Israels Hilfssheriff in Ramallah
Von Malika Salha
Seit dem Geiselaustausch zwischen Israel und der Hamas Mitte Oktober 2025 wird die Westbank von einer Verhaftungswelle erfasst. Die Festnahmen erfolgen jedoch nicht durch israelische Kräfte, sondern durch Einsatzkräfte der Palästinensischen Nationalbehörde (Palestinian Authority, PA) in Ramallah. In mehreren Städten im Westjordanland werden ehemalige Häftlinge, darunter vor allem oppositionelle Journalisten und Aktivisten, erneut inhaftiert. Menschenrechtsgruppen sprechen seit Jahren von willkürlichen Festnahmen durch die PA. Eine Eskalation interner Repression unter dem Vorwand »innerer Sicherheit«.
Unter anderem wurde der 28jährige Musab Kawsa festgenommen, der beim jüngsten Gefangenenaustausch vor nicht einmal zwei Wochen freigekommen war. Seine Familie berichtet, man habe keinen Haftgrund vorgelegt. Kawsa bleibt seither in Untersuchungshaft, seine Haftzeit wurde erst kürzlich um 15 Tage verlängert, obwohl seine Angehörigen einen schlechten Gesundheitszustand nach der Inhaftierung im israelischen Militärgefängnis beklagt hatten. Am selben Tag wurde auch der Lehrer Thamer Sabaa in Dschenin festgenommen, ein ehemaliger politischer Gefangener Israels, der bereits 2024 entlassen worden war. Der Journalist Sami Al-Sai, der in israelischer Haft gefoltert worden war, wurde am 15. Oktober von palästinensischen Einsatzkräften abgeführt.
Man kann bei diesen Vorgängen von einem »Drehtüreffekt« sprechen. Israelische und palästinensische Behörden überwachen und verfolgen dieselben Menschen, weil sich politische Interessen überschneiden. Israel entlässt, die PA greift auf. Die PA hält durch innere Repression den eigenen politischen Erfolg sowie Beziehungen zum politischen Westen aufrecht. Ziel der Festnahmen scheint dabei weniger die Aufklärung von Straftaten zu sein als die Kontrolle der Opposition. Viele der Betroffenen hatten öffentlich Kritik an der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und der Rolle der PA in der sicherheitspolitischen Zusammenarbeit mit Israel geübt.
Diese Kollaboration ist das koloniale Rückgrat des Oslo-Systems. Nach den entsprechenden Abkommen von 1993 und 1995 (Oslo I und II) trägt die PA die Verantwortung für die »innere Sicherheit«, während Israel die Kontrolle über äußere und strategische »Sicherheit« behält. Die Fortexistenz der PA ist vertraglich an ihre kontinuierliche Sicherheitskoordination mit Israel gebunden. Wird diese ausgesetzt, kann Israel laut Oslo II die Verantwortung in diesem Bereich wieder vollständig übernehmen.
Die Existenz der PA und die Legitimation der PLO sind damit an die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit der Besatzungsmacht gebunden. Ohne sie verliert die PA ihre administrative Grundlage und die PLO ihren politischen Status als Verhandlungspartner des politischen Westens. Die von Israel entworfene Sicherheitsarchitektur wurde nicht abgebaut, sondern in palästinensische Institutionen überführt – und mit ihr auch jene westliche sicherheitspolitische Logik, die auf der Vorstellung vom »potentiellen Gefährder« beruht. Eine begriffliche Konstruktion, die Willkür ermöglicht und damit auch die Festnahme politisch Oppositioneller als vermeintlich legitim erscheinen lässt. Die PLO profitiert davon. Politisch, weil sie als Garantin von Stabilität international anerkannt bleibt, und materiell, weil westliche Hilfszahlungen an die Sicherheitszusammenarbeit gebunden sind.
Wer einmal inhaftiert war, bleibt in den Datenbanken sowohl der Besatzer als auch ihrer Kollaborateure vermerkt. Die Tür dreht sich weiter: von israelischer Folter zur palästinensischen Prozesslosigkeit. In ihrer durch Oslo geprägten Struktur spiegelt die Nationalbehörde die aus kolonialer Staatserfahrung hervorgegangene Fixierung auf vermeintliche Sicherheit wider – eine Logik, die sicherheitspolitische Kontrolle zur Bedingung von Staatlichkeit erklärt.
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