Genozid geht weiter
Von Helga Baumgarten
Völkermord in Gaza, Gewalt und Vertreibungen in der Westbank, Enteignungen ohne Unterlass in Ostjerusalem, Attacken gegen palästinensische Knesset-Abgeordnete und neue rassistische Gesetze: Was derzeit geschieht, schreit zum Himmel.
Am Montag wurden in erster Lesung zwei unsägliche Gesetze vom israelischen Parlament genehmigt: erstens die Todesstrafe, die nur für Palästinenser gilt. Haaretz spricht von offenem Rassismus und Faschismus. Das zweite Gesetz hat man schon vor Monaten als einstweilige Verfügung auf den Weg gebracht, als »Dschasira-Gesetz«: Damit verbot man dem katarischen Sender Al-Dschasira jede Arbeit in Israel inklusive Jerusalem. Jetzt ist es in erster Lesung abgesegnet. Es ermöglicht dem »Kommunikationsminister«, jedes unliebsame internationale Medium schlicht zu verbieten, auch wenn sich Israel nicht in einem Ausnahmezustand befindet, selbst ohne gerichtliche Überprüfung.
Aiman Odeh, Knesset-Abgeordneter für die Partei »Demokratische Front für Frieden und Gleichheit«, kurz Chadasch, nahm am Dienstag an einem palästinensisch-jüdischen Treffen in Pardes Hanna-Karkur mitten in Israel teil und wurde von einem ultrarechten Mob, der etwa 700 Personen umfasste, mit roher Gewalt verjagt. Von ihm als Vorspiel für die Wahlen im kommenden Jahr eingeordnet, erklärte Odeh auf X: »An die Extremisten: Wo und wann immer ihr versucht, uns einzuschüchtern, uns anzugreifen, wisst, dass wir immer da sein werden, Juden und Araber gemeinsam, standhaft und aufrecht. Je mehr ihr versucht, uns zum Schweigen zu bringen, desto lauter werden wir werden. Je mehr ihr versucht, uns anzugreifen, desto stärker werden wir werden.«
In Ostjerusalem geht derweil die »Säuberung« ganzer palästinensischer Stadtviertel weiter. Die extremistische Siedlerorganisation Ateret Kohanim sieht sich als Erbe jemenitischer Juden, die im 19. Jahrhundert Häuser im Gebiet von Batn Al-Hawa, südlich der Stadtmauern der Altstadt, besaßen. Auf dieser Basis und abgesegnet von den relevanten Gerichten müssen palästinensische Familien ihre Häuser räumen und freimachen für die sofort einziehenden Siedler. Am Montag traf es zwei von ihnen. Einer dritten Familie wurde schon »mitgeteilt«, dass auch sie bald dran sei. Derweil melden Al-Dschasira und Haaretz unmittelbar bevorstehende großangelegte Landenteignungen, Zerstörungen und Vertreibungen in und um das Flüchtlingslager und Dorf Kalandia, nördlich von Jerusalem. Die schlimmste Gewalt findet – in aller Öffentlichkeit – seit Anfang Oktober in der Westbank statt. Attacken durch extrem rechte Siedler sind für die Menschen dort nichts Neues. Aber seit Beginn des Jahres hat sich die Lage enorm verschlechtert, bis sie mit dem Beginn der Olivenernte ungeahnte Ausmaße mit einer bis dato nicht erlebten, regelrecht sadistischen Brutalität erreicht hat. Inzwischen kooperieren Armee und Geheimdienst eng mit den Siedlern.
Ein Tiefpunkt war der Angriff Dutzender vermummter Siedler, die Gebäude, Lastwagen und Autos im Industriegebiet Beit Lid im Norden der Westbank demolierten und anzündeten. Danach attackierten sie eine benachbarte Beduinengemeinde und das Dorf Beit Scharaf. Präsident Isaac Herzog äußerte Kritik an »einer Handvoll von Gewalttätern, die alle roten Linien überschritten haben«. Offenbar ist ihm entgangen, was in der Westbank passiert. In Wirklichkeit will er aber die Realität nicht sehen: Annexion, Vertreibung und Angriffe, bei der die Armee scharfe Munition und Tränengas einsetzt. Auch Siedler schießen, wenn sie nicht – oft gemeinsam mit Soldaten – Frauen, Männer, Kinder und alte Menschen brutal und hemmungslos zusammenschlagen.
Der Völkermord in Gaza geht derweil weiter, mit etwas reduzierter Gewalt. Seit Beginn des »Waffenstillstands« am 10. Oktober tötete die Armee fast 250 palästinensische Menschen, verletzte über 600. Die Bombardierungen zerstörten mehr als 1.500 Wohngebäude.
Helga Baumgarten ist emeritierte Professorin für Politik der Universität Birzeit und schreibt an dieser Stelle wöchentlich ihre Kolumne »Brief aus Jerusalem«.
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