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Aus: Ausgabe vom 03.11.2025, Seite 8 / Kapital & Arbeit
Neoliberales Programm

Reiche Rechte

Frankreich: Reaktionärer Block in Nationalversammlung verhindert Zusatzbesteuerung des Großkapitals – Niederlage für Sozialdemokraten
Von Hansgeorg Hermann
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Arme wollen nicht mehr die Zeche für den Wohlstand der Ultranationalisten zahlen (Paris, 18.9.2025)

Frankreichs Ultrareichen wird es auch in Zukunft richtig gutgehen – jedenfalls bis zur nächsten Legislaturperiode. Ein Block aus bürgerlicher Rechter, ex­tremer Rechter und aus großen Teilen des wirtschaftsliberalen Bündnisses, auf das sich Staatspräsident Emmanuel Macron und sein neuer Premierminister Sébastien Lecornu stützen, verhinderte am vergangenen Freitag abend in der Nationalversammlung eine von der Linken geforderte zusätzliche Besteuerung des Großkapitals. Der unter dem Namen Zucman-Steuer eingebrachte Gesetzentwurf wurde mit 228 gegen 172 Stimmen abgelehnt, 177 Abgeordnete der »bürgerlichen Mitte« hatten sich vor dem Votum gedrückt und waren erst gar nicht im Plenum erschienen. Das Ergebnis ist eine herbe Niederlage für die Sozialdemokraten des Parti Socialiste (PS), die Lecornus Regierung vor drei Wochen vor dem Sturz durch ein Misstrauensvotum gerettet hatten. Sie stehen nun wieder einmal mit leeren Händen da.

Lecornu hatte dem PS am 15. Oktober im Parlament versprochen, nicht nur das im Frühjahr 2023 zu Ungunsten der Beschäftigten »reformierte« Rentengesetz bis zur nächsten turnusmäßigen Präsidentschaftswahl im Juni 2027 zu »suspendieren«. Er hatte auch angedeutet, er werde den Sozialdemokraten Zugeständnisse in der Steuergesetzgebung machen. Die »Taxe Zucman«, benannt nach dem jungen Pariser Ökonomen Gabriel Zucman, sah vor, Individuen mit einem privaten Vermögen von mehr als 100 Millionen Euro mit einer zusätzlichen Abgabe in Höhe von zwei Prozent zu belasten. Diese Steuer hätte dem im laufenden Jahr mit 115,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes verschuldeten Land – seine aktuelle Gesamtschuld hat sich auf 3,4 Billionen Euro summiert – nach Zucmans Rechnung bis zu 25 Milliarden zusätzlich in die Staatskasse gespült und womöglich die zu erwartenden Einschnitte in den Sozialhaushalt abgefedert.

Interessant ist das Votum des ultrarechten Rassemblement National (RN), dessen Fraktionschefin Marine Le Pen bisher nicht abgeneigt schien, sich den linken Antragstellern der France insoumise (LFI) und der Ökologen (ES) anzuschließen. In dem extrem rechten Milliardär und Medienmogul Vincent Bolloré, der seine »Journalisten« in den vergangenen Wochen gegen die Zucman-Steuer antreten ließ, hat der RN offenbar seinen Alfred Hugenberg gefunden, jenen deutschen Rechtsnationalisten, der mit seinen Druckerzeugnissen den Hitlerfaschisten den Weg an die Macht ebnete. Den Abgeordneten des PS um ihren Parteichef Olivier Faure und den Fraktionsführer Boris Vallaud blieb am Ende nicht einmal eine abgeschwächte Version des Gesetzentwurfes – auch die wurde vom rechten Block abgewehrt.

Einem von der France insoumise erneut vorgeschlagenen neuerlichen Misstrauensvotum wollen die Sozialdemokraten gleichwohl immer noch nicht folgen. Sie hoffen, wenigstens in der Rentenfrage – der »Suspendierung« des 2023 von 62 auf 63, später auf 64 Lebensjahre erhöhten Renteneintrittsalters – zu gewinnen. Was durchaus unsicher scheint. Nicht nur hat Lecornus Chef Macron – die »Rentenreform« und die Verhinderung einer Reichensteuer sind Eckpunkte seines seit 2017 realisierten neoliberalen Programms – bisher den Begriff »Suspendierung« vermieden und lieber von einer »Terminänderung« gesprochen. Auch die Situation in der Nationalversammlung lässt belastbare Prognosen zum Abstimmungsverhalten der Fraktionen nicht zu: Keine Gruppe verfügt über eine absolute Mehrheit.

Die Stimmung im Parlament und vor allem in der Bevölkerung, zumindest das ist sicher, richtet sich inzwischen allerdings scharf gegen den Präsidenten. Macron sieht sich einer von verschiedenen seriösen Demoskopen ermittelten allgemeinen Abscheu ausgesetzt: Nur elf Prozent der Menschen im Land trauen dem Staatschef noch Führungsqualität zu, ein Tiefstwert, den in den vergangenen 80 Jahren keiner seiner Vorgänger erreichte. »Wir sind Weichlinge«, resümierte am Freitag François Ruffin, unabhängiger linker Abgeordneter und vermutlich Präsidentschaftskandidat für 2027. »Das Großkapital schreit, als wollten wir es erwürgen. Dabei verlangen wir doch lediglich zwei Prozent und lassen ihm 98!«

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