Der eigene Weg
Von Kathrin Schrader
Unprätentiös und poetisch erzählt Brigitte Martin in ihrem Debütband »Der rote Ballon« (1977) vom Alltag der Brigge Bem, einer alleinerziehenden, berufstätigen Mutter in den Siebzigerjahren in der DDR. Die Literaturwissenschaftlerin Ilse Nagelschmidt nennt die Autorin in einem Atemzug mit Maxi Wander, Christa Wolf und Irmtraud Morgner, wenn auch als eine »weitgehend unbekannte« unter den feministischen Schriftstellerinnen der DDR. Wer war diese Brigitte Martin?
1939 in Königs Wusterhausen geboren, als Kriegskind auf dem Schulweg von Tieffliegern traumatisiert, eine Stenotypistin in ihren Zwanzigern, die sich vom Theater angezogen fühlte. Sie spielte Pantomime im Berliner Arbeiter-Theater, kurz b. a. t. Dort begegnete sie dem rund 30 Jahre älteren Robert Havemann. Als er so alt war wie sie, hatte er gegen das Naziregime gekämpft, war inhaftiert und zum Tode verurteilt gewesen. Nun kritisierte er die DDR-Führung für ihre Interpretation der sozialistischen Idee. In den Kulissen des b. a. t. diskutierten Havemann und Wolf Biermann, Brigitte Martin mischte sich ein. Sie verliebte sich in den verheirateten Havemann, der auf dem Weg zum Staatsfeind Nummer eins war. Zehn Jahre waren sie ein Paar, lebten in dieser Zeit in einer Wohnung in Berlin-Friedrichshain und bekamen zwei Töchter.
Martin hätte an eine Kunsthochschule oder in Vorlesungen zur Literaturgeschichte gehört, doch die Verbindung zu Havemann verschloss ihr auch nach der Trennung sämtliche Türen. Die Staatssicherheit arbeitete gründlich. Die Überwachung erfolgte im Dreischichtsystem mit Teleobjektiven. In ihrem Kreis DDR-Oppositioneller fand sie Wege zur Veröffentlichung ihrer Bücher, zum Radio und zum Film. Sie schrieb ein Rundfunkfeature über berufstätige Alleinerziehende und ein Filmszenarium zu einem Dokumentarfilm, der nie gedreht wurde. Das Honorar verhalf ihr zu mehr Mobilität. Mit dem neuen Wartburg Tourist war es der Familie möglich, dauerhaft in der Scheune in der Uckermark zu leben, die sie ausgebaut hatte.
In ihrem Roman »Nach Freude anstehen« (1981) lässt Brigitte Martin ihre Heldin Edith, die in einem Computerzentrum arbeitet, den Konflikt zwischen der Sehnsucht nach Liebe und familiärer Geborgenheit und dem Anspruch, autonom den eigenen Weg zu verfolgen, reflektieren. Brigitte Martin schrieb abends und nachts, nach ihrer Arbeit in einem Berliner Industriebetrieb. Ihre beiden Mädchen gingen allein zu Bett. Die Mutter bestand auf dieser ungestörten Zeit am Schreibtisch.
Sie litt an der Trennung von Havemann, war überarbeitet und depressiv, doch ihre kreative Resilienz ließ keine Untätigkeit zu. Als ihre beste Freundin Irana Rusta 1990 Kulturstadträtin des Berliner Magistrats wurde, holte sie Martin an ihre Seite. Martin übernahm eine Position in der Künstlerinnen-Förderung des Senats.
Im Alter begann sie, die Sagen der Uckermark zu sammeln und aufzuschreiben, gründete den Verein »Uckermärkische Mythengärten e. V.« und gestaltete mit ihrer Tochter, der Bildhauerin Johanna Martin, Plätze zu den Sagen. In den Geschichten aus vorchristlicher Zeit fanden sie starke, autonome Frauen. Was bleibt, sind auch die Wanderwege zu Johanna Martins Plastiken und Brigitte Martins Sagensammlung »Blütenblätter im Kaffee« (2013), .
Am 30. Oktober 2025 ist Brigitte Martin in Angermünde im Alter von 86 Jahren gestorben. Sie wird am 22. November 2025 um 11 Uhr im Ruheforst Eberswalde beigesetzt.
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