Milliardengrab als Köder
Von Reinhard Lauterbach
Bei allen hochrangigen Treffen zwischen Russland und den USA der vergangenen Monate war auf russischer Seite stets einer dabei, der mit der Beilegung des Ukraine-Konflikts und anderer laufender Streitpunkte unmittelbar gar nichts zu tun hatte: Kirill Dmitrijew, der Chef des staatlichen »Russischen Fonds für Direktinvestitionen« (englisch abgekürzt als RDIF). Seine Aufgabe war offenkundig, am Rande der ihrer Natur nach eher konfrontativen Beratungen kühne Perspektiven internationaler Großprojekte als Köder auszuwerfen.
So hatte Dmitrijew Mitte Oktober den Gedanken einer Tunnelverbindung unter der Beringstraße zwischen der russischen Halbinsel Tschukotka und dem US-Bundesstaat Alaska ins Spiel gebracht. Die Arbeiten an einer Machbarkeitsstudie seien bereits vor sechs Monaten gestartet, schrieb Dmitrijew auf der Onlineplattform X. US-Präsident Donald Trump nannte die Idee »interessant«, der ukrainische Präsident, der auf derselben Pressekonferenz wie Trump war, fand wenig überraschend keinen Gefallen an der Idee.
Dmitrijew schätzte die Baukosten für den etwa 100 Kilometer langen Tunnel auf mindestens 65 Milliarden US-Dollar. Das ist aber nur ein kleiner Teil der Gesamtkosten. Die beziffert eine in Anchorage registrierte Investmentfirma namens Interbering auf um die 250 Milliarden US-Dollar, vor allem für die Landanbindung auf beiden Seiten. Denn die ist das Hauptproblem: Alaska ist nicht an das nordamerikanische Eisenbahnnetz angeschlossen, Tschukotka nicht an das russische. Auf US-Seite müssten laut Interbering 2.500 Kilometer Strecke neu gebaut werden, auf russischer Seite 3.800 bis nach Jakutsk, dem heutigen nordöstlichen Ende des dortigen Eisenbahnnetzes. Über Hochgebirge und auf – im Zuge der Klimaerwärmung – vom Absacken bedrohtem Permafrostboden.
So klar der enorme Investitionsbedarf für ein derartiges Vorhaben wäre, so schleierhaft ist, was diese Bahn denn dereinst transportieren könnte. Für Öl und Gas haben sich Pipelines als vergleichsweise kostengünstiges Transportsystem etabliert, für sonstige Massengüter kommt es auf die Transportzeit – die das Hauptargument für den Bau einer solchen Landverbindung darstellt – nicht besonders an. Was Russland aus seinen anliegenden Regionen exportieren könnte, sind aber vor allem Massengüter wie Erze und Mineralien.
Dass Interbering auf seiner Website dann noch den Bau zweier Luxushotels auf den beiden Diomedes-Inseln, ungefähr in der Mitte der Beringstraße, anpreist, fällt vermutlich doch eher unter die Rubrik Investorenlyrik. Wer sollte einen Haufen Geld dafür ausgeben, sich im notorisch unfreundlichen Klima der Beringstraße die Datumsgrenze von der einen oder der anderen Seite anzusehen?
Zugegeben: Russland hegt äußerst ehrgeizige Pläne für die Entwicklung seines »Fernen Ostens«. Auf dem »Östlichen Wirtschaftsforum« in Wladiwostok hatte Wladimir Putin im September allerlei Ideen vorgestellt, wie dort, in Kooperation mit China, Hightech aller Art hergestellt werden könnte. Die Realität ist freilich ernüchternder: Der russische Ferne Osten leidet seit dem Ende der Sowjetunion unter einem chronischen Bevölkerungsrückgang. Im Föderationskreis Ferner Osten lebten 2015 – neuere Zahlen liegen nicht vor – auf knapp sieben Millionen Quadratkilometern etwas über sechs Millionen Menschen, und die vor allem an dessen südlichem Rand, wo die Transsibirische Eisenbahn verläuft. Selbst ein Programm, um mit der kostenlosen Vergabe staatlichen Landes die landwirtschaftliche Erschließung voranzubringen, ist wieder eingeschlafen.
Ein wesentlicher geopolitischer Pferdefuß bleibt aus Moskauer Sicht in jedem Fall: Je mehr für die Erschließung des Fernen Ostens chinesisches Kapital herangezogen werden müsste, desto mehr dürften sich auch in China Begehrlichkeiten regen, diese Landstriche, die Russland China im 19. Jahrhundert mit Hilfe »ungleicher Verträge« abgeluchst hatte, zurückzubekommen. So wird die Unterquerung der Beringstraße vermutlich – außer ein paar Projektgrafiken im Internet – keine bleibenden Spuren hinterlassen.
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