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Aus: Ausgabe vom 26.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Gesundheitspolitik

Riskanter Klinikeingriff

Krankenhausreform: Bundeskabinett will »Korrekturgesetz« durchdrücken – Länder, Opposition und Gewerkschaften haben Diskussionsbedarf
Von Oliver Rast
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Operation am offenen Herzen: Bereit, um Stents und Katheter auf kardiologischer Station zu legen

Es ist kurz nach sechs Uhr morgens, als die automatische Tür zur Station der Kardiologie im städtischen Klinikum aufgleitet – mit zischendem Laut. Der Flur liegt im fahlen Licht der Herbstdämmerung, die durch das milchige Fensterglas am Ende des Ganges dringt. Neonröhren an der Decke flackern kurz auf, bevor sie ihr kaltes Licht über den grau marmorierten Linoleumboden fluten. In der klinischen Luft hängt der Geruch von Desinfektionsmitteln und aufgebrühtem Filterkaffee.

Pflegekräfte, Ärzte und medizinische Fachangestellte – die früheren Arzthelferinnen und -helfer – kommen im Büro der kardiologischen Abteilung zusammen. Schichtübergabe und Lagebesprechung zum Arbeitsbeginn. Ein typischer Ablauf auf Station, im Krankenhausbetrieb überhaupt. Und der soll vor allem eines: »reformiert« werden.

Praxisnah und alltagstauglich

Dafür haben sich Bundeskabinette einiges überlegt – und eigens dafür neue gesetzliche Grundlagen fabriziert: Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG), Krankenhausreformanpassungsgesetz (KHAG). Ersteres war noch unter der Restampel von Olaf Scholz und Karl Lauterbach (beide SPD) im Dezember 2024 verabschiedet worden, letzteres steht im Herbst dieses Jahres ganz oben auf der Agenda der »schwarz-roten« Bundesregierung von Kanzler Friedrich Merz (CDU).

Ex-Bundesgesundheitsminister Lauterbach hatte im Oktober 2024 im Bundestag lauthals gesagt: »Wir brauchen die Krankenhausreform, und zwar jetzt«. Sein Statement markierte den Abschluss der damaligen Beratungen. Doch inzwischen ist Nina Warken Ressortverantwortliche. Die CDU-Politikerin verteidigt die Reform und will sie zugleich »praxisnäher« machen – mittels des KHAG. In ihrer Rede am 12. November 2025 im Bundestag erklärte sie: »Wir sorgen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf für Bedingungen, unter denen die Krankenhausreform zum Erfolg geführt werden kann. Kurz gesagt: Wir machen die Krankenhausreform alltagstauglicher.«

Warken betonte mehrfach, dass es keine Abstriche geben werde. Aber die Umsetzung des Gesetzes müsse so gestaltet werden, »dass sie in der Realität funktioniert.« Und auf dem Deutschen Krankenhaustag in Düsseldorf meinte die Ministerin jüngst: »Wir wollen das System nicht kaputtsparen. Was wir sicher nicht wollen, ist, Menschen davon abzuhalten, zum Arzt zu gehen.« Gleichzeitig verwies sie auf steigende Kosten: Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Krankenhäuser würden 2025 voraussichtlich um rund zehn Milliarden Euro steigen. Bereits jetzt ist der Posten der kostenintensivste.

Fallpauschale und Vorhaltevergütung

Worum geht es jeweils genau? Das KHVVG beendet die bisherige Finanzierung über Fallpauschalen – also feste Beträge pro Behandlungsfall, die Kliniken unabhängig vom tatsächlichen Aufwand erhalten – und ersetzt sie teilweise durch eine Vorhaltevergütung, bei der Krankenhäuser Geld dafür bekommen, bestimmte Leistungen und Strukturen überhaupt bereitzuhalten, auch wenn gerade kein Patient behandelt wird. Offiziell soll das die Versorgung sichern, praktisch bedeutet es: starre Leistungsgruppen, mehr Verwaltungsaufwand und die Gefahr, dass kleinere Häuser Leistungen verlieren und schließen müssen. Kritiker sehen darin weniger eine Verbesserung als ein riskantes Experiment mit Versorgungslücken und finanziellen Unsicherheiten.

Das KHAG ist im Kern ein – hektisch zusammengeschnürtes – Korrekturpaket: Geändert werden sollen vor allem Übergangsfristen, Ausnahmeregelungen für Länder und die »Finanzierungsmechanik« – etwa durch flexiblere Liquiditätsreserven im Gesundheitsfonds und Anpassungen bei der Übergangspflege.

Alternative Anträge

Zum Prozedere: Das KHAG hat am 12. November 2025 seine erste Lesung im Bundestag durchlaufen und wurde anschließend in die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Nur wenige Tage später, am 21. November, befasste sich der Bundesrat mit dem Entwurf und verabschiedete mehrheitlich eine Stellungnahme, in der er vor allem mehr Planungshoheit für die Länder sowie zusätzliche Übergangsregelungen forderte. Nun liegt der Ball wieder beim Bundestag, dessen Ausschüsse den Entwurf beraten und Änderungen prüfen, bevor er in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden kann. Danach muss der Bundesrat erneut zustimmen oder Einspruch erheben; kommt es zum Konflikt, entscheidet der Vermittlungsausschuss. Das KHAG ist also im klassischen Gesetzgebungsverfahren.

Parallel dazu brachten die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke eigene Anträge ein, die ebenfalls in den Gesundheitsausschuss überwiesen wurden.

Der Antrag der Linksfraktion zur Krankenhausreform fordert, dass alle Personalkosten aus den Fallpauschalen herausgelöst und verlässlich finanziert werden. Ziel ist, die ökonomische Logik der Fallpauschalen zu durchbrechen und die Finanzierung der Krankenhäuser stärker an der tatsächlichen Versorgung und am Personalbedarf auszurichten. Die Linke verlangt letztlich eine Abkehr vom Fallpauschalensystem – und zwar komplett.

Mehr noch, was die Ampel in der vergangenen Legislatur als Krankenhausreform verkauften, »war in Wirklichkeit ein Klinikschließungsprogramm«, sagte Fraktionssprecher für Gesundheitsökonomie, Ates Gürpinar, im Plenarsaal. Er warf der Regierung ferner vor, mit dem KHAG lediglich ein Vorhaben fortzusetzen, das schon 2019 angekündigt worden sei: die Schließung von bis zu zwei Dritteln der Kliniken. Seine zentrale Botschaft: Das KHAG sei kein Anpassungsgesetz, sondern ein weiteres Kürzungs- und Schließungsprogramm, das die Versorgung gefährde.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen im Kontext des KHAG fordert, die Kindergesundheit zu stärken, die Versorgung umfassend zu verbessern und nachhaltig zu finanzieren. Im Zentrum steht die Sicherung spezialisierter Angebote für Kinder und Jugendliche, die durch die Krankenhausreform gefährdet werden könnten. Kirsten Kappert-Gonther, »grünes« Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags, sagte: »Wir brauchen eine Krankenhausplanung, die die besonderen Bedürfnisse von Kindern berücksichtigt.« Es könne nicht sein, dass Kinderstationen aus Kostengründen geschlossen würden.

Warnsignale von Gewerkschaften

Das sehen Gewerkschaftsvertreter ähnlich. Und mit Blick auf das Personal? Verdi-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler machte im November 2025 deutlich, dass die Beschäftigten nicht länger die Leidtragenden sein dürfen: »Unser Druck hat gewirkt: Vier Milliarden Soforthilfe für Krankenhäuser hat die Gesundheitsministerkonferenz beschlossen. Ein wichtiger Schritt. Aber wir bleiben dran, damit eine flächendeckende gute Krankenhausversorgung gesichert wird.« Für Verdi ist die Reform nur dann glaubwürdig, wenn sie die Arbeitsbedingungen verbessert und die Überlastung des Personals beendet.

Auch der Marburger Bund, die Ärztegewerkschaft, warnt vor einer Reform, die an den Bedürfnissen der Beschäftigten vorbeigeht. In seiner Stellungnahme zum KHAG heißt es: »Planungssicherheit und eine verlässliche Versorgungsperspektive sind zwingende Voraussetzung für die Umsetzung der Reform. Die notwendige Spezialisierung muss mit wohnortnaher Grundversorgung in Einklang gebracht werden.« Der Verband kritisiert, dass die Reform bislang zu sehr auf ökonomische Steuerung setzt und zu wenig auf die Realität in den Kliniken.

Die Gewerkschaften verweisen auf die dramatische Vorgeschichte. Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland von über 2.400 auf weniger als 1.900 gesunken. Allein zwischen 2020 und 2024 mussten mehr als 60 Standorte Insolvenz anmelden. Für die Beschäftigten bedeutet das Arbeitsplatzverlust, für die Patienten längere Wege und weniger Auswahl. Verdi spricht von einem »Kliniksterben«, das ohne grundlegende Reform weitergehen würde.

Die Ursachen sind bekannt: Das System der Fallpauschalen setzte Kliniken unter enormen Kostendruck. Häuser, die nicht genügend »lukrative Eingriffe« abrechnen konnten, gerieten ins Defizit. Hinzu kamen steigende Tariflöhne, höhere Energiepreise und ein akuter Fachkräftemangel. Laut Krankenhaus-Rating-Report 2025 schrieben 56 Prozent der Kliniken im Jahr 2024 Verluste.

Wie geht es weiter? Die zweite und dritte Lesung des KHAG im Bundestag ist für den 11. und 12. Dezember 2025 geplant. Am 19. Dezember soll der Bundesrat abermals beraten. Das Gesetz könnte noch vor Jahresende in Kraft treten.

Davon abgesehen – zurück zum Alltag, zum Klinikalltag: Türen auf der kardiologischen Station gleiten auf und zu, Neonröhren brummen hörbar, spenden grelles Licht für das Personal im Dauereinsatz. Es ist so wie immer – und beißender Geruch von Desinfektionsmitteln vermischt sich mit kaltem Kaffee.

nix da, fließtext über ganze seite...

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