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Aus: Ausgabe vom 27.10.2025, Seite 16 / Sport
Radsport

Ennui des Grandiosen

Die Straßenradsaison 2025 ist abgeschlossen. Die Machtverhältnisse sind klarer denn je
Von Felix Bartels
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Er überragt sie alle: Tadej Pogačar

Als die Straßenradsaison in China zu Ende ging, war keiner der Außerirdischen zugegen. Zur Tour of Guangxi fährt niemand, der nicht muss. Zeitverschiebung, ab vom Schuss, nichts, das man im Lebenslauf erwähnt. Radprofis nennen die Unlust, sich im Herbst noch zu verausgaben, »Septem­beritis«, doch warum Außerirdische? Herausragende Fahrer gab es zu allen Zeiten, die Dominanz einer Handvoll indessen ist derzeit so stark wie noch nie. Es geht dabei nicht allein um Seriensiege, vielmehr um die Art, wie Rennen gewonnen werden, dass man oft vorher schon weiß, wie genau ein Rennen abläuft, dass Außenseiter so gut wie keine mehr Chance haben, für Überraschungen zu sorgen.

Am wenigsten klar noch waren in dieser Saison die Machtverhältnisse im Segment der Sprinter. Der kraftvolle Jonathan Milan und der instinktsichere Positionsfahrer Tim Merlier haben erwartbar die Sprintankünfte bei den Rundfahrten bestimmt, Milan sicherte sich das Grüne Trikot der Tour de France, Merlier holte 16 Saisonsiege. Dennoch hielt sich auch dieses Jahr Jasper Philipsen knapp hinter den beiden, seinen Ausfall bei der Tour kompensierte er mit drei Etappensiegen bei der Vuelta. Hinter ihm allerdings wächst einiges nach. Namentlich Matthew Brennan und Paul Magnier, mit 14 beziehungsweise 19 Saisonsiegen.

Die vier Außerirdischen bestimmen die restlichen Segmente. Ihre Namen: Tadej Pogačar, Mathieu van der Poel, Remco Evenepoel und – mit Abstrichen – Jonas Vingegaard. Pogačar überragt alle: 20 Saisonsiege und Platz eines im Victory-Ranking, erster der UCI-Weltrangliste mit 11.680 Punkten und damit beinahe doppelt so vielen wie die auf Rang zwei und drei liegenden Vingegaard und Isaac Del Torro. Dennoch behauptete Evenepoel 2025 seinen Status im Zeitfahren. Er ist nunmehr amtierender Olympiasieger, Welt-, Europa- und Belgischer Meister in der Disziplin. Zudem hat er drei der vier Zeitfahrtappen gewonnen, die er 2025 bestritten hat, lediglich im Bergzeitfahren bei der Tour, das Pogačar gewann, wurde er zwölfter. 400 Watt in den Beinen, intuitive Krafteinteilung, vollendetes Bike Handling und eine körpergrößenbedingt äußerst günstige Aeroposition sorgen dafür, dass er bei flachen Zeitfahren auch von Spezialisten wie Joshua Tarling, Filippo Ganna, Stefan Küng oder Ethan Hayter kaum gefährdet wird.

Das Segment der Klassiker teilen sich Mathieu van der Poel und Tadej Pogačar. Von den fünf Monumenten dieses Jahr gewann van der Poel zwei, Pogačar drei, in den neun letzten Austragungen hieß der Sieger entweder Pogačar oder van der Poel, 13 der 15 zwischen 2023 und 2025 ausgetragenen Monumente gingen an die beiden, sechs an van der Poel, sieben an Pogačar. Lediglich Philipsen gewann 2024 Milan–Sanremo und ­Evenepoel 2023 Lüttich–Bastogne–Lüttich, wobei van der Poel 2024 für Philipsen das Lead-out besorgt hatte, und Pogačar 2023 nach einem Sturz ausgeschieden war. Somit hatten die letzten 15 Monumente nur vier verschiedene Sieger. Zum Vergleich: Die 15 Monumente der Saisons 2017 bis 2019, als van der Poel und Pogačar am Anfang ihrer Profilaufbahn standen, hatten 13 verschiedene Sieger.

Herrsche und teile. Van der Poel gehören die Pflasterklassiker, die seiner Physiologie entgegenkommen, Pogačar die Klassiker mit mehr Höhenmetern, bei denen er seine Explosivität im Anstieg ausspielen kann. Die Doppelherrschaft aber scheint nur vorläufig stabil. Wie van der Poel unlängst in einem Interview kon­statierte, sei Pogačar eher dabei, das Pflastersegment zu erobern, als er dabei sei, in Pogačars Revier zu stoßen. Entsprechend sprintete van der Poel ihn bei Milan–Sanremo ab, verlor bei der Flandern-Rundfahrt aber den Anschluss an Pogačar, der seinerseits bei Paris–Roubaix hinter van der Poel auf den zweiten Rang fuhr. Bei den steigungsschweren Eintagesrennen Strade Bianche, Fleche Wallonne, Lüttich–Bastogne–Lüttich, Tre Valli Varesine und Il Lombardia, die von Pogačar gewonnen wurden, trat van der Poel gar nicht erst an. So dürfte er sich in den kommenden Jahren darauf konzentrieren, seine Spezialstrecken Sanremo und Roubaix zu verteidigen, die Pogačar in seinen Palmarès noch fehlen. Gewiss ist er stärker im Sprint, weswegen Pogačars Strategie sein muss, ihn vorher abzuhängen, allerdings sind die beiden 2025 viermal gegeneinander gesprintet, zweimal (Sanremo, Boulogne-sur-Mer) gewann van der Poel, zweimal (Montluçon, Rouen) Pogačar.

Hinter den beiden bewegt sich im Frühjahrszirkus Mads Pedersen, als der Beste vom Rest, außerdem Evenepoel, der in den letzten drei großen Eintagesrennen (WM, EM, Il Lombardia) Pogačar nicht folgen konnte, doch klar der zweitbeste war, sowie Isaac Del Torro, der im italienischen Herbst unglaubliche sieben von neun Rennen gewann, bei denen er als Kapitän fuhr. Sobald sein Teamkollege Pogačar bei allen nicht allzu flachen Eintagesrennen am Start steht, fährt er im Grunde nur gegen sich selbst. Einigermaßen frustriert konstatierte Evenepoel nach der EM, dass Pogačar eine Stärke habe, die das gesamte Spiel verändert: Er könne in Anstiegen ein paar Minuten länger als die Konkurrenz zwischen 40 und 50 Watt mehr treten. Das reiche, sich mit komfortabler Distanz abzusetzen, die er dann kontrolliert ins Ziel zu retten imstande sei. Es ist also nicht allein die hohe Schwellenleistung, die den Ranglistenersten kaum schlagbar macht, es ist die anaerobe Kapazität, vermittels der er bei schweren Passagen hohes Tempo anschlagen und sich danach schneller als die Konkurrenz davon erholen kann. Das taktische Szenario wird damit sehr einfach: Entweder kontrolliert sein Team UAE das Rennen und setzt im Finale auf Pogačars Sprintstärke, oder der Kapitän greift lange vor dem Ziel im schwersten Abschnitt des Rennens an und hält den gewonnenen Vorsprung bis ins Ziel. Entscheidend für ihn ist stets der schwerste Abschnitt. Liegt der 100 Kilometer vor dem Ziel, greift der Weltmeister halt dort an. Diese Dramaturgie hat sich in der Saison 2025 unerbittlich wiederholt.

Dass er Rouleur, Puncheur und Grimpeur in einem ist, macht Pogačar zugleich zum besten Rundfahrer des Pelotons, da er zum anderen jene Resilienz besitzt, die Rundfahrer insonders bei Grand Tours brauchen. Im Segment der Rundfahrten folglich hat sich der Trend der letzten Jahre ebenfalls verstetigt. Man muss mittlerweile sagen, dass Jonas Vingegaard, der Pogačar 2023 noch schlagen konnte, den Anschluss verloren hat. Abgeschlagen fuhr er auf Platz zwei in Paris ein, und seit Sommer 2023 konnte er bei keinem Duell im Hochgebirge Zeit auf Pogačar gutmachen, der dafür oftmals auf ihn. Dass dieser Rückstand auf Pogačar gegenwärtig größer ist als sein Vorsprung auf die übrigen Konkurrenten, zeigte sich denn auch daran, dass Vingegaard die Vuelta nur mühsam gegen João Almeida gewinnen konnte. Eben jenen Almeida, der als Pogačars erster Helfer fährt.

Das UAE-Team macht die von vielen beklagte Monokultur der letzten Jahre komplett. Mit 95 Saisonsiegen, verteilt auf 20 Fahrer, stellte man den All-Time-Rekord des Teams HTC ein, das 2009 – damals mit Mark Cavendish in den Reihen – auf 85 Siege kam. Bei allen drei Grand Tours hatte UAE einen Fahrer auf dem Podium, bei der Tour de France holte man den Gesamtsieg ebenso wie bei neun der zwölf einwöchigen Rundfahrten in der World Tour. Geld regelt vieles, nicht alles. Gewiss hat das Staatsteam der Vereinigten Arabischen Emirate das größte Budget. Die Kaderstrategie ist dennoch durchdacht, man kauft nicht einfach sinnlos, was der Markt hergibt, und der vor drei Jahren zum Team Visma noch bestehende Rückstand in Trainingsmethodik und taktischer Akribie scheint mittlerweile geschlossen.

Zeit für Größenwahn, dachte sich Matxin Fernández, sportlicher Leiter bei UAE: »Wir haben 95 Rennen gewonnen, aber es stimmt auch, dass wir 280 Rennen gefahren sind. Wir verlieren viel mehr, als wir gewinnen.« Kollegen wie Jonathan Vaughters, der bei EF Education mit geringen Mitteln Äußerstes leistet, werden die Worte mit Ekel vernommen haben. Sie wissen: Jedem Aufstieg folgt ein Fall. Fernández kann ja bei Visma-Chef Richard Plugge nachfragen, der vor zwei Jahren noch oberlehrerhaft durch die Szene schwebte, wie sich das dann anfühlt.

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