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Aus: Ausgabe vom 31.10.2025, Seite 15 / Feminismus
Polen

Einfache Antworten auf komplexe Netzwerke

Polen: Aktivistinnen versteifen sich auf Russland als Feind, um reaktionären Thinktank zu diskreditieren
Von Reinhard Lauterbach, Poznán
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Darf auch weiterhin behaupten, dass der Thinktank »Ordo Iuris« vom Kreml finanziert wird: Marta Lempart vom »Frauenstreik« bei Protesten in Warschau

Klementyna Suchanow, eine der Initiatorinnen der Proteste gegen die faktische Abschaffung des Abtreibungsrechts in Polen, berichtete neulich von einer Begegnung mit ihrem Erzfeind, dem Chef des ultrakonservativen Thinktanks »Ordo Iuris« (OI). Es sei auf der Eingangstreppe des Warschauer Bezirksgerichts gewesen, und der Mann habe sie angeknurrt: »Sie kriegen wir auch noch dran«.

Mit dem Drankriegen wird es erst einmal nichts. Anlass der Begegnung der anderen Art war die Urteilsverkündung in einem Prozess, den Ordo Iuris gegen die feministische Aktivistin Marta Lempart angestrengt hatte. Die hatte die Organisation als »vom Kreml bezahlte Fundamentalisten« bezeichnet, und das wollte OI nicht auf sich sitzen lassen. Aber das Gericht wies die Unterlassungsklage des Thinktanks zurück: Lempart habe »indirekte Belege« für solche Verbindungen zwischen den Ultrakonservativen Westeuropas und Russland vorgelegt, damit sei ihre Behauptung der Bezahlung durch den Kreml von der Meinungsfreiheit gedeckt.

So weit, so gut. Aber was hat es mit den »indirekten Belegen« tatsächlich auf sich? Suchanow hat nach eigenen Worten bei Wikileaks mehrere tausend E-Mails aus dem konservativ-fundamentalistischen Netzwerk »Agenda Europe« gefunden und ausgewertet. Agenda Europe ist ein Anfang der 2010er Jahre gegründeter Zusammenschluss von christlich-fundamentalistischen Organisationen aus verschiedenen Ländern Westeuropas, den USA, Kanada und Mexiko. Beteiligt seien auch bekannte Namen aus der deutschsprachigen Rechten, etwa Maximilian Krah und Jörg Meuthen von der AfD sowie die österreichische Exministerin Karin Kneissl von der FPÖ, bei deren Hochzeit in der Steiermark 2018 sich Wladimir Putin persönlich die Ehre gab. Es gibt Videos über ein züchtiges Tänzchen der beiden, abgeschlossen mit einem Hofknicks der Ministerin. Kneissl verlor ihr Amt in Wien dann über die Ibiza-Krise und lebt inzwischen in Russland. Ihre Reitpferde seien mit einer eigens nach Wien entsandten russischen Militärmaschine überführt worden, schreibt Suchanow in einem Text, der letztes Wochenende in der Gazeta Wyborcza erschien.

Vor allem aber fand Suchanow Indizien dafür, dass in der Gründungsphase von Agenda Europe auch russische Erzkonservative mit von der Partie gewesen seien. Leute aus dem Umkreis des »orthodoxen Oligarchen« Konstantin Malofejew, der sich als Ideengeber der russischen Ukraine-Politik vor 2014 auch politisch nützlich zu machen versuchte. Dessen Leute hätten Lobbyinitiativen von Agenda Europe unterstützt, konservative geschlechtspolitische Inhalte in UNO, EU und Europarat durchzusetzen. Im einzelnen mit wechselndem Erfolg. Aber es war wohl schon so, dass Wladimir Putins Russland in dieser Szene Geschwister im Geiste vermutete.

Aktuell führt der russische Präsident im eigenen Land eine Kampagne gegen Schwangerschaftsabbrüche und sucht sie durch die Hintertür zu erschweren. Bisher hat er sich aber nicht getraut, den seit sowjetischen Zeiten bis zur zwölften Woche legalen Eingriff einfach zu verbieten. Aber ob bei der damaligen Kontaktanbahnung Geld geflossen ist? Da bleibt Suchanow Beweise schuldig, und ihre These, das russische Geld sei »vermittelt über Agenda Europe« an OI geflossen, ist bisher Behauptung geblieben. Die Liste der Unterstützerorganisationen von Agenda Europe auch aus den USA ist umfangreich, und ob OI nicht vielleicht ein »von Trump bezahlter Fundamentalistenverein« sei, hat Suchanow vorsichtshalber erst gar nicht gefragt.

Dabei unterschlagen sowohl Suchanow als auch Lempart eine Entwicklung, die Suchanow selbst in einer im März 2024 auf dem polnischen Portal onet.pl veröffentlichten Recherche beschrieben hatte. Daraus geht hervor, dass es solche Verbindungen westeuropäischer Ultrarechter nach Russland gegeben haben mag – aber dass die westeuropäischen Rechten sich überwiegend seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs aus den unterstellten Umarmungen Moskaus zurückgezogen hätten: Russland habe sie »missbraucht«, klagten sie in internen Postings, auf die sich Suchanow beruft. Das bedeutet im Klartext, dass aus der »ultrakonservativen Internationalen« von russischen Gnaden erst einmal nichts geworden zu sein scheint. Und dass polnische Feministinnen, die das Gegenteil behaupten, mit historischen Daten argumentieren, um ihre Gegner aktuell zu diskreditieren. Man kann sagen, es treffe keine Falschen. Sicher. Aber redlich ist es nicht.

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