Brüchige Waffenruhe
Von Wiebke Diehl
Das kann US-Präsident Donald Trump gut: Reden halten mit – realitätsfernen – Superlativen. Es sei ein »historischer Aufbruch für den neuen Nahen Osten«, und »dauerhafte Harmonie« werde einkehren, behauptete Trump am Montag vor der israelischen Knesset. Mehr noch: »Die Sonne« gehe »über einem heiligen Land auf, das endlich Frieden gefunden hat«. Auch der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, der seit zwei Jahren den Völkermord im Gazastreifen verantwortet und dessen Regierung die Annexion des Westjordanlands plant, meinte, er strecke seine Hand all jenen aus, »die Frieden mit uns anstreben«. Zudem schlägt er vor, dass Trump als erster Nichtisraeli mit dem Israel-Preis, der höchsten Würdigung des Landes, ausgezeichnet wird. Ebenfalls vor der Knesset forderte Trump von Präsident Isaak Herzog, Netanjahu im Korruptionsprozess zu begnadigen.
Um kurz vor 11 Uhr hatte das israelische Militär bestätigt, alle 20 lebenden israelischen Gefangenen seien in Empfang genommen worden. Etwas später berichteten die Nachrichtenagenturen AFP und AP, mehrere Busse hätten das israelische Gefängnis Ofer im besetzten Westjordanland verlassen. Gemäß der Waffenruhevereinbarung soll Israel rund 1.700 aus dem Gazastreifen entführte Gefangene und rund 250 zu teils lebenslangen Haftstrafen verurteilte Palästinenser freilassen. Am Montag sollten sterbliche Überreste von vier der 28 toten Geiseln übergeben werden. Dies veranlasste Israels Verteidigungsminister Israel Katz bereits von einem »groben Verstoß gegen das Abkommen« zu sprechen.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) behauptete im ägyptischen Scharm Al-Scheich, der Krieg in Gaza sei zu Ende. Allerdings gaben die Gesundheitsbehörden im Gazastreifen bekannt, dass weitere 63 Palästinenser getötet wurden. Damit steigt die offizielle Todeszahl nach zwei Jahren auf 67.869; Experten halten die Zahl für deutlich zu niedrig. Amtlichen Angaben zufolge wurden 170.105 Menschen verletzt.
Zudem wurde Trump am Nachmittag in Scharm Al-Scheich erwartet – wie auch UN-Generalsekretär António Guterres, der französische Präsident Emmanuel Macron, die Regierungschefs aus Großbritannien, Italien und Spanien, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan sowie zahlreiche arabische Staats- und Regierungschefs. Auf dem »Friedensgipfel« genannten Treffen soll es um die noch nicht ausverhandelten Punkte in Trumps »Friedensplan« gehen – darunter die vermeintlich beschlossene Entwaffnung der Hamas und der Wiederaufbau des Gazastreifens. Wie die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas erklärte, beansprucht die EU einen Platz im sogenannten Friedensrat unter Vorsitz Trumps, der eine Überwachungsfunktion über eine künftige Übergangsregierung im Gazastreifen ausüben soll.
Entgegen früherer Aussagen aus Ägypten sollte Netanjahu nicht an dem Gipfeltreffen teilnehmen. Sein Büro begründete dies mit dem »Zeitdruck« vor dem jüdischen Feiertag Simchat Tora (Freude der Tora). Auch Vertreter der Hamas werden nicht nach Ägypten reisen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (15. Oktober 2025 um 12:38 Uhr)Dass nicht alle toten israelischen Geiseln auffindbar sind, sollte bei dem Ausmaß der angerichteten Zerstörung eigentlich nicht verwundern. Israel war Oktober 2023 angetreten, die Hamas komplett zu vernichten. Jetzt aber der Hamas vorzuwerfen, sie würde nicht 100prozentig funktionieren und trotz des kriegerischen Chaos nicht alle – teils vielleicht auch von anderen palästinensischen Organisationen oder von sonstigen unbekannten Mitläufern – Entführten lokalisieren, das ist doch sehr halbseiden, das ist zumindest ein Eingeständnis, dass Israel sein Kriegsziel der Hamas-Liqudierung komplett verfehlt hat. Wenn Katz da von einem »groben Verstoß gegen das Abkommen« spricht, ist er entweder realitätsblind (kann er die Folgen der israelischen Bomben wirklich nicht sehen?) oder er sucht eine Ausrede für die Fortsetzung des Krieges. Auch Merz zeigt sich realitätsblind, wenn er sagt, der Gaza-Krieg sei zu Ende. Das ist entweder Wunschdenken, Zweckoptimismus oder eine taktische Lüge, um seine Forderung nach einem Ende propalästinensischer Kundgebungen zu stützen. Der Glaubwürdigkeit der westlichen Politik wird damit aber wieder einmal ein heftiger Stoß versetzt.
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