Panoptikum der Kriegspropaganda
Unter dem Titel »Chronik eines angekündigten Krieges« ist im Westend-Verlag ein Band erschienen, in dem sich der US-Historiker Marc Trachtenberg und der Autor Marcus Klöckner mit Narrativen befassen, die im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine kursieren. Die beiden Beiträge stehen dabei nebeneinander. Trachtenbergs Essay beschäftigt sich mit den 1990 im Zuge der Beendigung der deutschen Zweistaatlichkeit gemachten Zusagen an Moskau, das NATO-Bündnis nicht nach Osteuropa auszudehnen. Klöckners Beitrag ist eine lesenswerte, im Januar 2022 mit der Berichterstattung über die zugesagte Lieferung von 5.000 Helmen einsetzende Chronik der politisch-medialen Begleitung des Ukraine-Krieges in Deutschland, die zu einem Panoptikum der Kriegspropaganda gerät.
Trachtenberg weist die seit 2022 mit neuer Vehemenz vorgetragene Behauptung, es habe nie Zusicherungen über eine Nichtausdehnung der NATO nach Osteuropa gegeben, überzeugend zurück. Der damalige US-Außenminister Baker und auch Bundesaußenminister Genscher hätten das gegenüber Gorbatschow im Februar 1990 eindeutig ausgesprochen. Das sei zunächst auch gar keine Täuschung gewesen: Eine NATO-Ausdehnung habe in Washington zunächst tatsächlich nicht auf der Agenda gestanden, weil es jahrzehntelang das Ziel gewesen sei, Osteuropa zu »finnlandisieren«. Und 1990 stand man »vor der Verwirklichung dieses Traums«. Auch wäre die Wiedervereinigung Deutschlands zu »westlichen Bedingungen« ohne Respektierung der Sicherheitsinteressen Moskaus nicht zu haben gewesen. Beim Washingtoner Gipfel im Mai 1990 habe Gorbatschow keineswegs, wie später behauptet wurde, zugestanden, dass jedes Land der NATO beitreten könne, sondern nur akzeptiert, dass das vereinigte Deutschland weiter der NATO angehören wird.
Trachtenberg geht am Ende seines interessanten Beitrags auch auf die in der Annahme, es gebe dafür keinen Grund, immer wieder gestellte Frage ein, warum die NATO nach dem Ende des Kalten Krieges überhaupt weiter existierte. Er führt mehrere Äußerungen von Politikern und Wissenschaftlern an, um seine Ansicht zu belegen, nach der das Militärbündnis weiter existierte, weil es eine Doppelfunktion hatte und hat: Es sichere die militärische Präsenz der USA in Europa und speziell in Deutschland, wodurch, so etwa der französische Politikwissenschaftler Pierre Hassner, einerseits die »russische Macht« ausbalanciert und andererseits Deutschland »diskret« kontrolliert werde. Im Kern gehe es darum, Russland und Deutschland daran zu hindern, entweder einzeln oder gemeinsam die Hegemonie über den europäischen Kontinent zu erlangen – das sei, zitiert Trachtenberg Hassner, »das Wesen des atlantischen Bündnisses«. »Innerhalb des außenpolitischen Establishments der USA« sei diese Auffassung »weitverbreitet« und werde von Zeit zu Zeit auch unverblümt ausgesprochen, so Trachtenberg. Auch der damalige Senator und spätere Präsident Joseph Biden habe 1997 mit Nachdruck betont, die NATO sei »nie, nie, nie« nur dazu da gewesen, »Russland einzudämmen«. (jW)
Marc Trachtenberg, Marcus Klöckner: Chronik eines angekündigten Krieges. Die Ukraine und das Versagen der Diplomatie. Westend, Neu-Isenburg 2025, 206 Seiten, 20 Euro
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