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Aus: Ausgabe vom 12.11.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Celac-EU-Gipfel

Dialog der Ungleichen

Celac-EU-Gipfel in Kolumbien: Brüssel nutzt Klimapolitik, um in Lateinamerika verlorenen Einfluss zurückzugewinnen
Von Elias Korte, Cali
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Kaja Kallas (r.) geht beim Staatentreffen auf Absatzmarktsuche für EU-Produkte

Als sich am 9. und 10. November 2025 Vertreter von über 60 Staaten in Santa Marta an der kolumbianischen Karibikküste zum Celac-EU-Gipfel versammelten, war das offizielle Ziel klar umrissen: »Stärkung des biregionalen Dialogs«. Doch hinter der diplomatischen Fassade aus grünen Parolen und Partnerschaftsversprechen verbarg sich der Versuch der Europäischen Union, in Lateinamerika verlorenen Einfluss zurückzugewinnen.

Mit Investitionszusagen von 40 Milliarden US-Dollar präsentierte sich die EU als Wohltäterin im Namen der Nachhaltigkeit. Unter dem Schlagwort »Triple Transition« – ökologisch, digital, sozial – kündigte Brüssel Unterstützung bei Energiewende und Klimaschutz an. In Kolumbien sollen Solarparks entstehen, Ecuador bekommt Kredite für Wasserprojekte. Doch hinter den Zahlen steht weniger ökologisches Bewusstsein als geopolitisches Kalkül. Die »grüne Wende« Europas braucht Rohstoffe: Lithium aus Bolivien, Kupfer aus Chile, Wasserstoff aus Patagonien. Lateinamerika wird so einmal mehr zum Zulieferer in einer globalen Wertschöpfungskette, die vom globalen Norden bestimmt wird. Nachhaltigkeit dient als Label für ein neues Extraktivismusmodell: Rohstoffe raus, Technologie rein. Im Ergebnis bedeutet das: asymmetrische Abhängigkeit unter ökologischem Deckmantel.

Dass die CELAC, die Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten, überhaupt noch als einheitliches Forum auftrat, war schon ein Erfolg. Die Widersprüche sind unübersehbar: Venezuela verweigerte die Unterschrift unter die Abschlusserklärung, Argentinien blockierte Passagen zu Geschlechterfragen, karibische Staaten beklagten fehlende Unterstützung bei der Anpassung an die Klimakrise. Kolumbiens Präsident Gustavo Petro nutzte das Treffen, um sich einmal mehr als Sprachrohr des globalen Südens und regionaler Vermittler zu profilieren. Sein Land hat jedoch innenpolitisch große sicherheitspolitische Herausforderungen und steht außenpolitisch durch Washington unter Druck. Dass der Gipfel überhaupt stattfand, war Petros größter Erfolg.

Zum ersten Mal seit Jahren nahm ein venezolanischer Außenminister an einem CELAC-Treffen teil. Yván Gil sprach von »Respekt und Souveränität«. Tatsächlich war seine Anwesenheit vor allem Symbol eines leisen diplomatischen Comebacks, vermittelt durch Kolumbien, Brasilien und Spanien. Von echter Reintegration kann jedoch keine Rede sein.

Erstmals durfte die sogenannte Zivilgesellschaft offiziell teilnehmen. Über 1.500 Vertreter von Gewerkschaften, indigenen Gemeinschaften und feministischen Organisationen übergaben eine Erklärung mit zehn zentralen Forderungen. Sie verlangten Schuldenerlass, direkte Finanzierung lokaler Initiativen und Schutz vor den Folgen extraktiver Großprojekte. Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen die »grüne Doppelzüngigkeit« Europas: Unter dem Vorwand von Klimaschutz und Energiewende würden weiter Rohstoffe geplündert, Territorien zerstört und Abhängigkeiten vertieft. Doch wie so oft blieben sie nahezu ungehört. Die Struktur des Gipfels erlaubt Beteiligung, nicht Mitbestimmung.

Brüssel inszenierte sich als Partner auf Augenhöhe, als Gegenpol zur US-Interventionspolitik und zur chinesischen Investitionsoffensive. Doch wer Kapital, Technologie und Märkte kon­trolliert, diktiert auch die Bedingungen. Die sogenannte »Triple Transition« folgt der Logik des Profits: ökologisch, wenn rentabel; digital, wenn kontrollierbar; sozial, wenn stabilisierend. Für die Celac bleibt wenig Spielraum. Ohne gemeinsame politische Linie bleibt sie ein fragmentiertes Forum und Spielball zwischen den Großmächten. Mit ihr könnte die Celac ein Gegengewicht bilden, wenn sie es denn wollte. Doch die politische Uneinigkeit und ökonomische Abhängigkeit vieler Mitgliedsstaaten stehen dem im Weg.

Der Gipfel von Santa Marta offenbarte vor allem die Kontinuität alter Machtverhältnisse. Europa sucht neue Absatzmärkte, Lateinamerika kämpft um Souveränität. Die soziale Frage bleibt unbeantwortet: Wer profitiert von der »grünen Transformation«, und wer zahlt ihren Preis? Solange die EU Klimapolitik als geopolitisches Werkzeug nutzt und die CELAC ihre Einheit vor allem als Fassade bewahrt, bleibt der »Dialog der Ungleichen« eine PR-Veranstaltung. Der Kolonialismus ist nicht Geschichte; er hat nur sein Kostüm gewechselt. Heute trägt er Grün.

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