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Aus: Ausgabe vom 08.11.2025, Seite 7 / Ausland
Ukraine-Krieg

Südfront im Fokus

Ukraine-Krieg: Während Aufmerksamkeit auf Pokrowsk liegt, plant Russland offenbar Vormarsch im Süden
Von Reinhard Lauterbach
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Kamjanske nach einem russischen Drohnenangriff am Donnerstag

Die Nachrichten aus dem umkämpften Pokrowsk sind für die Ukraine trotz aller offiziellen Dementis aus Kiew nicht ermutigend. Selbst der Bild-Frontreporter Julian Röpcke räumt inzwischen in seinen Postings ein, dass russische Truppen bereits den nördlichen Stadtrand erreicht haben und damit praktisch das gesamte Stadtgebiet kontrollieren. Dasselbe gelte für erhebliche Teile des Nachbarorts Mirnograd. Von den in den Medien angekündigten ukrainischen Gegenoffensiven sei an Ort und Stelle nichts zu sehen, bemängelte Röpcke am Donnerstag. Ukrainische Parlamentsabgeordnete und Frontkommandeure kritisieren immer lauter, dass die offiziellen Berichte der Militärführung geschönt seien und ein falsches Bild der wirklichen Lage vermittelten.

Es könnte noch schlimmer kommen: Einige Abgeordnete und Medien verbreiten den Verdacht, dass die Ukraine einer großangelegten russischen Kriegslist aufgesessen sein könnte – der Hauptstoß richte sich in Wahrheit gar nicht gegen Pokrowsk und auch nicht auf den Ballungsraum Slowjansk/Kramatorsk nordwestlich davon. Vielmehr sei seit etwa zwei Wochen ein an Tempo gewinnender Vormarsch im Süden des – westlich an das Gebiet Donezk, das Russland für sich beansprucht, angrenzenden – Bezirks Dnipropetrowsk zu beobachten. Das gegenüber Präsident Wolodimir Selenskij eher kritisch eingestellte Portal strana.news veröffentlichte vor einigen Tagen eine längere Analyse darüber, dass diese Vormarschrichtung für Russland strategisch wesentlich mehr verspreche als ein Vorstoß auf das ohnehin stark befestigte Gebiet Slowjansk/Kramatorsk, hinter dem sich weitere Befestigungslinien befänden.

Anders im Süden. Erstens gebe es im Gebiet Dnipropetrowsk keine größeren geographischen Hindernisse bis zum Fluss Dnipro. Zweitens habe die Ukraine anscheinend mit einem Vormarsch an dieser Stelle nicht gerechnet und es daher versäumt, hier Befestigungslinien anzulegen. Dazu passen immer wieder hochkommende Berichte, wonach regionale Politiker in Dnipro und der Region Gelder für den Befestigungsbau unterschlagen hätten. Drittens aber berge der Vormarsch, so wie er heute verlaufe, die akute Gefahr, die vorhandenen ukrainischen Befestigungen südlich davon, im Norden des Gebiets Saporischschja, einfach von hinten zu umgehen.

Der Autor des strana.news-Beitrags vertritt die Auffassung, dortige Geländegewinne versprächen Russland auch viel größere strategische und operative Vorteile: Je weiter die Front nach Norden abgedrängt werde, desto schwieriger werde es für die ukrainische Seite, den bisher einzig relevanten strategischen Gewinn Russlands zu bedrohen: den Landkorridor auf die Krim entlang der Nordküste des Asowschen Meeres. Zu diesem Bild passt es, dass seit einigen Wochen russische Truppen entlang des ehemaligen Ufers des leergelaufenen Stausees von Kachowka von Süden in Richtung der Gebietshauptstadt Saporischschja vorrückten.

Hinzu kommt: Je näher die Front an Dnipro (früher: Dnepropetrowsk) und Saporischschja heranrücke, desto schwieriger werde es, die ökonomische und logistische Bedeutung der beiden Großstädte auszuspielen. Kaum auszumalen wäre es demnach, wenn es russischen Truppen gelingen sollte, in einer der beiden Städte einen Übergang über den Dnipro zu erzwingen und sich damit Vormarschoptionen in Richtung Kriwij Rig und weiter nach Transnistrien zu schaffen. En passant wäre die Ukraine dann vom Schwarzen Meer abgeschnitten.

Dass Russland an der Südfront etwas vorhat, geht auch aus dem militärischen Geschehen rund um das nahe der Dnipromündung ins Schwarze Meer gelegene Cherson hervor. Seit Ende 2022 war die Front hier praktisch unverändert: Kiew hielt das eine Flussufer, Russland das andere. Nach im Kern übereinstimmenden Berichten beider Seiten haben sich russische Stoßtrupps seit einigen Wochen auf der sogenannten Quarantäneinsel, einem auf dem rechten Flussufer gelegenen Stadtteil von Cherson, festgesetzt. Eine solche Operation ist mit der offiziell als Zweck des Vorstoßes genannten Bekämpfung ukrainischer Feuerleitstellungen auf dem erhöhten rechten Flussufer angesichts ihrer Risiken in der Tat nicht ganz zwingend zu erklären. Im Zusammenhang mit Plänen zu einer größeren Operation könnte schon eher ein Schuh daraus werden.

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