Vollzug der Kernschmelze
Von Michael Merz
Das Mantra von Kochefredakteurin Barbara Junge ist nicht zu überhören: »Die Taz bleibt Tageszeitung.« Auf einer Pressekonferenz über die Zukunft ihres Blattes am Dienstag schwingt das große Aber bei jeder Wiederholung des Satzes stärker mit. Es wird ab Montag unter der Woche keine Taz auf gedrucktem Papier mehr geben. Ein möglichst großer Teil der Leserschaft soll statt dessen auf die Nutzung des E-Papers am Bildschirm getrimmt werden. Druck- und Vertriebskosten an fünf Tagen der Woche spart das, nur am Sonnabend wird das Blatt aktuell am Kiosk erhältlich sein – oder im Briefkasten stecken, wenn der Zusteller es will.
Ob diese Konsequenz aus dem rasanten Verlust an Printabonnements – zwischen der Verkündigung des Vorhabens 2018 und heute gingen 13.000 Abos verloren – Erfolg haben wird, steht in den Sternen. Um Zweifel an der Abschaffung der Papierausgaben zu zerstreuen, wird sie als Fortschritt verkauft – »die Taz vollzieht damit als erste überregionale Tageszeitung den Umstieg ins Digitale«. Wie viele bisherige Leser wohl mitgehen werden? Im Worst Case rechnet Geschäftsführerin Aline Lüllmann damit, dass 40 Prozent der etwa 14.000 Abonnenten der täglichen Printausgabe, die im Oktober noch zu Buche stehen, künftig das E-Paper nutzen könnten. Die Hoffnung liegt auf der Cashcow »TZI«, wie es Geschäftsführer Andreas Marggraf nennt – »Taz zahl’ ich«, das freiwillige Bezahlmodell für Nutzer der Website, die weiter kostenlos zur Verfügung stehen soll.
Bei der Taz ist die Vorliebe für Formulierungen auffällig, die zunächst einen originellen Anschein haben, aber zu Ende gedacht mächtig quietschen. »Endlich nicht mehr herumdrucksen« lautete etwa die Überschrift einer Kolumne vor einem Jahr, die das digitale Lesen schmackhaft machen sollte. Mit »Appenings« wurde das Ganze vor Ort untermauert, dem Papierverzicht gar der Claim »Seitenwende« verpasst. Einst galten die von der Redaktion kreierten Schlagworte und vor allem Überschriften in der Volontärsausbildung als vorbildhaft: Häufig sprühte der Witz, es blieb kein Auge trocken, kaum ein Politiker verschont – etwa »Toskana, ich komme« anlässlich Oskar Lafontaines Rückzug als SPD-Finanzminister. In den 90ern war das, aus heutiger Sicht eine goldene Zeit des deutschen Journalismus. Die Taz traute sich etwas, war provokant. Von jW darauf angesprochen, dass der Begriff »Seitenwende« doch sehr an die von der Vorgängerregierung ausgerufene »Zeitenwende« der Aufrüstung und Militarisierung erinnert, schmunzelt die versammelte Taz-Führungsriege am Dienstag: »Also, wir fanden’s lustig.« Zuvor habe man die Umstellung »Switch« genannt, das sei blöder gewesen.
Zurechtbiegen ist angesagt, der Zweckoptimismus durchschaubar. Denn ernst ist die Lage, für Printmedien generell. Was gab es doch für linke Ideale zum Antritt der Taz 1978 als »Plattform für einen anderen Journalismus« in Westdeutschland. Doch mit den Jahren nahmen inhaltlich die Belanglosigkeiten und politisch die Anpassung zu. Spätestens als die Grünen an die Regierung gekommen waren und deutsche Bomber nach Jugoslawien schickten, war es vorbei mit den Alternativen. Und schließlich stand die intensive Rezeption von Texten, die das Lesen auf Papier ermöglicht, zur Disposition. 2018 war das, da hatte die Taz sich gerade ein nagelneues Verlagsgebäude in die Berliner Friedrichstraße gezimmert. Der damalige Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch gab vor, sich doch bitte vom Papier zu verabschieden, besser früher als später. Ohne große Druckserei. Nun ist es soweit, die Kernschmelze nicht mehr aufzuhalten.
Als sie 2020 in die Chefredaktion der Taz kam, habe sie sich die Einstellung der täglichen Printausgabe nicht vorstellen können, sagt Ulrike Winkelmann am Dienstag vor der versammelten Presse. Vielleicht werde sie in der nächsten Woche ja schon die Zeitungsstapel im Foyer vermissen, ergänzt sie, ein wenig Traurigkeit klingt an. Im September 2024 lautete die Überschrift zum Bericht über die Abstimmung der Taz-Genossenschaft, die da den Beschluss zur Einstellung der täglichen Printausgaben gefasst hatte, »Bloß nicht in Schönheit sterben«. Doch wie wird die Zukunft aussehen? Das Risiko ist da, in der Hässlichkeit des Internets unterzugehen. Das versteht eben keinen Spaß mehr, hier zählt ausschließlich die Suchmaschinenoptimiertheit.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (17. Oktober 2025 um 11:14 Uhr)Die Verteidigung der gedruckten Zeitung gleicht dem Versuch, das Pferd im Zeitalter des Elektroautos zu retten. Printmedien sind kein Ausdruck von Beständigkeit, sondern von Beharrung – sie klammern sich an eine Form, die längst zum Fetisch geworden ist. Papier, Druck und Transport verschlingen Ressourcen, nur um Informationen zu verbreiten, die im Moment ihres Erscheinens bereits veraltet sind. Der Mythos vom »authentischen« Blätterrauschen ersetzt keine lebendige Öffentlichkeit. Eine offene digitale Plattform, auf der Nachrichten, Analysen und Widerspruch in Echtzeit aufeinandertreffen, wäre nicht das Ende des Journalismus, sondern seine Befreiung – von Produktionskosten, Hierarchien und Gatekeepern. Wer heute noch das gedruckte Wort verklärt, verwechselt Tradition mit Relevanz. Die Zukunft des Denkens liegt nicht im Archiv, sondern im Dialog – direkt, offen und in Echtzeit.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Marian R. (17. Oktober 2025 um 15:58 Uhr)Zitat: »Papier, Druck und Transport verschlingen Ressourcen […]« – vielfältig und seriös wurde bewiesen, dass die elektronische Speicherung von Informationen (Server) Unmengen von Land, Wasser und Strom verschlingt – die Mär vom Umweltschutz durch elektronische Speicherung ist bequem – aber eine Lüge. Zitat: »Informationen […] die im Moment ihres Erscheinens bereits veraltet sind.« – tagesaktuelle Informationen allein nützen rein gar nichts auf dem Weg zu politischen Veränderungen, sie gaukeln uns nur vor, frisch und somit gut und wichtig zu sein. Zugespitzt: Würden wir alle nur Klassiker lesen und dementsprechend handeln, wäre die Welt eine bessere.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (17. Oktober 2025 um 18:32 Uhr)Der ökologische Vergleich zwischen Print und Digital ist komplex, doch die Bilanz spricht eindeutig für digitale Formate. Zwar verbrauchen Rechenzentren Energie, doch der Ressourcenaufwand für Papierherstellung, Druckfarben und Maschinenherstellung, Transport und Entsorgung übersteigt den digitalen Fußabdruck meist deutlich, insbesondere bei täglicher Produktion und Verbreitung. Die Behauptung, allein »Klassiker lesen« mache die Welt besser, ignoriert die Dynamik unserer Gegenwart. Gesellschaften verändern sich durch aktuelle Information, Diskussion und Teilhabe – nicht durch Rückzug in vergangene Gewissheiten. Bildung entsteht im Dialog zwischen Tradition und Gegenwart, nicht im Ausschluss einer der beiden Seiten.
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