Streik gegen den Mangel
Von Dieter Reinisch
Es geht weiter wie unter den konservativen Tories: Die Krise im britischen Gesundheitswesen NHS konnte von Labour zwar abgemildert werden – von der Einhaltung der Wahlversprechen oder gar einer Lösung ist das Land aber weit entfernt. Derzeit sind daher die Assistenzärzte flächendeckend im Streik. Assistenzärzte sind praktizierende Ärzte, die sich noch in der Facharztausbildung befinden. Sie stellen rund 30 Prozent der NHS-Ärzte.
Der 13. Ausstand der Ärzte in den vergangenen Jahren begann am Freitag und geht bis Mittwoch. Es geht um Bezahlung und Arbeitsbedingungen. Die Ärzte fordern eine sogenannte »Gehaltswiederherstellung«, nachdem die Inflation ihre tatsächlichen Gehälter in den letzten 15 Jahren stark geschmälert hat. Laut Berechnungen der Ärztegewerkschaft British Medical Association (BMA) mussten sie seit 2010 einen Reallohnverlust von rund 35 Prozent hinnehmen. Die Sparmaßnahmen der letzten Jahrzehnte hätten außerdem zu einem deutlichen Ärztemangel geführt. Ärzte beklagen die vielen Überstunden, die laut BMA zu einer weiteren Verschlechterung des britischen Gesundheitswesens beigetragen haben. Die Gewerkschaft fordert deshalb mehr Ausbildungsplätze und allgemein eine Verbesserung der Ausbildung. In einer Stellungnahme erklärte BMA vor Streikbeginn: »Obwohl über 90 Prozent der Mitglieder für Kampfmaßnahmen sowohl im Gehaltsstreit als auch im Streit um die Ausbildungsplätze gestimmt haben, ist klar, dass die Regierung in diesen Bereichen nicht bereit ist, sich zu bewegen.«
In den ersten Monaten der neuen Regierung im Juli 2024 gaben viele Gewerkschaften Labour eine Verschnaufpause. Im NHS kam es zu Gehaltseinigungen. Mit Gesundheitsminister Wes Streeting wurde eine durchschnittliche Erhöhung von 22,3 Prozent über zwei Jahre für die Assistenzärzte vereinbart. Auf die Forderungen nach besserer Ausbildung ging Streeting damals jedoch nicht ein, und das ist daher der Hauptstreitpunkt im aktuellen Ausstand.
Jack Fletcher, Vorsitzender des BMA-Assistenzärztekomitees erklärte gegenüber Medienvertretern, dass es »in den Wochen vor dem Streikbeginn Gespräche mit der Regierung gegeben hat«, in denen Streeting gedrängt wurde, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen: »Viele Nachwuchsärzte sind arbeitslos, weil sie keine Plätze für ihre weiterführenden Ausbildungen finden«, so Flechter. Laut BMA hat die Hälfte der Assistenzärzte im zweiten Ausbildungsjahr in England Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden: »Ihre Fähigkeiten werden nicht genutzt, während Millionen von Patienten endlos auf Behandlung warten und Schichten in Krankenhäusern unbesetzt bleiben«, so Fletcher.
»Ich möchte später einmal Fachärztin für Notfallmedizin werden, und dafür brauche ich eine Weiterbildungsstelle in diesem Bereich«, sagte Poppy Brown, eine der Streikenden in Birmingham, gegenüber der BBC. Sie bewirbt sich nach eigenen Angaben seit zwei Jahren auf Weiterbildungsstellen, konnte aber wegen der vielen Mitbewerberinnen keine bekommen. Peter Fahey, stellvertretender Vorsitzender der BMA-Assistenzärzte in den West Midlands, erklärte, dass es dieses Jahr 10.000 Weiterbildungsstellen bei 30.000 Bewerbungen gab. Doch der Gesundheitsminister lenkt ab. Am Freitag erklärte Streeting gegenüber der BBC, der Streik füge Patienten »Leid und Elend« zu: »Auf diese rücksichtslose Aktion könnten wir gut verzichten.«
Der Arbeitskampf könnte sich auch wieder nach Schottland ausweiten: Die dortigen Assistenzärzte stimmen derzeit über einen Streik ab, nachdem sie der Regierung vorgeworfen haben, eine Gehaltsvereinbarung gebrochen zu haben. BMA Schottland erklärte am Freitag, die vorgeschlagene Gehaltserhöhung um 4,25 Prozent für 2025/26 sei nicht akzeptabel.
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