Klein, aber fein
Von Gerrit Hoekman
Curaçao im Ausnahmezustand! Die Karibikinsel feiert ihre Fußballnationalmannschaft, die sich vergangene Woche mit einem torlosen Unentschieden in Jamaika sensationell für die Weltmeisterschaft 2026 in Mexiko und Nordamerika qualifiziert hat – zum ersten Mal in der Geschichte. Bisher war das Urlaubsparadies vor allem für seine schneeweißen Sandstrände und den blauen Likör Blue Curaçao bekannt. Mit Fußball brachte man das Land kaum in Verbindung.
Mit geschätzten 155.000 Einwohnern ist Curaçao das mit Abstand kleinste Land, das jemals an einer WM teilgenommen hat. Entsprechend stolz sind die Einheimischen. Tausende jubelten in Willemstad ihren Helden zu, die bei 30 Grad im Schatten im offenen Bus vom Flughafen aus durch die Hauptstadt der Insel fuhren. Manche Fans und Spieler vergossen Freudentränen. Bereits kurz nach dem Schlusspfiff der entscheidenden Partie in Jamaika feierten die Menschen ausgelassen auf den Straßen.
Auch im rund 8.000 Kilometer entfernten Rotterdam kannte der Jubel keine Grenzen. Dort hatten sich mehrere hundert Fans im Club Villa Thalia versammelt, um das Spiel um zwei Uhr morgens auf einer Großleinwand anzuschauen. Etwa 120.000 Menschen aus Curaçao leben in erster oder zweiter Generation in den Niederlanden. Die Insel gehört zum Königreich der Niederlande, ist aber innenpolitisch autonom. Die Einwohnerinnen und Einwohner besitzen einen niederländischen Pass und haben Wahlrecht, von dem die wenigsten jedoch Gebrauch machen. Zur Europäischen Union und dem Schengen-Raum gehört Curaçao nicht. Neben Papiamentu ist Niederländisch Amtssprache.
Der Vater des Erfolgs oder besser gesagt der Großvater ist Dick Advocaat. Nach den Niederlanden (1994) und Südkorea (2006) ist Curaçao das dritte Team, mit dem er an einer Weltmeisterschaft teilnimmt. Er wird im nächsten Jahr 78 Jahre alt sein und damit der älteste Coach aller Zeiten bei einer WM. Den Rekord hielt bislang Otto Rehhagel, der mit 71 Jahren beim Turnier in Südafrika 2010 für Griechenland an der Seitenlinie stand.
Den Triumph von Kingston erlebte Advocaat aber nicht auf der Trainerbank, sondern zusammen mit seiner erkrankten Frau vor dem Fernseher zu Hause in den Niederlanden. Nur wenige Tage vor der Partie in Jamaika war er abgereist. Die Mannschaft hatte Verständnis. »Es motiviert uns sogar zusätzlich: Wir tun es für unser Land und wollen Dick noch mehr beweisen, was wir können«, sagte Kapitän Leandro Bacuna gegenüber dem Sender Omroep West. »Ich treffe diese Entscheidung schweren Herzens, aber die Familie geht vor Fußball«, bat Advocaat laut der lokalen Internetzeitung Curaçao Nu um Verständnis. »Es ist das Verrückteste, was ich je als Trainer erreicht habe. Das ist so wunderbar für die Insel und die Spieler, die von weit her angereist sind.« Wenn er nach Curaçao zurückkehrt, werde er der »am meisten umarmte Niederländer aller Zeiten sein«, orakelte die von der Insel stammende Opernsängerin Tanja Kross in einer Talkshow beim niederländischen Sender NPO 1.
Die meisten Spieler im Kader verdienen ihr Geld in der ersten oder zweiten niederländischen Liga, in Zwolle, Venlo, Waalwijk, Nijmegen, bei Sparta Rotterdam oder PSV Eindhoven. Viele sind auch in den Niederlanden geboren. Andere spielen in Indonesien, bei weniger bekannten Vereinen in der Türkei und Portugal oder in der zweiten englischen Liga. Nur sechs Spieler haben nach Einschätzung der Website transfermarkt.de einen Wert von mehr als einer Million Euro. Den 21 Jahre alten Jordi Paulina hat es zu Borussia Dortmund verschlagen, wo er in der zweiten Mannschaft als Torjäger in der Regionalliga West für Furore sorgt. Im DFB-Pokal durfte er einmal für die Profis vom BvB auflaufen.
Die sportliche Sensation lässt die Menschen auf Curaçao ihre wirtschaftliche Misere für einen Moment vergessen. In der Zeit zwischen 2011 und 2023 hat die Armut laut dem Statistikamt der Insel deutlich zugenommen. Ein Drittel der Bevölkerung lebt heute unter der Armutsgrenze. Vom Geld, das der boomende Tourismus ins Land bringt, sehen sie so gut wie gar nichts. Curaçao hat mittlerweile eine höhere soziale Ungleichheit als die meisten anderen Staaten in der Region.
Fast wäre das Wunder doch noch ausgeblieben: Eine Minute vor Ablauf der Nachspielzeit pfiff der Schiedsrichter Elfmeter für Jamaika. Doch nach Intervention des VAR nahm er seine Entscheidung zurück. »Vielleicht verlieren wir bei der WM 20:0 – aber wir sind dabei«, sagte ein weiblicher Fan in Rotterdam schier fassungslos im Lokalsender Rijnmond TV.
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