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Von Oliver Rast
Sie wollen Menschen aus ihren Wohnungen treiben, auf die Straße, ohne Obdach. Mit Vorsatz. Denn jüngste Pläne aus dem Koalitionsausschuss des »schwarz-roten« Bundeskabinetts sehen die Option vor, alle Leistungen für Bürgergeldbezieher komplett einzustellen – »einschließlich Kosten für Unterkunft«, erklärten neun Verbände am Dienstag in einem offenen Brief an Bundestagsabgeordnete. Darin fordern etwa der Arbeitersamariterbund (ASB), der Deutsche Mieterbund (DMB), der Sozialverband VdK und die Gewerkschaft Verdi, die geplanten Verschärfungen zu stoppen.
Bereits seit Monaten stehen Arme unter Dauerfeuer der Koalition. Die Bürgergeldkosten würden »explodieren«, besonders Mietkosten nach dem Regelsatz für das alltägliche Leben. Deshalb Nullrunden, deshalb härtere Sanktionen, deshalb die Abschaffung des Bürgergelds. Und nicht zuletzt deshalb der von Bundessozialministerin Bärbel Bas (SPD) eingebrachte Gesetzentwurf für eine neue Grundsicherung. Auch dort zentral: die Kosten für Unterkunft. Die müssten »wirkungsvoll begrenzt« werden, so die Ressortchefin, beispielsweise mittels »kommunalen Quadratmeterdeckels«. Maßnahmen, kaschiert als Kampf gegen »Sozialbetrug mit Schrottimmobilien«.
Noch vor anderthalb Jahren lautete das Regierungscredo: Wohnungs- und Obdachlosigkeit bis 2030 überwinden. Mit einem »nationalen Aktionsplan«. Übriggeblieben ist davon nichts. Und: Schon kleine Sanktionen würden Personen ohne finanzielle Rücklagen schnell existentiell bedrohen, sagte Sabine Bösing am Dienstag jW. Die Folge: »Mietschulden häufen sich, die Wohnung ist in Gefahr«, so die Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG W) weiter. Wer seine Bleibe verliere, finde auf einem überhitzten Wohnungsmarkt kaum Ersatz. Schlimmer noch: »Eine Vollsanktionierung, die auch die Kosten für Unterkunft und Heizung streicht, käme einem direkten Weg in die Wohnungslosigkeit gleich.« Sollte der Bas-Entwurf Gesetz werden, dürfte die Zahl der Zwangsräumungen und die der wohnungslosen Menschen steigen. Drastisch.
Hinzu kommt: Mit den verschärften Regeln aus dem Koalitionsvorstoß entfalle bei Umsetzung die bisherige Sicherheit für Vermieter, dass Mieten von Bürgergeldbeziehern zuverlässig übernommen werden, so das Verbändebündnis. »Das erschwert die Wohnungssuche für Leistungsberechtigte.« Extra betroffen wären schutzbedürftige Personengruppen wie Familien mit Kindern, Menschen mit Einschränkungen und Pflegebedürftige.
Offenbar kein Problem für René Springer. »Eine Verschärfung der Sanktionen im Bürgergeld ist längst überfällig«, meinte der Sprecher für Arbeit und Soziales der AfD-Bundestagsfraktion am Dienstag auf jW-Nachfrage. Mehr noch, es sei bedenklich, wenn sich Sozialverbände schützend vor »Totalverweigerer« stellten, statt die Interessen der tatsächlich Bedürftigen zu vertreten. ASB-Hauptgeschäftsführer Uwe Martin Fichtmüller widerspricht – und mahnt: Eine stabile soziale Infrastruktur sei wichtig. Das bedeutet? »Keine Sparpolitik auf dem Rücken der Schwächsten.«
Unterstützung kommt von Sahra Mirow (Die Linke). Die Verbändewarnung sei ein Alarmruf an die Bundesregierung, betonte die Sprecherin für soziales Wohnen ihrer Bundestagsfraktion gegenüber jW. »Es ist unverantwortlich, ein Gesetz zu planen, das Wohnungslosigkeit fördert.« Der Verlust von Obdach dürfe kein politisches Druckmittel sein.
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