»Zur Kriegführung gehört auch Propaganda«
Interview: Ignacio Rosaslanda
Sie sind Islamwissenschaftler und haben in der Vergangenheit wiederholt Länder im Nahen Osten bereist. Seit zwei Jahren sind Sie als Kritiker der Berichterstattung über die Gewalt in Gaza in Erscheinung getreten. Wie kam es dazu?
Aus der Notwendigkeit heraus, weil mir aufgefallen ist, dass da seit dem 7. Oktober 2023 viel schief läuft. Ich schreibe auch gerade ein Buch zur Rolle deutscher Medien beim Genozid in Gaza.
Der Titel lautet »Staats(räson)funk«. Was meinen Sie damit?
Das soll quasi bedeuten, dass es eben kein Staatsfunk ist, wie manche das manchmal so vereinfacht darstellen, sondern eher über den Begriff der Staatsräson zu verstehen ist, warum die Berichterstattung so schlecht ist.
Was haben Sie für das Buch untersucht?
Ich habe mir angeschaut, welche Quellen in der Nachrichtenberichterstattung genutzt werden. Und das sind halt überwiegend offizielle Angaben der israelischen Regierung und der israelischen Armee, während ganz viele andere Quellen – nicht nur palästinensische, sondern internationale Organisationen oder NGOs – fast gar nicht verwendet werden.
In welchem Duktus erfolgte die von Ihnen untersuchte Berichterstattung?
In fast allen Medien, die ich untersucht habe, wurden sehr unkritisch Begriffe aus dem israelischen PR-Apparat übernommen. Auffällig ist zum Beispiel auch: Wenn Israelis sterben, dann häufig im Aktiv und der Täter wird genannt: »Hamas tötet drei israelische Soldaten.« Während Palästinenser häufig im Passiv sterben: »Fünf Palästinenser bei Explosionen im Gazastreifen ums Leben gekommen.« Die Erzählung beginnt im Grunde auch immer mit dem 7. Oktober. Davor gab es quasi keinen Nahostkonflikt, wenn man den Berichten vieler Medien Glauben schenkt.
Wie kommt es, dass Journalisten diese Vorgeschichte nicht kennen oder andere Quellen nicht benutzen?
Die proisraelische Schieflage ist bei allen großen Medien nachzuweisen, ob Bild, »Tagesschau«, Süddeutsche oder Taz. Bild ist schon mit Abstand am schlechtesten. »Tagesschau« ist auch eine Katastrophe.
Sie reden oft über die mediale Entmenschlichung der Palästinenser. Wie kommt diese zustande?
Zum Beispiel, indem nur über Zahlen berichtet wird. Wobei Todeszahlen immer wieder in Frage gestellt werden. Wenn man Bilder aus Gaza sieht, fehlen da oft Menschen. Es sind riesige Trümmerwüsten. Eine Ausnahme ist vielleicht noch, wenn es »getötete Terroristen« sind wie Sinwar. Der war ganz prominent in den Medien.
Sind die Journalisten eher von der Staatsräson überzeugt oder bekommen sie Druck von ihren Chefs?
Viele sind wirklich überzeugt. Es gibt diese Vorstellung, dass Israel an unserer Stelle die westlichen Freiheiten gegen die islamische Barbarei verteidigt. Und dann gibt es die vielen, die es eigentlich besser machen würden, aber Angst davor haben. Man landet schnell als Antisemit in der Bild-Zeitung. Man bekommt sehr schnell Stress mit dem Vorgesetzten bei dem Thema. Viele trauen sich nicht, gute Berichterstattung zu machen. Das ist eines der größten Probleme unseres Nahostjournalismus.
Inwiefern macht sich der mitschuldig am Genozid in Gaza?
Zur Kriegführung gehört nicht nur, Bomben zu werfen und Artilleriegeschosse abzuschießen, sondern auch Propaganda. Die beginnt damit, Orte als Angriffsziele zu markieren. Nehmen wir die Zerstörung des palästinensischen Gesundheitssystems in Gaza. Die begann mit Schlagzeilen wie »Hamas-Kommandozentrale unter Krankenhaus vermutet« – oder auch oft als Tatsache präsentiert. Sehr viele Medien haben unkritisch diese Zuweisung übernommen. Dadurch haben sie dazu beigetragen, diese zu schützenden Einrichtungen in legitime Angriffsziele umzudeuten.
Sollten Medienschaffende dafür zur Verantwortung gezogen werden?
Auf jeden Fall. Jeder, der sich an diesem Krieg, diesem Genozid beteiligt, macht sich mitschuldig. Ob das jemals passieren wird, da bin ich skeptisch.
Fabian Goldmann ist Islamwissenschaftler und Journalist
Video zum Gespräch: kurzelinks.de/jw-fabian-goldman
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