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Aus: Ausgabe vom 03.11.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Bauernkrieg und deutsche Geschichte

Die Blutspur der Herrschaft

Peter Seiberts Buch über die Niederwerfung der Aufstandsbewegung von 1525
Von Leo Schwarz
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Spieß voran, drauf und dran: Aufständische Bauern töten am 17. April 1525 vor Weinsberg den Grafen Ludwig von Helfenstein und seine Begleiter (Darstellung aus dem 19. Jahrhundert)

Die Begängnisse, mit denen 2025 an den Bauernkrieg vor 500 Jahren erinnert wurde, sind abgehakt. In der Chronik stehen ein paar matte politische Versuche, die in Teilen sozialrevolutionäre Aufstandsbewegung von 1524/25 in eine Traditionslinie einzuordnen, an deren Ende die Herrlichkeit der Bundesrepublik Deutschland steht. Es gibt einige Ausstellungen und neue Bücher. Aber es bleibt doch der Eindruck, dass die um das Jahr 2000 mit dem 475. Jahrestag einsetzenden Versuche der Integration in ein staatstragendes Geschichtsbild mehr Reflex als konsequentes Programm sind.

Mit Bemerkungen zur problematischen Geschichte der Bearbeitung des Bauernkrieges in der Bundesrepublik beginnt auch eine der interessanteren Neuerscheinungen zum Thema. Peter Seibert stellt in seinem Buch über den »Beginn einer deutschen Gewaltgeschichte« zunächst heraus, dass der tonangebende Bauernkriegshistoriker in der alten Bundesrepublik, Günther Franz, ein Mann gewesen ist, der beim Historikertag 1937 in SS-Uniform herumstolzierte und seine Auffassungen zum Thema nicht mehr wesentlich veränderte, seit er 1933 eine Geschichte des Bauernkrieges veröffentlicht hatte. Noch 1975 wurde diese Arbeit von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft in Darmstadt mit einem neuen Vorwort von Franz herausgegeben. Auch die »jüngere bundesrepublikanische Professorenriege« habe sich nicht vorrangig an Franz abgearbeitet, sondern sei gegen das von DDR-Historikern entwickelte Konzept der »frühbürgerlichen Revolution« angerannt. Dass diese Deutung seither verschwunden ist, so Seibert mit erfreulicher Offenheit, sei allerdings nicht auf die »Argumentationskraft westdeutscher Historiker« zurückzuführen, sondern schlicht auf den »Zusammenbruch der DDR«.

Seiberts eigentliches und materialreich bearbeitetes Thema ist die von den fürstlichen und geistlichen Territorialherren entfesselte Kampagne der Gewalt gegen die aufständischen Massen und die »Blutspur« des anschließenden Strafgerichts – die »Massakerchronik« und »das bedrückende Elend der Niederlage, das Ersticken des Bauernkrieges im Blut seiner Akteure«.

Die von Seibert vorangestellte These, dass die Niederlage von 1525 eine Weichenstellung der deutschen Geschichte war, ist nicht neu. In gewisser Weise steht diese Deutung an der Wiege einer herrschaftskritischen Geschichtsschreibung in Deutschland: Wilhelm Zimmermann, Friedrich Engels, Franz Mehring und Alexander Abusch haben sie in unterschiedlichen Zusammenhängen formuliert, und in Abuschs Exilschrift über den »Irrweg einer Nation« findet sich diese Perspektive in einem dezidiert antifaschistischen Kontext. Auch Seibert räumt ein, dass die These »keineswegs besonders originell« ist.

Aber sie trifft ja im Kern zu. Allerdings kommt es gerade in diesem Fall sehr auf die spezifische Akzentuierung an. Die reifere Bauernkriegsforschung in der DDR hat sich aus guten Gründen von einer »Misere-Konzeption« der deutschen Geschichte abgesetzt, die eine mehr oder weniger durchgehende Linie von 1525 bis 1933 zieht. Gerade das aber macht Seibert: Die »Brutalität der Herrschenden«, stellt er fest, gipfele »schließlich im deutschen Faschismus«. Resultat von 1525 sei »der Untertanenstaat schlimmster Prägung« gewesen, und diese Geschichte der Unterdrückung führe in die »Katastrophe des Nationalsozialismus«. Das ist dann doch etwas kurz gesprungen und wird auch in diesem Buch mehr behauptet als belegt. Lesenswert ist es dennoch.

Peter Seibert: Die Niederschlagung des Bauernkriegs 1525. Beginn einer deutschen Gewaltgeschichte. Dietz, Bonn 2025, 303 Seiten, 26 Euro

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  • Leserbrief von Doris Prato (5. November 2025 um 10:56 Uhr)
    Hans-Jürgen Goertz, Vorsitzender der Thomas Müntzer-Gesellschaft, emeritierter Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Universität Hamburg, Professuren an den Universitäten von Oxford und Cambridge über Liverpool, Yale und Havard bis Bern und Zürich, würdigte Thomas Müntzer als frühen „Gegenspieler Martin Luthers“ und „furchtlosen Führer der Bauern und der Volksreformation und vergaß nicht, zu erwähnen, dass Müntzer zum „gepflegten historischen Erbe in der DDR“ gehörte und ihn im östlichen Teil Deutschlands „ jedes Schulkind kannte". Nach ihm "wurde die thüringische Stadt benannt, in der er zuletzt gewirkt hatte, Mühlhausen – Thomas-Münzer-Stadt. Arbeiterbrigaden und landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften, Schulen und Straßen trugen seinen Namen." Und Goertz stellte gegenüber: "Im westlichen Teil Deutschlands war Müntzer kaum bekannt. Kein Denkmal erinnerte an ihn und kein Platz (Thomas Müntzer: Revolutionär am Ende der Zeiten).
    Friedrich Engels schrieb über Müntzer und seine Epoche: "Es gab eine Zeit, wo Deutschland Charaktere hervorbrachte, die sich den besten Leuten der Revolutionen anderer Länder an die Seite stellen können, wo das deutsche Volk eine Ausdauer und Energie entwickelte, die bei einer zentralisierten Nation die großartigsten Resultate erzeugt hätte, wo deutsche Bauern und Plebejer mit Ideen und Plänen schwanger gingen, vor denen ihre Nachkommen oft genug zurückschauderten" (Der deutsche Bauernkrieg. MEW, Bd. 7, Berlin/DDR 1960, S. 329).

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