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Aus: Ausgabe vom 28.10.2025, Seite 16 / Sport
Tennis

Gut, aber nicht gut genug

Jannik Sinner schlägt Alexander Zverev im Finale der Erste Bank Open in Wien
Von René Hamann
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Der ewige Zweite: Alexander Zverev

Wer sich für Tennis im allgemeinen und das Wirken des Hamburgers Alexander Zverev im besonderen interessiert, hat dessen Worte vom Anfang des Jahres noch durchaus im Ohr: Er sei einfach zu schlecht, bekannte er da, nach der Niederlage gegen Jannik Sinner im Finale der Australian Open. Jetzt schließt sich gewissermaßen der Kreis: Das Tennisjahr neigt sich dem Ende entgegen. Zverev spielte beim ATP-500-Hallenturnier in Wien im Endspiel wieder gegen eben jenen Sinner, und trotz eines sehr guten Auftritts, einer disziplinierten und wuchtigen Spielweise verlor Zverev ein weiteres Mal, diesmal mit 6:3, 3:6, 5:7. Der Unterschied ist vielleicht, dass man die Niederlage vom Sonntag bei den Erste Bank Open in der Stadthalle Wien auch positiv sehen kann: Er ist wieder da, er hat sich durchgebissen, er hat in den vorherigen Runden Widerständen getrotzt, ist seinen inneren Schweinehunden auf Augenhöhe begegnet, hat gekämpft und hier und da sogar sein bestes Tennis gezeigt. Er hat Sinner früh gebreakt, den Aufschlag gehalten, den ersten Satz nach Hause gebracht. Er hat sehr gut serviert. Seine Grundschläge waren hart und genau. Auf Sinners Tricks und Ticks ist er nur hin und wieder reingefallen; immer mal wieder wurde er erst mit seltsamen Vorhandstops ans Netz gelockt, um dann klassisch und schön überlobbt zu werden.

Im zweiten und dritten Satz gelang ihm allerdings kein Break mehr. Statt dessen unterlief ihm ein früher Aufschlagverlust, danach wurde für Zverev der Abstand zu einem eigenen Breakball immer größer, je weiter das Spiel fortschritt. Er wehrte sich nach Kräften und ließ sich in keiner Phase anmerken, dass das Momentum auf die Seite des Italieners kippte: Zverev hatte immer mal Pech mit Bällen, die er an die Linie setzen wollte – statt dessen landeten sie um Millimeter im Aus. Was ihm vier-, fünfmal passieren sollte, passierte dem Italiener kein einziges Mal.

Und so lief das Spiel darauf hinaus, dass sich Sinners Maschinentennis irgendwann durchsetzen würde. Im Grunde haben die beiden, der jüngere Italiener, der hier in Wien vor zwei Jahren bereits den Titel holte, und der ältere Deutsche, hier 2021 Sieger, eine recht ähnliche Spielweise: ein vergleichsweise konservatives Tennis, das auf eine niedrige Fehlerquote achtet und ein geradliniges, druckvolles Spiel mit starken Aufschlägen in Szene setzt. Sinner hat vielleicht die zwei, drei Mittel mehr als Zverev und wird insgesamt weniger durch mentale oder körperliche Schwächen beeinträchtigt.

Von einem Kampfwahnsinn mit viel Spin eines Rafael Nadal, dem mentalmonströsen, defensiven Rachetennis von Novak Đoković oder dem irre abgedrehten eines Carlos Alcaraz ist das recht weit entfernt. Sinner ist das egal, er weiß, dass er alle schlagen kann, sogar Alcaraz, es sei denn, der hat einen sonnigen Tag (und den hat er häufiger). Sinner hat eine Basis, von der aus er operieren kann, und im Stillen arbeitet er an Momenten, die unberechenbar sind.

Zverev hingegen muss sich sagen, dass er vielleicht nie gut genug für die absolute Spitze sein wird. Er ist kein Tennisgenie und wird auch nie eines sein. Spielt er so wie am Sonntag und in den Runden zuvor, wird er immer in Reichweite der Spitze bleiben. Für die meisten im Feld reicht das. Für die oberste Spitze, den ganz großen Wurf, den Grand-Slam-Titel voraussichtlich nicht. David Ferrer lässt grüßen.

Das Coronatrauma, das Drama vom leeren Stadion beim US-Open-Finale in New York 2020, wird so auch ewig an ihm haften bleiben, genau wie tragischerweise an Dominik Thiem, dem knappen Sieger von damals (8:6 im Tie-Break des fünften Satzes). Der schaut sich das Spektakel inzwischen von außen an. Zverev spielt hingegen noch mit. Was soll er auch sonst machen? Er legt sich nicht mit Schiedsrichtern an wie Daniil Medwedew (der immerhin schon Nummer eins war und ein Major gewonnen hat) und hadert nicht mit seiner Crew wie Stefanos Tsitsipas. Aber er ist genauso verloren.

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