Die zweite Bassdrum
Von Frank Schäfer
Die Gruppe Motörhead wurde 1975 in London von Lemmy Kilmister gegründet. Frank Schäfer geht in der Serie »50 Jahre Motörhead – die schlechteste Band der Welt« dem sehr lauten Rock-’n’-Roll-Phänomen auf den Grund.
Anfang Dezember 1978 schickt ihr neues Label Bronze Motörhead für volle zwei Wochen in die hauseigenen Roundhouse Studios, wo sie ihr zweites Album aufnehmen sollen. Das ist für Motörhead-Verhältnisse beinahe schon Zeitverschwendung. Sie sind bestens vorbereitet, kennen ihr Material aus dem Effeff, denn sie haben ihre Konzertpausen genutzt für die Arbeit an neuen Songs, die sie dann auch teilweise bereits ins Liveprogramm integrieren, um ihre Straßentauglichkeit zu erproben. »I’ll Be Your Sister«, »I Won’t Pay Your Price«, nicht zuletzt jedoch »Damage Case« und »No Class« bestehen diesen Test ohne weiteres.
Bronze offeriert ihnen Jimmy Miller als Sonderbewacher im Studio, der unter anderem Blind Faith und Traffic, vor allem aber »Exile on Main Street« und »Goats Head Soup« von den Rolling Stones produziert hat. Motörhead sind mehr als einverstanden. Einen Erfolgsproduzenten wie ihn zu engagieren, ist ein Statement, das zeigt, was ihr Label ihnen zutraut. Miller ist vor allem wegen seiner schweren Heroinabhängigkeit in der Versenkung verschwunden. Er hat einen Entzug hinter sich und sucht nach neuen Herausforderungen. Motörhead kommen ihm da gerade recht. Die Band hingegen erhofft sich nicht mehr und nicht weniger als den Durchbruch von diesem Könner hinterm Mischpult. Und genau das passiert – aus verschiedenen Gründen.
Zum einen verhilft Miller der Band zu einem fetteren, runderen Sound, der mit ihrem scheppernden Debüt nicht mehr viel gemein hat. Zudem merkt man den neuen Nummern an, dass sich Clarke/Kilmister/Taylor mittlerweile als Songwritingteam konsolidiert haben. Sie sehen sich als Team. Damit erst gar keine Streitigkeiten über das Monetäre aufkommen, zeichnet stets diese Dreifaltigkeit für die Songs verantwortlich, obwohl die Riffideen von Fast Eddie und Lemmy stammen, und die Songtexte sowieso Angelegenheit des Sängers sind.
»Overkill« markiert fraglos ihren kreativen Durchbruch, für nicht wenige Kritiker ist es sogar der Höhepunkt ihres Schaffens. Im Gespräch mit James McNair vom »Mojo« bekennt Lemmy 2011, »zur Zeit von ›Overkill‹ hatten wir unseren Sound zusammen«. Und tatsächlich finden sich mit »Overkill«, »Stay Clean«, »Capricorn«, »No Class«, »Damage Case« und »Metropolis« nicht weniger als sechs Bandklassiker auf diesem Album, unzerstörbare Punk-Metal-Hybriden, deren Wert die englische Öffentlichkeit erstaunlicherweise sofort zu ästimieren weiß.
Vor allem natürlich den brachialen Titelsong. Für Duncan Harris (»On Track … Motörhead. Every Album, Every Song«) ist es nicht weniger als der beste Opener aller Zeiten. Musikalisch gibt es nämlich mittlerweile eine kleine Veränderung – mit großer Wirkung. Philthy Animal hat sich eine zweite Bassdrum zugelegt, wie er es bei verschiedenen anderen Schlagzeugern gesehen oder gehört hat, bei Ginger Baker etwa, Brian Downey von Thin Lizzy oder Simon Philipps, dessen maschinenartiges Doublebass-Geballer Judas Priests »Dissident Aggressor« in ein neues Genre hinüberprügelt. Das will er auch können. Im Herbst 1978 lernt er mit den beiden Fußmaschinen ein solides, rhythmisch einigermaßen stabiles Sechzehntel-Staccato zu reproduzieren, das einer neuen Art von Motörhead-Songs das Fundament liefert. Mit »Overkill« beginnt der Spaß.
Auch wenn die materialzermürbende Wucht, die erschöpfende Intensität dieses Elaborats sich deutlicher bei den klabauternden Gigs offenbart, prescht Taylor hier bereits an die Grenzen der späteren Subgenres Speed oder Thrash Metal heran. »Overkill« bringt ihr Konzept auf den Punkt, es ist der Song, der sich selbst zum Thema macht, der verbalisiert, was er zugleich musikalisch auf bezwingende Weise vorführt. »Only way to feel the noise is when it’s good and loud / So good I can’t believe it, screaming with the crowd / Don’t sweat it, we’ll get it back to you / Don’t sweat it, we’ll get it back to you / Overkill, overkill, overkill«.
Die zweite Single trifft schon eher den Labelgeschmack. Der forsche Punk-Boogie »No Class«, eine Adaption von ZZ Tops »Tush« mit drei Schippen Dreck obendrauf, dreht den Spieß einfach mal um. Lemmy sammelt hier die üblichen Vorwürfe gegen die Band, um sie mit einer doppelten Portion Sarkasmus an die Verächter zurückzuspielen. Das ist um so überzeugender, als der Song die Motörhead-Kritiker auch musikalisch Lügen straft mit seinem federnden Groove und seiner berückenden Eingängigkeit. Das macht überhaupt die Größe des Albums aus, nicht zuletzt von solchen Trümmern wie »Damage Case« oder »Stay Clean«, in den besten Moment paart es instrumentale Härte und ein aus tiefster Kehle röchelndes Untotenorgan mit fast schon erstaunlich memorablen Harmonien.
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