Gläserne Decke hält
Von Claudia Wrobel
Frauen sind heute im Durchschnitt formal besser ausgebildet als Männer und haben höhere Berufsqualifikationen. Führungspositionen in der Privatwirtschaft werden allerdings noch immer zum weit überwiegenden Teil von Männern besetzt. Nicht mal ein Drittel der obersten Führungskräfte sind weiblich, so das Ergebnis einer Untersuchung, die das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) am Dienstag vorgestellt hat. Auf der Führungsebene darunter sah es ein wenig besser aus, aber mit einem Frauenanteil von 42 Prozent entspricht das noch immer nicht ganz dem Anteil weiblicher Beschäftigter insgesamt. Kleine Betriebe weisen dabei einen größeren Frauenanteil auf beiden Führungsebenen auf als größere Betriebe.
Lediglich in sogenannten traditionellen Frauenberufen, etwa im Gesundheits- und Sozialwesen oder bei Erziehung und Unterricht, bekleiden Frauen mehr als die Hälfte der Führungspositionen. Insgesamt ist ihr Anteil in den vergangenen 20 Jahren gerade einmal um vier Prozentpunkte gestiegen. Die BRD befindet sich damit auch deutlich unter dem EU-Durchschnitt, der bei 35,2 Prozent liegt. Sogar in Gesellschaften wie Polen, in denen ein sehr konservatives Rollenbild vorherrscht, sind mehr als 40 Prozent der Beschäftigten in Führungspositionen Frauen. Spitzenreiter in der EU ist Schweden, das sich mit einem Anteil von 44,4 Prozent Richtung Parität bewegt.
Die Wissenschaftler der Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit machen vor allem die nach wie vor ungleiche Verteilung der Sorgearbeit als zentrales Problem für weibliche Aufstiegschancen aus. So sei der Anteil an Frauen in Führungspositionen bis 2024 in denjenigen Branchen stärker gestiegen, in denen 2016 familienfreundliche Maßnahmen weiter verbreitet waren. In Ostdeutschland, wo die Erwerbstätigenquote von Frauen und die von ihnen wöchentlich geleistete Lohnarbeitszeit ohnehin höher liegen, kommt auch der Frauenanteil auf der ersten und zweiten Führungsebene auf fünf Prozentpunkte mehr als in Westdeutschland.
Allerdings beschränkt sich die Familienfreundlichkeit in den meisten Betrieben, die dies möglich machen, auf eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit. Entgegenkommen bei der Kinderbetreuung oder der Pflege von Angehörigen bleibt dagegen immer noch selten. Betriebliche Unterstützung in diesen Bereichen sei »daher ein wichtiger Baustein für mehr Gleichstellung in Führungspositionen«, lautet das Fazit von IAB-Forscherin Susanne Kohaut. Doch auch im Osten gibt es in der oberen Führungsebene eine geschlechtsspezifische Diskrepanz, die sich nicht nur dadurch erklären lässt, dass Frauen auch hier häufiger Sorgearbeit trotz besser ausgebauter Kinderbetreuung übernehmen, etwa die Pflege von Angehörigen.
Das IAB beleuchtet zwar die verschiedenen Ebenen der familienfreundlichen Maßnahmen und deren Verbreitung und Auswirkung; andere Gründe für die Ungleichbehandlung bleiben außen vor – die sich möglicherweise aber auch schwerer statistisch erfassen lassen. Denn es geht nicht nur um die Rahmenbedingungen, sondern auch um mehr oder weniger subtile Benachteiligung, die sich weiterhin hartnäckig hält. Das sogenannte Thomas-Prinzip besagt zum Beispiel, dass Vorstände und Chefs wichtige Positionen im Betrieb vor allem mit Kollegen besetzen, die ihnen möglichst ähnlich sind – bezüglich Herkunft, Ausbildung, Karriereweg, Aussehen oder eben auch Geschlecht. Auch das IAB mahnt intransparente Auswahlverfahren für Spitzenpositionen an.
Die Auswirkungen lassen sich exemplarisch gut an den Vorständen börsennotierter Unternehmen in Deutschland ablesen: Erst im September 2019 gab es dort erstmals mehr Frauen in den Vorständen als Mitglieder, die Thomas oder Michael heißen. Aber sie sind auch in allen Ebenen darunter spürbar und machen einen beruflichen Aufstieg für Frauen sowie auch für Personen nichtdeutscher Herkunft ungleich schwieriger. Dabei besetzten Frauen zwar laut der Studie zunehmend anspruchsvolle Aufgaben, blieben aber häufig unterhalb der strategischen Entscheidungsebenen und stoßen immer wieder an die sogenannte gläserne Decke.
Tageszeitung junge Welt am Kiosk
Die besondere Berichterstattung der Tageszeitung junge Welt ist immer wieder interessant und von hohem Nutzwert für ihre Leserinnen und Leser. Eine gesicherte Verbreitung wollen wir so gut es geht gewährleisten: Digital, aber auch gedruckt. Deswegen liegt in vielen tausend Einzelhandelsgeschäften die Zeitung aus. Überzeugen Sie sich einmal von der Qualität der Printausgabe.
links & bündig gegen rechte Bünde
Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.