Politik in der Pflicht
Von Jens Walter
Junge Leichtathletinnen werden von Trainern bedrängt und sexuell belästigt. Spitzenturnerinnen berichten von systematischer körperlicher und emotionaler Gewalt an mehreren großen Stützpunkten. Medien decken auf, dass in den vergangenen Jahren Hunderte Kinder und Jugendliche in Deutschland Opfer von sexualisierter Gewalt durch Fußballtrainer wurden. Wie können junge Sportlerinnen und Sportler besser davor geschützt werden?
Immer mehr Verantwortliche und Experten sprechen sich für eine Datenbank für Coaches und Betreuer aus. »Ich befürworte ausdrücklich die Forderung nach einem bundesweiten Trainerregister«, sagt Kerstin Claus, die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen.
Vereinen müsse es möglich sein, sich bei vorherigen Stationen über Trainer und Trainerinnen zu informieren, »um ausschließen zu können, dass Ursache für den Wechsel mutmaßliche Grenzverletzungen waren«, so Claus gegenüber dpa. Bislang gehe das vor allem aus Datenschutzgründen nicht. Da müsse ein Umdenken erfolgen: »Denkbar wäre hier eine entsprechende Entbindung von der Schweigepflicht.« So könne verhindert werden, dass Täterinnen und Täter weiter Zugang zu minderjährigen Sportlerinnen und Sportlern bekommen. »In einem Trainerregister könnten Vereine zudem einsehen, ob es in der Vergangenheit Vorfälle gab.«
In den vergangenen Jahren hatten Berichte über Missbrauch etwa im Fußball, im Turnen, in der Leichtathletik oder im Schwimmen immer wieder für Empörung gesorgt. In einer ZDF-Dokumentation berichtete unter anderem eine deutsche Topleichtathletin, dass sie im Alter von 17 Jahren Liebesbriefe von einem Coach bekam, der Ende 40 war. Der Trainer habe sie zudem mit anzüglichen, sexuellen Kommentaren unter Druck gesetzt.
Deutsche Weltklasseturnerinnen wie Tabea Alt hatten Ende Dezember 2024 öffentlich gemacht, dass sie im Stuttgarter Kunstturnforum »systematischem körperlichem und mentalem Missbrauch« ausgesetzt waren. Recherchen der Investigativplattform Correctiv und des Magazins 11 Freunde zeigten, wie junge Fußballerinnen und Fußballer sexualisierte Gewalt durch Trainer und Betreuer erlebten. Diese reichten von geheimen Filmaufnahmen über Mobbing und Bodyshaming bis zu Berührungen im Intimbereich und Vergewaltigungen.
Was viele Fälle gemeinsam haben: Täterinnen und Täter waren – sofern sich die Opfer meldeten – strafrechtlich nicht zu belangen. Und Verdachtsfälle werden zwischen den Vereinen oder Verbänden nicht geteilt, wie DFB-Vizepräsidentin Silke Sinning Correctiv schildert: »Die gesetzlichen Rahmenbedingungen machen es derzeit nahezu unmöglich, Warnhinweise weiterzugeben.« So könnten rausgeworfene Trainer anderswo weitermachen.
»Datenschutz vor Kinderschutz, das ist Täterschutz«, betont Julia Gebrande, Vorsitzende der Unabhängigen Kommission des Bundes zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs, im Gespräch mit der Zeit. Die Vereinigung Athleten Deutschland hofft auf eine gezielte datenschutzrechtliche Ausnahmeregelung, die es dem geplanten Zentrum für Safe Sport in klar definierten Fällen ermöglicht, relevante Informationen über Verdachtsfälle rechtssicher weiterzugeben. »Damit ein solches Täterhopping in Zukunft eingedämmt werden kann, muss die Politik handeln und die Voraussetzungen für eine rechtssichere Weitergabe von Daten schaffen«, sagte Geschäftsführer Johannes Herber in einer Reaktion auf die ZDF-Reportage zu den Fällen in der Leichtathletik.
Der Tenor von Expertinnen und Athleten: Die Politik ist am Zug – und konkret das Kanzleramt. Ein Sprecher des dort angegliederten Staatsministeriums für Sport sagte auf dpa-Anfrage: »Es braucht eine von den verbandsinternen Strukturen losgelöste unabhängige Stelle, an die sich Betroffene im Bedarfsfall wenden können und die die Vorwürfe interpersonaler Gewalt untersucht.«
Genau dafür wird ein sogenanntes Zentrum für Safe Sport aufgebaut, der Plan dafür steht sogar im Koalitionsvertrag. Dieses Zentrum soll dann nicht nur beraten, sondern auch kontrollieren und sanktionieren dürfen. »Wir möchten die Rahmenbedingungen für einen sicheren und gewaltfreien Sport – auch unterhalb der Strafbarkeitsschwelle – stärken«, sagte der Ministeriumssprecher. Missbrauchsexpertin Gebrande meint: »Wenn Betroffene ein Recht auf Aufarbeitung haben, müssen Vereine dazu verpflichtet werden, aufzuarbeiten. Es wäre gut, wenn das jetzt schnell kommt und finanziert wird.«
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