffigan dirigiert Gustav Mahlers monumentale achte Sinfonie im Hangar 4 des Flughafens Tempelhof

Mehr aus: Feuilleton