Razzia im Ersten Revier
Von Kristian Stemmler
Das Erste Polizeirevier in Frankfurt am Main ist nicht zum ersten Mal in den Schlagzeilen. Allein die Verwicklung in den »NSU 2.0«-Komplex sorgte bereits für unerwünschte Aufmerksamkeit. Am Freitag war es erneut soweit: Am frühen Morgen schwärmten rund 150 Beamte im Auftrag der Frankfurter Staatsanwaltschaft und des hessischen Landeskriminalamts (LKA) aus, durchsuchten das Revier, drei weitere Dienststellen und 21 Privatwohnungen. 17 Polizisten des Reviers wird unter anderem Körperverletzung im Amt vorgeworfen. Bei den Opfern handelt es sich um sechs Männer, die bei Festnahmen misshandelt wurden.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft sind zwei der Opfer in Syrien geboren, aber staatenlos. Zwei weitere haben die deutsche Staatsangehörigkeit, zwei die algerische. Die Beschuldigten sollen im Zeitraum von Februar bis Ende April 2025 diesen sechs Männern »unberechtigt körperlichen Schaden« zugefügt oder »dies geduldet und die Taten nicht angezeigt« haben, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit. Die Männer seien geschlagen und getreten worden, präzisierte der Sprecher der Staatsanwaltschaft Frankfurt, Dominik Mies, gegenüber dpa. In einem Fall soll ein Geschädigter eine Treppe hinuntergestoßen worden sein. Die Opfer, die mit Anzeigen die Ermittlungen in Gang setzten, hätten Schürfwunden, Prellungen im Gesicht und in einem Fall auch einen Nasenbeinbruch erlitten. Bei den Ermittlungen hätten sich bisher keine Hinweise auf ein »extremistisches« oder rassistisches Motiv ergeben, sagte der Sprecher.
Die Übergriffe ereigneten sich den Angaben zufolge zum Teil auf dem Polizeirevier, zum Teil an anderen Orten. Bodycams der Beamten oder Überwachungskameras vor Ort hielten einige der Taten fest. Bei den Tatverdächtigen wurden am Freitag diverse Mobiltelefone und Datenträger sichergestellt. Mehrere der betroffenen Polizisten sollen ihren Opfern Widerstand unterstellt oder ihnen tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte angedichtet haben, um die Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Die Ermittlungen richten sich gegen fünf Polizeibeamtinnen und zwölf Polizeibeamte im Alter zwischen 24 und 56 Jahren, die im Streifendienst und in führenden Positionen eingesetzt waren. Ermittelt wird nicht nur wegen Körperverletzung, sondern auch wegen Verdachts der Strafvereitelung im Amt sowie der Verfolgung Unschuldiger.
Der Frankfurter Polizeipräsident Stefan Müller sorgt sich angesichts der Vorgänge vor allem um den Rufschaden für seine Institution. »Die im Raum stehenden Vorwürfe sind sehr gravierend«, erklärte er in einer Mitteilung vom Freitag. Es folgte verbale Schadensbegrenzung: Die körperliche Integrität »jeder einzelnen Person in staatlichem Gewahrsam« sei zu wahren. Polizisten, die in solchen Situationen Körperverletzungen im Amt begingen, verletzten »den Kernbereich ihrer Dienstpflichten«. Die Verdachtslagen gegen die Polizistinnen und Polizisten gefährdeten »das Ansehen unserer Polizei«.
Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) kündigte in einer Mitteilung an, dass gegen alle 17 Beschuldigten Disziplinarverfahren eingeleitet würden. Weiter sei beabsichtigt, in sechs Fällen »aufgrund besonders gravierender Vorwurfslagen unverzüglich das Verbot des Führens der Dienstgeschäfte auszusprechen«. Nach aktuellem Stand konzentrierten sich die Vorwürfe auf eine Dienstgruppe des Ersten Polizeireviers, erklärte der Minister. Diese werde »komplett neu aufgestellt«. Zudem werde die Spitze des Ersten Polizeireviers ausgewechselt, auch wenn es derzeit »keinerlei Anhaltspunkte für eine Vorwurfslage gegen die bisherige Revierleitung gibt«, sagte Poseck.
Das Erste Polizeirevier war 2018 in den Fokus geraten, weil Beamte in der Chatgruppe »Itiotentreff« Darstellungen von Adolf Hitler, Hakenkreuze und ähnliches ausgetauscht hatten. Schlagzeilen machten auch Ermittlungen gegen Beamte des Reviers wegen einer möglichen Verwicklung in die »NSU 2.0«-Affäre. Seit August 2018 waren Drohschreiben mit rechten Inhalten per Fax, E-Mail oder SMS an zahlreiche Personen des öffentlichen Lebens verschickt worden. Von einem Dienstcomputer des Reviers waren damals persönliche Daten der Frankfurter Rechtsanwältin Seda Başay-Yıldız abgerufen worden.
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