Lehrreich langweilig
Von Niki Uhlmann
Weniger als zehn Minuten braucht »A Big Bold Beautiful Journey«, um dem Zuschauer unmissverständlich klarzumachen, dass eine Schnulze folgt. Zwei Singles, der von Colin Farrell gespielte David Lonely – er heißt wirklich so – und die von Margot Robbie gespielte Sarah – sie wird mittels roten Abendkleids als Subjekt der Begierde eingeführt –, werden sich verlieben, soviel ist klar. Warum auch nicht? Beide sehen gut aus, beide sind einsam. Da sie aber zunächst ihre ungesunden Bindungsmuster ändern müssen, dauert das mehr als zwei Stunden. Charakterentwicklung und Anbandeln werden ihnen aufgezwungen – von der künstlichen Intelligenz (KI) einer zwielichtigen Autovermietung.
Selbstverständlich lernen sie sich auf einer Hochzeit kennen. Zum Schreien, wie David, dem seine Eltern vor der Anreise noch geraten hatten, »offen« zu sein, herumdruckst, als Sarah ihn zum Tanzen auffordert. Die Nacht verbringt sie mit einem anderen Mann. Hier wäre die Geschichte im echten Leben beendet. Am nächsten Morgen schaltet sich jedoch die KI ein und manövriert die beiden »auf eine große, mutige und schöne Reise« – zum selben Diner. Sie bittet um ein Date. Doch David druckst wieder so dasig, dass die KI nachhelfen muss, Sarahs Wagen kurzerhand lahmlegt und beide endlich auf die titelgebende Reise schickt.
In malerischen, in symmetrischen Bildern handwerklich gut eingefangenen Szenerien warten magische Türen, die sie in entscheidende Momente zurückversetzen. Gemeinsam durchleben sie, wie er seine erste Liebe beichtet und abgewiesen wird, wie sie die Chance bekommt, statt ihren Professor zu vögeln, im Krankenhaus Abschied von ihrer verstorbenen Mutter zu nehmen, wie sie sich im selben Café von ehemaligen Partnern trennen. Schneller kann man einander nicht näherkommen. Hier und dort funkt es, so dass nach der halben Laufzeit auf einer Anhöhe, von der die Erde wie vom Mond aus in Gänze bestaunt werden kann, endlich Lippen aufeinandergepresst werden. Hurra.
Entscheidender sind die Selbsterkenntnisse. David gesteht sich ein, dass er allein unglücklich ist, verinnerlicht, dass ihm seine aufgesetzte Abgeklärtheit schadet, lernt, dass er sich verletzlich machen muss. Sarah lernt das Gleiche, nachdem sie sich ihre vorangegangenen Fehltritte verziehen und darum eingesehen hat, dass sie aus ihrer wiederholten Untreue nur ausbrechen kann, wenn sie das Risiko einer neuen Beziehung eingeht. Da ein retardierendes Moment in einem guten Drehbuch nicht fehlen darf, kriegen sie ob ihrer wiedergefundenen Verletzlichkeit aber kurz kalte Füße. Wohl wissend, dass sie in ihrer Komfortzone niemals glücklich werden und von der KI eben nicht »nach Hause«, sondern zwecks schlagender Erkenntnis in ihre jeweiligen Elternhäuser dirigiert, finden sie letztlich zueinander.
Die Dialoge sind weder lustig noch originell. Der Film versucht allem magischen Realismus zum Trotz lebensnah zu sein und eine lehrreiche Liebesgeschichte zu erzählen. Glänzen tut er allerdings dort, wo es surreal wird. So sitzen die beiden Beschäftigten der schlicht »Car Rental Company« genannten Autovermietung in einem völlig überdimensionierten Hangar, wo sie Fotos von David aufbewahren, die er nie gesehen hat und die ihm skurrile Tipps zum Öffnen skurriler Türen geben.
Noch während im Abspann »The Risk« von Laufey läuft, drängt sich die Frage auf, warum David und Sarah einen derart realitätsverzerrend mystischen Ausnahmezustand gebraucht haben, um sich selbst zu reflektieren. Hat ihnen niemand zur Therapie geraten, zum Sichversenken in die eigene Geschichte? Soll man bei diesem Film ins Schwärmen geraten, darauf hoffen, dass eine Maschine erfunden wird, die einem die Bürde, ein anständiger Partner zu werden, abnimmt? Sicher ist man nach der Vorführung, dass man »A Big Bold Beautiful Journey« nicht gesehen haben muss. Immerhin eine Lehre.
»A Big Bold Beautiful Journey«, Regisseur: Kogonada, USA 2025, 109 Min., Kinostart: heute
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