Bis zum Wärmetod der Erde
Von Peter J. Plath und Ernst-Christoph Haß
Vor über 100 Jahren wurden von den Physikern Hermann von Helmholtz, Rudolf Clausius, Max Planck und Walther Nernst die drei Hauptsätze der Thermodynamik gefunden, die alle mit Energie und Wärme verbundenen Prozesse auf dieser Erde bestimmen – und damit auch das Klima. Insbesondere beschreibt Clausius die Wirkung der Wärme durch die Disgregation der Stoffe, also ihre Zerteilung bzw. Zerstreuung. Für feste Stoffe entspricht dies der Lösung ihres inneren Zusammenhangs, also auch der Zerstörung eines Festkörpers bzw. des Übergangs in den flüssigen Zustand beim Schmelzen. Bei flüssigen und gasförmigen Stoffen entspricht die Disgregation der Ausdehnung, also der Vergrößerung des Volumens. Die Wärme hingegen beinhaltet die Verteilung der Energie auf alle möglichen Bewegungsformen der Stoffe in ihrer jeweiligen Disgregation bzw. Zerteilung.
Beim Schmelzprozess ändert sich die Temperatur des Stoffes nicht, obwohl ihm ständig Energie zugeführt wird. Setzt man diese Energie ins Verhältnis zur Temperatur, erhält man als Maß der Disgregation/Zerstreuung die Entropie. Umgekehrt wird dieselbe Energie wieder freigesetzt, wenn die Flüssigkeit gefriert. Dazu muss ihr die Entropie wieder entzogen werden, was aber nur mit einem zusätzlichen Energieaufwand möglich ist. Das ist jedermann völlig verständlich, wenn er daran denkt, dass ein zerstörtes Objekt nur mit einem großen zusätzlichen Arbeits- und Energieaufwand wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückgeführt werden kann. Bezogen auf den Verdampfungsprozess, etwa bei Wasser, verhält es sich ähnlich.
Als Beispiel für die Entropieerzeugung führt Clausius das Ausströmen eines Gases in ein Vakuum an. Dieser Prozess der Disgregation des Gases verläuft unumkehrbar und spontan. Die Entropie wird dabei vermehrt. Man wird nie beobachten, dass sich ein Gas von einem größeren Volumen auf ein kleineres Volumen freiwillig und vollständig zurückzieht. Nur mit Aufwand von Arbeit bzw. zusätzlicher Energie lässt sich das Volumen wieder verringern. Diese Beispiele entsprechen dem von Clausius entdeckten zweiten Hauptsatz der Thermodynamik – alle bekannten realen Prozesse sind praktisch unumkehrbar. Dies gilt ganz allgemein, unabhängig vom Objekt oder Material des betrachteten Prozesses.
Einziger Zweck: Zerstörung
Der Zweck des Einsatzes von Explosivmunition ist die vollständige Zerstörung des Zielobjektes. Ein aktuelles Beispiel ist der Einsatz bunkerbrechender Bomben mit 2,6 Tonnen Sprengstoff zur Zertrümmerung der Urananreicherungsanlagen des Irans im Juni 2025. Eine Tonne TNT-Äquivalent zerstört ein Gebäude von zehn mal zehn mal zehn Metern (1.000 Kubikmeter) völlig. Wenn auch nur ein Kubikzentimeter davon in Feinstaubteilchen von 0,01 bis 0,1 Millimeter Größe zerstäubt wird, dann entstehen dabei eine Milliarde bzw. eine Million Feinstaubpartikel. Der damit verbundene Umweltschaden ist nicht nur die Zerstörung an sich, sondern vor allem die damit einhergehende Entropiezunahme.
Bei der Zerstörung von Städten infolge der Flächenbombardements im Zweiten Weltkrieg oder von Mariupol im Ukraine-Krieg oder des Gazastreifens wird aber deutlich mehr als ein Kubikzentimeter festes Material in Feinstaub zerlegt. Erzeugt werden dabei neue, menschengemachte Wüsten, und das ist mit einer ungeheuren Entropieerzeugung verbunden.
Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass bei der großen Wucht der heutigen Explosivmunition nicht nur Feinstaub, sondern auch Ultrafeinstaub von ein bis zehn Nanometern Größe, auch Schwebstaub genannt, entsteht. Er bildet die kleinste Fraktion des Feinstaubs. Da sich dieser Schwebstaub bei Explosionen über viele Kilometer hin ausbreitet und auch in höhere Luftschichten gelangt, spielt die mit seiner Ausbreitung verbundene Entropiezunahme eine wesentliche Rolle. Die Entropie, die mit der Erzeugung und der Verbreitung von Schwebstaub verbunden ist, hat sich gegenüber der des Feinstaubs um mehr als das Zehnmilliardenfache vergrößert, was vor allem durch die starke Vergrößerung der Teilchenzahl bedingt ist. Da dieser Schwebstaub in die oberen Schichten der Atmosphäre gelangt, kann er über viele tausend Kilometer transportiert werden, ähnlich wie der Saharastaub.
Der feste Sprengstoff Trinitrotoluol (TNT) steht auch heute noch stellvertretend für viele Explosivstoffe in Bomben und Granaten. Durch Zündung oder Aufprall von Munition wird eine Schockwelle im Sprengstoff erzeugt, die zu einer Verzerrung im Kristallgitter führt. Dabei reagieren benachbarte TNT-Moleküle miteinander ohne Sauerstoff von außen. Aus zwei Molekülen TNT entstehen dabei 14,5 Moleküle als Reaktionsprodukte. Das ist eine starke chemische Zerstörung der TNT-Moleküle, bei der viel Energie in Form von Wärme und großer Druck entsteht, was einer hohen Entropieproduktion entspricht. Bei diesem Reaktionsgeschehen handelt es sich um eine Detonation, also eine Explosion, bei der die Ausbreitung der chemischen Reaktion im Sprengstoff mit einer Stoßwelle gekoppelt ist.
Bei der Explosion hat der Sauerstoff der Luft Zugang zu den entstandenen Reaktionsprodukten, was zu einem großen, sich ausdehnenden Feuerball und einer vorgelagerten Druckwelle mit Temperaturen bis zu 2.000 Grad Celsius führt. Der heiße Feuerball sendet eine gefährliche Wärmestrahlung aus, die sich mit Lichtgeschwindigkeit kugelförmig ausbreitet. Alles Brennbare in ihrer Nähe, also auch Menschen, Tiere und Pflanzen, wird durch die Strahlung unmittelbar verbrannt. Die Wärmestrahlung besteht wie das sichtbare Licht aus einzelnen Photonen und kann aus physikalischer Sicht als Photonengas ähnlich wie ein normales Gas betrachtet werden. Ihre Ausbreitung ist demnach ebenfalls mit einer Vergrößerung der Entropie verbunden, die der dritten Potenz der Temperatur, bei der die Strahlung entsteht, proportional ist.
Verwüstung der Erde
Der Zweck aller Bomben und Granaten ist, dass sie irgendwann eingesetzt werden können. Auch wenn sie »nur« zur Abschreckung dienen sollen, sind ihre Produktion, ihre Aufbewahrung bzw. Instandhaltung, aber auch ihre Demontage mit einer großen Entropieerzeugung, also mit einer Entwertung der dafür eingesetzten Energie und einer Verwüstung weiter Teile der Erde, sowie hohen Kosten verbunden.
All diese Prozesse sind unumkehrbar. Das führte im 19. Jahrhundert dazu, dass große Physiker wie Clausius zu der Überzeugung gelangten, dass die Entwicklung im Weltall letztlich zu einem endgültigen Gleichgewichtszustand führen würde, den sie als Wärmetod bezeichneten. Das Weltall betreffend, ist diese Schlussfolgerung mit Sicherheit unzutreffend. Betrachten wir aber nur unsere Erde, die den Energie- und Entropieströmen durch die Wärmestrahlung der Sonne ausgesetzt ist und selbst wieder Energie und Entropie in den Weltraum exportiert, dann kann sich hier ein Gleichgewicht einstellen. Die Entropieströme richten sich nach der Temperatur der Oberflächen der beiden abstrahlenden Gestirne.
Um das Leben auf der Erde zu erzeugen und zu erhalten, muss die dabei produzierte Entropie abgeführt werden. Die Entropieabführung ist aber durch die Oberflächentemperatur der Erde, insbesondere die Temperatur ihrer Atmosphäre in 90 Kilometern Höhe, begrenzt. Erzeugen wir nun auf der Erde durch unsere menschliche Tätigkeit, beispielsweise übermäßige Produktion und Kriege, mehr Entropie, als pro Zeiteinheit ins All abgeführt werden kann, dann heizen sich die unmittelbare Erdoberfläche und die unteren Schichten der Atmosphäre auf.
Auf der Erdoberfläche äußert sich die verbleibende Entropie in Form fortschreitender Verwüstung und in der Atmosphäre durch Klimaerwärmung und durch veränderte Wetterphänomene wie zunehmende Hitzewellen, Starkregen und extreme Stürme. Wir sind Zeugen des Aussterbens vieler Lebewesen und Arten. In der Tradition von Helmholtz, Clausius und Wilhelm Ostwald kann man sagen, dass es auf die weltweite Beachtung der stofflichen, energetischen und entropischen Bilanz ankommt, um das Leben auf der gesamten Welt zu erhalten. Kriege sind daher unbedingt zu beenden, in Zukunft zu vermeiden und durch diplomatische Konfliktlösungen zu ersetzen.
Peter J. Plath ist Chemiker und ehemaliger Professor der Universität Bremen. Ernst-Christoph Haß ist Chemiker und war langjähriger Software-Ingenieur in der Industrie.
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