Kleine Adolfs des Tages: Verfassungsschützer
Von Niki Uhlmann
Die Demokratie verteidigen. In der BRD keine leichte Aufgabe, resultiert doch aus dem, was sich die zu Staatsbürgern Erzogenen von ihr versprechen, und dem, was sie bekommen, ein himmelschreiender Widerspruch, der viele Demokratieverdrossene und einige Demokratiefeinde produziert. Misst man Demokratie an ihrer Idee, sie sei Herrschaft durch und für das Volk, lebt in Deutschland womöglich nicht ein einziger Demokrat. Letztlich müssen ihre überschaubaren Nutznießer die wandelnde Paradoxie namens liberale Demokratie gegen das verdorbene Volk, also gegen sich selbst, verteidigen. Dafür haben sie 1950 einen eigenen Inlandsgeheimdienst, den Verfassungsschutz (VS), eingerichtet und ihn mit allerhand demokratiefeindlichen Befugnissen ausgestattet. Am Montag ist er 75 geworden.
Zugestanden: Es gibt nicht nichts zu feiern. Immerhin war der erste Präsident des Bundesamts kein Faschist. Bloß erkannte Otto John die Tendenz seines Ladens fix und machte 1954 unter dubiosen Umständen rüber, um in der DDR »gegen die Bedrohung durch einen neuen Krieg tätig zu sein«. Von 1955 bis 1972 brachte der ehemalige SA-Mann Hubert Schrübbers die Behörde wieder auf Kurs. Seitdem jagt ein Skandal den nächsten, zuverlässiger als der VS tatsächliche Demokratiefeinde. Ihren vorläufigen Tiefpunkt erreichte diese Serie mit dem NSU-Komplex. Als Halit Yozgat 2006 von Neonazis ermordet wurde, war ihr VS-Kontakt, der Verfassungsschützer Andreas Temme aka »Kleiner Adolf«, am Tatort.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kümmert das alles nicht: Der VS stehe »seit 75 Jahren dafür, dass aus der Geschichte unseres Landes die richtigen Lehren gezogen werden«. Noch unnachgiebiger müsse die Demokratie heute verteidigt werden. Wer das hört und sich guten Gewissens als Demokrat betitelt, ist ein Fall für den Verfassungsschutz.
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vom 28.10.2025