Eine saure Note
Von Gabriel Kuhn
Zeitungen weltweit überschlagen sich: Ein Klub aus einem »Fischerdorf« gewinnt die schwedische Fußballmeisterschaft! Mjällby AIF lässt die Herzen aller Gegner des modernen Fußballs höherschlagen. Doch es lohnt sich ein genauerer Blick.
Zunächst ist nicht ganz klar, auf welches »Dorf« man sich bezieht. Manche sprechen von Mällby, Namensgeber des Vereins, andere von Hällevik, wo sich das Stadion Strandvallen befindet. Ein Dorf im strengen Sinne ist weder das eine noch das andere. Als »tätorter« (dicht besiedelte Gebiete) sind Mjällby und Hällevik schlicht Vororte der Stadt Sölvesborg in der Region Blekinge. Die ist auch klein, hat aber immerhin 17.500 Einwohner und nur sehr wenige Fischer.
Die Rede vom Fischerdorf bezieht sich darauf, dass die Siedlung Hällevik rund um einen kleinen Hafen entstanden ist. Der Hafen dient heute jedoch primär dem Tourismus, ist Kulturgut. Ökonomisch weit bedeutender als der Fischfang waren in jüngerer Vergangenheit die um vieles weniger romantischen Nerzfarmen der Region. Erst vor kurzem wurden sie angesichts drohender EU-Verbote stillgelegt. Die Eigentümer griffen dem Fußballklub immer wieder finanziell unter die Arme.
Bei Mjällby AIF pflegt man das Image des Dorfvereins. Zum Teil mit skurrilen Folgen. So zitierte in der vergangenen Woche die renommierte französische Tageszeitung Le Figaro den Klubpräsidenten Jacob Lennartsson allen Ernstes mit den Worten: »Wir haben keine Elektrizität, kein Internet. Wir arbeiten auf Fischerbooten und Bauernhöfen. Das ist unser Erbe.« Schwedischen Medien gegenüber meinte Lennartsson, dass es »schon sein könne«, dass er das gesagt habe – »bei all den Fragen der letzten Tage«.
Auch nicht besonders romantisch ist die Tatsache, dass Sölvesborg eine Hochburg der ultrarechten Schwedendemokraten ist. Der Parteivorsitzende Jimmie Åkesson ist hier zu Hause, die Schwedendemokraten sind stärkste Partei. Bei den Kommunalwahlen 2022 konnten sie 39 Prozent der Stimmen verbuchen.
Åkesson ist seit seiner Kindheit Mjällby-Fan. Die Meisterschaft feierte er beim 2:0-Auswärtssieg gegen den IFK Göteborg, wie es sich für einen »volksnahen« Politiker gehört: auf dem Stehplatz. Klar, dass die Erfolge des Vereins parteipolitisch verwurstet werden. Im Strandvallen wurden schon Werbespots für die Schwedendemokraten gedreht. Åkesson freut sich besonders über Siege gegen Vereine wie Syrianska FC oder Dalkurd FF, die migrantischen Milieus entstammen.
Im Vorstand von Mjällby AIF geht man vorsichtig mit dem Thema um. »Jimmie Åkesson ist ein guter Freund, aber ich bin nicht auf seiner politischen Linie«, meinte 2020 Sportdirektor Hasse Larsson. Deutlicher wurde Meistertrainer Anders Torstensson in einem Gespräch mit der Tageszeitung Göteborgs-Posten: »Ich sympathisiere nicht mit den Werten der Schwedendemokraten, so einfach ist das.«
Die sozialdemokratische Boulevardzeitung Aftonbladet verstieg sich gar zu der Behauptung, dass Mjällby AIF »für alles steht, was Åkesson hasst«. Nun ja. Vielleicht ist es eher so, dass man beim Sport gerne ein paar Augen zudrückt. Während die Schwedendemokraten »Remigration« predigen, feiert Åkesson öffentlich den Verbleib von Leistungsträgern aus Kenia oder Gambia bei seinem Lieblingsklub.
Er und die anderen Schwedendemokraten von Sölvesborg mögen dem Fußballmärchen Mjällby eine saure Note verleihen. Gleichzeitig erinnert der Titelgewinn des Vereins daran, dass für Gegner des modernen Fußballs in Schweden tatsächlich etwas zu holen ist. Zwar hat Rekordmeister Malmö FF dank vieler Millionen aus der Champions League auch in jüngerer Zeit die meisten Titel eingeheimst, doch zu den schwedischen Meistern der letzten 25 Jahren zählen auch Klubs wie Halmstads BK, Kalmar FF und Helsingborgs IF, die zum Teil nicht einmal mehr erstklassig spielen. Soll heißen: Die »Allsvenskan« bleibt eine der ausgeglichensten und spannendsten Ligen Europas. Und VAR gibt es auch keinen. Da geht Fußballromantikern das Herz auf.
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