Gegründet 1947 Donnerstag, 13. November 2025, Nr. 264
Die junge Welt wird von 3063 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 13.11.2025, Seite 9 / Schwerpunkt
Indien

Maoisten geben nicht auf

Indien: Neu-Delhi will die Bewegung der Naxaliten vernichten. Die Guerilla hält an der Revolution fest
Von Sumit Singh
9.jpg
Menschenrechtsorganisationen protestieren gegen das Töten von Naxaliten (Kalkutta, 13.2.2025)

Eine Welle von Kapitulationen und die Tötung einiger hochrangiger Führer haben erneut ein Schlaglicht auf maoistische Rebellen in Indien, die sogenannten Naxaliten, geworfen. Anfang des Jahres hatte Innenminister Amit Shah das Ziel erklärt, Indien bis März 2026 »maoistenfrei« zu machen. Kurz darauf startete die Regierung die »Operation Kagar« (»Operation Schwarzer Wald«). In ihrem Rahmen wurden zusätzlich 10.000 Beamte der Central Reserve Police Force, Indiens Hauptkraft für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit, eingesetzt, um die Bewegung auszulöschen. Die Operation umfasst den Einsatz modernster Kriegsausrüstung wie israelischer Drohnen, die Anwendung extralegaler Gewalt und die großflächige Einrichtung von »Security Camps« genannten Militärstützpunkten in von Stammesangehörigen dominierten Gebieten. Die Kommunistische Partei Indiens (Marxisten) sprach von »Terror gegen die Stammesvölker«.

Bittere Rückschläge

Berichten zufolge wurden seit Beginn der Operation mehr als 470 echte oder vermeintliche Maoisten angeblich in Notwehr erschossen. Am blutigsten war die Tötung von Nambala Keshav Rao, dem ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei Indiens (Maoisten), zusammen mit 30 weiteren Maoisten im Mai. Innenminister Shah bezeichnete die Operation als »beispiellosen Erfolg«. Der nächste große Rückschlag für die Partei kam im Oktober mit der Kapitulation von Mallojula Venugopal Rao alias Bhupati oder Sonu, einem Mitglied des Zentralkomitees. Sonu legte zusammen mit 60 weiteren Parteikadern in Anwesenheit von Devendra Fadnavis, dem Chefminister des Bundesstaates Maharashtra, die Waffen nieder. Als Reaktion darauf veröffentlichte das Zentralkomitee wenige Tage später eine Erklärung, in der es Sonu und die anderen als »Verräter« bezeichnete und das »revolutionäre Volk« aufforderte, sie zu bestrafen.

In der Stellungnahme hieß es, Sonu habe spätestens seit 2011, als die regionale maoistische Bewegung Rückschläge erlitt, Anzeichen »politischer Schwäche« gezeigt. Bezug genommen wird auf eine regionale Parteiversammlung, auf der Sonu damals wegen »Individualismus, Arroganz und einer übermäßig bürokratischen Haltung« kritisiert worden war. Nach der Tötung von Keshav Rao im Mai habe Sonu schließlich »aus Angst vor dem Tod« begonnen, sich für die vorübergehende Aussetzung des bewaffneten Kampfes und eine Kursänderung weg vom »langwierigen Volkskrieg« einzusetzen. Hier wird auf einen 22seitigen, von Sonu in Umlauf gebrachten Brief verwiesen, in dem drei Punkte angeführt werden, weswegen der bewaffnete Kampf in Indien zum Scheitern verurteilt sei. Zunächst widerspricht das Schreiben der Einschätzung der Partei hinsichtlich des Hauptwiderspruchs zwischen den Klassen im Land, wonach der Feudalismus der Hauptfeind der indischen Massen sei und die Dörfer die Plattform für den Kampf darstellten.

Widerstreitende Analysen

Sonus Rundbrief argumentiert, dass aufgrund der raschen wirtschaftlichen Umgestaltung des Landes die heute vorherrschende Klasse die bürokratische Kompradorenbourgeoisie darstellt, die wiederum mit dem globalen Kapital verbündet ist, wodurch der Widerspruch zwischen dieser Bourgeoisie und den Massen zum Hauptwiderspruch werde. Dabei wird auf ein ideologisches Dokument der Partei von 2021 mit dem Titel »Veränderungen in den Produktionsverhältnissen Indiens. Unser politisches Programm« verwiesen, in dem die tiefgreifende kapitalistische Durchdringung der Landwirtschaft und der Waldregionen anerkannt wird. Dem Brief zufolge habe die Strategie der ländlichen Guerilla damit ihre Gültigkeit verloren, der Kampf müsse auf die Städte, die Industriegürtel und die aufstrebenden Zentren der Arbeiterschaft und des sozialen Widerstands verlagert werden.

Zweitens wird in dem von Sonu als Broschüre verbreiteten Schreiben argumentiert, dass die Partei nicht mehr eine politische Kraft mit militärischen Fähigkeiten sei, sondern ein militärischer Apparat, der seine revolutionäre politische Verankerung verloren habe. Ursprünglich sei der bewaffnete Flügel aber der Partei untergeordnet und dazu gedacht gewesen, sie zu schützen. Schließlich wird der maoistischen KP vorgeworfen, legale und friedliche demokratische Mittel zur Durchführung der Kämpfe zu ignorieren.

Dem Terror widerstehen

Die Erklärung, die die Partei nach Sonus Kapitulation veröffentlichte, geht auf diese Argumente ein. In bezug auf den Hauptwiderspruch entgegnet sie, dass, »solange Landbesitz in Restform im Land weiterbesteht, der Widerspruch zwischen der Kompradoren-Monopolbourgeoisie und den breiten Massen des Volkes nicht der Hauptwiderspruch sein kann«. Weiter heißt es, dass Sonu, wenn er »wirklich an seine These geglaubt« hätte, diese mit der Partei diskutiert hätte, anstatt zu kapitulieren. Auch habe er die These lediglich aus »opportunistischen Gründen« vorgebracht, »um seine Angst vor dem Tod zu verbergen«. Sonu wird auch dafür kritisiert, dass er die jahrzehntelangen konterrevolutionären Angriffe des indischen Staates und die »Operation Kagar« als Grund für die Rückschläge der Bewegung ignoriert habe. Am Ende wird unterstrichen, dass »die revolutionäre Bewegung nicht durch die Kapitulation einiger Parteiführer dauerhaft besiegt werden wird«. Das »Volk des Landes« wird dazu aufgerufen, die revolutionäre Bewegung fortzusetzen.

Hintergrund: Die Hüter des Waldes

Eine der schärfsten Kritiken an der Kapitulation einer Gruppe von Naxaliten im Oktober kam von den Stammesaktivisten, die den Konflikt mit dem Staat aus erster Hand erlebt haben. Soni Sori, eine der prominentesten unter ihnen, hat die Entscheidung der maoistischen Führer, sich zu ergeben, in Frage gestellt und sie laut dem Magazin Frontline gefragt, ob ihre Kapitulation nun die Ausbeutung der Berge und Wälder, die Enteignung der Armen und die Errichtung von Militärlagern auf Stammesgebieten zum Zweck der Vergabe von Bergbauverträgen an Unternehmen stoppe.

Sori sprach kürzlich auf einer Gedenkveranstaltung für zwei getötete maoistische Führer und argumentierte, dass die Kapitulationspolitik nichts anderes bedeute, als Bergbauunternehmen die Besetzung der Gebiete zu ermöglichen, aus denen sich die Maoisten zurückziehen. Die Aktivistin hob hervor, dass die von den Einsatzkräften getöteten Kämpfer Wasser, Wald und Land (Jal, Jangal, Zameen) für die Stammesangehörigen geschützt und keine Ressourcen ausgebeutet hätten. Sori fragte, wie man sich ergeben und die Stammesangehörigen im Stich lassen könne, »obwohl die Adivasis (Stammesangehörige) die Kommunistische Partei Indiens (Maoisten) jahrelang unterstützt und Opfer gebracht hätten«. Suri erklärte außerdem, dass die von der indischen Regierung festgelegte Frist bis März 2026, um Indien »maoistenfrei« zu machen, eine Fehleinschätzung sei, da die Bewegung nicht enden werde, solange Stammesangehörige getötet würden und die Greueltaten gegen sie nicht aufhörten.

Die Stammesgebiete des Landes stehen, juristisch betrachtet, unter dem Schutz der indischen Verfassung, in der die Landrechte und die kulturelle Identität der Stammesvölker geschützt werden. Demnach steht ihnen Selbstverwaltung zu. Seit Jahrzehnten kämpfen die Stammesvölker jedoch gegen ihre Zwangsenteignung und Vertreibung aus den Wäldern, da indische Unternehmen darauf aus sind, die in diesen Gebieten vorhandenen natürlichen Ressourcen auszubeuten. Ihr Wert wird auf 60 bis 80 Milliarden US-Dollar beziffert.

Auch die mehr als 300 im Zuge des Kriegs gegen die Maoisten eingerichteten Militärlager mit ihren mehr als 60.000 Soldaten sind in diesem Zusammenhang zu sehen. Diese »Security Camps« sollen nämlich in »integrierte Entwicklungszentren« umgewandelt und zu dauerhaften Siedlungen ausgebaut werden, wobei Pläne für die Errichtung von Krankenhäusern, Schulen und anderen Einrichtungen in ihnen schon vorliegen. Vor diesem Hintergrund wurde in einem Kommuniqué, das im Juli von mehr als 40 gesellschaftlichen Organisationen veröffentlicht wurde, herausgestellt, dass das »wahre Ziel« der Antimaoistenoperationen darin bestehe, »die Ausbeutung durch Unternehmen« zu ermöglichen. (sus)

Tageszeitung junge Welt am Kiosk

Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe. 

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Regio: