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Aus: Ausgabe vom 05.11.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Stoßen, was fällt

Aber wann fällt er endlich? Die 18. Peter-Hacks-Tagung behandelte den Imperialismus und wie er endlich zu einem Ende finde
Von Erwin Grave
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»Die Imperialismus- als Gretchenfrage marxistischer Literatur«: Peter Hacks

Die diesjährige, schon 18. wissenschaftliche Tagung der Peter-Hacks-Gesellschaft widmete sich dem Verhältnis des Dichters zum Imperialismus. Bekanntlich hat Hacks nämlich nicht nur gedichtet und Stücke geschrieben, sondern auch Imperialismusstudien getrieben, vor allem nach der Niederlage des Sozialismus. In seinem Nachlass befinden sich stark angestrichene Ausgaben von Hobson, Hilferding, Luxemburg, natürlich Lenin, aber auch von Bucharin, Eugen Varga und als Kontrapunkt Christian Reinhold, dem Apologeten der friedlichen Koexistenz in der DDR. Die Ergebnisse nicht nur dieser Studien finden sich gesammelt in dem umfangreichen Band »Marxistische Hinsichten« (2018), dem inoffiziellen Tagungsreader.

Den Auftakt der Tagung machte am Freitag abend in den Räumlichkeiten der »Hellen Panke« eine Podiumsdiskussion mit Vertretern verschiedener antiimperialistischer Fraktionen: Ganz rechts saß Luca Schneider, ein Vertreter der »Kommunistischen Organisation«, daneben Björn Blach für die DKP, in der Mitte die Europaparlamentsabgeordnete Özlem Demirel von »Die Linke« sowie der um Ausgleich bemühte antiimperialistische Empirist Jörg Kronauer, ganz links schließlich der Trotzkist Marco Blechschmidt von »Klasse gegen ­Klasse«. Die Konferenz unterstrich hierdurch ihren politischen Charakter. Es kam auf diesem Podium zu klärenden Positionsbestimmungen. Demirel verbrachte etwa einen Gutteil ihrer Redezeit damit, den mutmaßlichen russischen und chinesischen Imperialismus zu geißeln, während Schneider dieser Position vorwarf, die Propaganda der FAZ wiederzukäuen. Eine Debatte, die im Grunde im größeren Rahmen geführt gehört.

Auf der sonnabendlichen Konferenz sprach dann etwa der Goethe-Forscher und Hacks-Herausgeber Heinz Hamm, der in seinem Referat über »Hacks und die Vertreter der ›reinen Lehre‹« die Kräfte untersuchte, die prinzipiell dem Imperialismus widerstehen könnten. Er wurde bei Walter Ulbricht fündig: Um gegen den Imperialismus zu bestehen, brauche es den Aufbau einer leistungsfähigen Planwirtschaft zunächst in einem Teil der Welt. Der Sozialismus müsse sich dabei selbstbewusst als eigenständige Gesellschaftsformation behaupten, in Abgrenzung nicht nur zum Kapitalismus, sondern auch zum utopischen Kommunismus des frühen Marx, der dem Imperialismus praktisch »kaum weh tue«. Offen blieb dabei, inwiefern man den Kommunismus als mobilisierende Vision nicht dennoch benötigt.

Unter Imperialismus wurde von allen Vortragenden einhellig nicht allein der expansive Krieg verstanden: »Imperialismus ist nicht, wenn einer ein Panzerschiff hat«, zitierte etwa Marlon Grohn programmatisch Hacks. Es gehe mit Lenin um eine imperialistische Produktionsweise, insbesondere die Herausbildung von Monopolen und deren Verschmelzung mit dem Bank­kapital. Krieg sei dabei gerade nicht der präferierte Zustand des Imperialismus. Dieser würde bevorzugt an untergebene Staaten delegiert und ansonsten höchstens als militärischer Polizeieinsatz in der Peripherie geführt, um die globale Infrastruktur abzusichern. Der Imperialismus könne sich im Ganzen pazifistisch gerieren, da er wirtschaftlich herrsche. Argument-Herausgeber Lukas Meisner betonte dagegen in seinem Vortrag über »Die Imperialismus- als Gretchenfrage marxistischer Literatur«, dass der inzwischen olivgrüne Pazifismus gerade Deutschland durchaus kriegsfähig machen muss: Da der westliche Imperialismus durch konkurrierende Staatenbündnisse, vor allem die BRICS, herausgefordert werde, ende möglicherweise die Ruhe an der Heimatfront.

Bafta Sarbo referierte über Marx’ Position zur britischen Kolonialexpansion in Indien. Ihr Thema: »Kolonialismus als Voraussetzung menschlicher Emanzipation?« Marx ließe erst mit der britischen Eroberung die indische Geschichte beginnen, was ihm durchaus zu Recht den Vorwurf einbrächte, ein Eurozentrist zu sein. Es wurde zu Marx’ Verteidigung aus dem Publikum vorgebracht, dass dieser nicht die empirische Geschichte vor Augen gehabt habe, sondern Geschichte im emphatischen Sinne – und die beginnt erst mit der gewaltigen Entfaltung der Produktivkräfte unter Regie der Bourgeoisie. »Manches, was nachher gefällt, ist im Entstehen nicht schön« (Ovid). Hintergrund dieser Debatte war Hacks’ frühes Stück »Eröffnung des indischen Zeitalters« (1955), das Kolumbus salopp als den Weltgeist zu Schiffe feiert.

Die ästhetische Seite des Kampfes gegen den Imperialismus behandelten Misa Harz und Ken Merten anhand von Peter Hacks und Ronald M. Schernikau. Insbesondere wurde die Frage aufgeworfen, ob man eigentlich nach der Niederlage des Sozialismus wieder vom Hacksschen Klassizismus zur Brechtschen Agitation zurückkehren müsse. Bei aller gebündelten Geistestätigkeit an diesem Tag stand im Mittelpunkt doch die Frage, wie man ihn denn eigentlich los wird, diesen Imperialismus.

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