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Aus: Ausgabe vom 14.11.2025, Seite 1 / Titel
Neuer Wehrdienst

Ziehung mit Gewehr

Regierungskoalition einig bei »neuem Wehrdienst«: Freiwillige sollen mit Geld geworben werden, bei »Bedarf« kann Zwang eingesetzt werden
Von Philip Tassev
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Ob 2.600 Euro brutto reichen, um die Jugend zum »Dienst am Vaterland« zu motivieren?

Die Bundesregierung treibt die Kriegsertüchtigung der BRD ein großes Stück voran. Mittwoch abend einigten sich die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD auf ein Modell für einen »neuen Wehrdienst«. Das am Donnerstag morgen von den Fraktionen mit einem Fünfpunktepapier vorgestellte Konzept sieht einen »Aufwuchspfad mit klar definierten Zielkorridoren« vor, der auf Grundlage von »Ratschlägen« aus dem Militär basiert. Die deutsche Regierung hatte der NATO zugesagt, die Bundeswehr bis 2035 auf eine Truppenstärke von 260.000 aktiven Soldaten und rund 200.000 Reservisten aufzustocken. Der Plan der Regierung nennt dementsprechend einen »Zielkorridor« von 255.000 bis 270.000 aktiven Soldaten. Diese Zahlen sollen mittels einer Berichtspflicht des Verteidigungsministeriums gegenüber dem Bundestag halbjährlich überprüft werden.

Um die Jugend »für den Dienst am Vaterland« zu begeistern, setzen die Regierenden zunächst auf »Freiwilligkeit durch gesteigerte Attraktivität«, sprich: Geld. Freiwillig Wehrdienstleistende sollen monatlich rund 2.600 Euro brutto erhalten. Wer sich länger als zwölf Monate verpflichtet, bekommt zudem den Führerschein bezuschusst.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) begrüßte die Einigung. »Andere europäische Länder, gerade im Norden, zeigen, dass das Prinzip Freiwilligkeit mit Attraktivität verbunden funktioniert – und ich erwarte das bei uns ganz genau so«, sagte er am Donnerstag im Bundestag.

Trotz des zur Schau gestellten Optimismus rechnet die Regierung offenbar nicht damit, auf rein freiwilliger Basis genügend Menschenmaterial zusammenzubekommen – erst recht nicht bei einem wirklichen Kriegsausbruch. So soll der Bundestag, wenn die »Personallage« es erfordert, auch eine »Bedarfswehrpflicht« einsetzen können, um Lücken zwischen dem »Bedarf der Streitkräfte« und der tatsächlich vorhandenen Zahl an Freiwilligen zu schließen. Ist dieser Bedarf zu groß, kann »als ultima ratio ein Zufallsverfahren zur Auswahl angewendet werden«. Das Losverfahren ist somit nicht vom Tisch.

Union und SPD planen auch die Wiedereinführung einer Wehrerfassung, »damit die Bundeswehr im Verteidigungsfall weiß, auf wen sie bei einer dann wieder geltenden allgemeinen Wehrpflicht zurückgreifen kann«.

Dazu bedient man sich zum einen des schon länger debattierten Fragebogenmodells. Ab dem kommenden Jahr sollen alle 18jährigen angeschrieben werden und Auskunft über ihre Bereitschaft und Eignung zum Kriegsdienst geben. Frauen können, Männer müssen die Bundeswehr-Fragen beantworten. Zum anderen soll mit Inkrafttreten des Gesetzes die Pflicht zur Musterung eingeführt werden. Zunächst für alle ab dem 1. Januar 2008 geborenen Männer geltend, soll die verpflichtende Musterung später ausgeweitet werden, wenn die dafür notwendigen Kapazitäten geschaffen worden sind.

Für jene, die sich angesichts der offenen Kriegsvorbereitung möglicherweise Sorgen um die Zukunft machen, hatte Pistorius ebenfalls eine Botschaft: »Grund zur Angst gibt es nicht.« Die bestechende Logik dahinter: Der Kalte Krieg habe ja gezeigt, je hochgerüsteter eine Armee ist, »desto geringer die Wahrscheinlichkeit, dass wir überhaupt Partei eines Konfliktes werden«.

Auch wenn das am Donnerstag in vielen Medienberichten unterschlagen wurde, ist das neue Wehrdienstmodell noch keine beschlossene Sache. Das Gesetz muss noch vom Bundestag abgesegnet werden, was Anfang Dezember geschehen soll.

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