Die Mär stabiler Kassenbeiträge
Von Oliver Rast
Er liefert gerne Leitsätze: Jens Baas. »Die Beiträge werden steigen – trotz aller Beteuerungen«, sagte der Chef der Techniker Krankenkasse (TK) gegenüber dem Handelsblatt (Mittwochausgabe). Damit widerspricht er abermals Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Die CDU-Politikerin behauptet, die Beitragssätze blieben im kommenden Jahr stabil. Eine Mär – Baas: »Wir brauchen ehrliche Debatten statt politischer Schönfärberei.«
Nun, der Gesetzgeber hat zu Jahresbeginn den allgemeinen Beitragssatz der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) auf 14,6 Prozent festgesetzt. Hinzu kommen die individuellen Zusatzbeitragssätze der Krankenkassen. Mit diesen gleichen die Kassen finanzielle Engpässe aus. Aktuell liegt der Zusatzbeitrag im Schnitt bei 2,9 Prozent. Auf dem Level soll es Warken zufolge bleiben.
Deshalb hatte das »schwarz-rote« Bundeskabinett Mitte Oktober ein »kleines Sparpaket« im Volumen von zwei Milliarden Euro beschlossen. Eine ermittelte Deckungslücke in der GKV in gleicher Höhe für 2026 würde geschlossen, meinte Ressortchefin Warken. Die größten Einsparungen von 1,8 Milliarden Euro sind bei Kliniken geplant: Vergütungszuwächse werden auf reale Kostensteigerungen begrenzt, eine Klausel für höhere Zahlungen wird 2026 ausgesetzt. Bei Krankenkassenverwaltungskosten (z. B. Porto, Werbung) sollen 100 Millionen Euro, durch Halbierung der Einzahlungen in den Investitionsfonds weitere 100 Millionen Euro eingespart werden.
Die These »Alles bleibt stabil« ist eine Chimäre. Die Kassen seien, so Baas, in den vergangenen Jahren gezwungen worden, Rücklagen abzubauen, »und müssen sie nun wieder auffüllen«. Der TK-Chef meint die Mindestreserven, die ein Viertel der Ausgaben eines Monats betragen. Allein deshalb werde der tatsächliche Durchschnitt 2026 zwischen 3,1 und 3,3 Prozent liegen, prognostiziert Baas.
Und womöglich ist die Dreiprozentmarke längst geknackt. Der Verband der Ersatzkassen (VDEK) hatte am vergangenen Freitag auf eine Berechnung des Deutschen Finanzserviceinstituts verwiesen, wonach der GKV-Zusatzbeitrag bereits jetzt bei mehr als 3,1 Prozent liege. Der VDEK fordert politisch Verantwortliche auf, ein weiteres »Sparpaket« zu schnüren, das die GKV entlastet – sofort und spürbar. Dazu gehörten die Prüfung aller Ausgabenbereiche und eine gerechte Finanzierung gesellschaftlicher Lasten. Die Ausgaben für die Gesundheitsversorgung der Bürgergeldbezieher müssten vollständig durch Steuermittel bestritten werden, da es sich um versicherungsfremde Leistungen handelt (Einsparpotential: zehn Milliarden Euro jährlich). Ferner fordert der VDEK, den Mehrwertsteuersatz für Arzneien von 19 auf sieben Prozent abzusenken, wie er bereits für Tierarzneimittel oder Schnittblumen gilt (Einsparpotential: sechs bis sieben Milliarden Euro jährlich).
Aber nicht nur von Krankenkassen kommt Kritik. Gleichfalls von der Parlamentsopposition. Beitragsstabilität könne es nicht geben, wenn Ministerin Warken bei Kliniken streiche, »aber die Arzneimittelindustrie in Ruhe lässt«, sagte jüngst der Sprecher für Gesundheitsökonomie der Bundestagsfraktion von Die Linke, Ates Gürpinar, zu jW. Das sei kein Sparen, sondern Klientelismus im Sinne der Pharmalobby. Und Janosch Dahmen (Bündnis 90/Die Grünen) nannte gegenüber dieser Zeitung das »kleine Sparpaket« eine Mogelpackung. »Es kaschiert das faktische Defizit, statt Strukturen zu reformieren«, betonte der gesundheitspolitische Sprecher seiner Bundestagsfraktion.
Fakt ist, die Bundesregierung hatte im Koalitionsvertrag stabile GKV-Beiträge versprochen, scheitert jedoch schon im ersten Amtsjahr. Wenig verwunderlich, findet Verena Bentele. Denn dem Kabinett fehle ein nachhaltiges Konzept für robuste Beitragssätze, so die Präsidentin des Sozialverbands VdK am Montag in einer Stellungnahme. Aber das gibt es längst – Benteles Leitsatz: »Die gesetzliche Krankenversicherung muss zu einer echten solidarischen Krankenversicherung ausgebaut werden.«
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