Entflechten heißt zerschlagen
Von Ralf Wurzbacher
In der Stunde, als Patrick Schnieder (CDU) in Berlin die Revolution bei der Deutschen Bahn (DB) ausrief, tobten real die Kräfte der Restauration. Ein Oberleitungsschaden bei Uelzen hatte am Montag den Verkehr in Norddeutschland weitgehend zum Erliegen gebracht. Und während frustrierte Reisende auf Bahnhöfen und in vollgepferchten Zügen kauerten, deklamierte der Bundesverkehrsminister vor der Hauptstadtpresse: »Die Bahn ist für die Menschen da!« Nicht nur das lässt erahnen, dass hier einer den Mund ziemlich voll genommen hat. Was verheißt Schnieders zu Wochenanfang präsentierte »Agenda für zufriedene Kunden auf der Schiene« nicht alles? Zurück zum Kerngeschäft, Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, abgespeckte Apparate, Milliardeninvestitionen, kurzum: »der Konzern muss schneller, schlanker und wirtschaftlicher werden«. Man wünscht sich, der Mann meinte es ernst damit.
Das freilich ist nicht sicher, und wäre dem doch so, dürfte es viele geben, die den Kurs nicht mitgehen wollen. Die DB hat sich seit der sogenannten Bahnreform und Quasiprivatisierung 1994 zu einem Staat im Staate ausgewachsen. Bei noch knapp 150 Tochterfirmen mit durch üppige Gehälter und Boni versorgtem Management gäbe es bei einem Großreinemachen für etliche Profiteure allerhand zu verlieren. Hinzu kommt, dass zwischen den Einzelgesellschaften ein sogenannter Kontrahierungszwang besteht, also die Verpflichtung, Leistungen konzernintern einzukaufen, zu marktunüblichen und völlig überteuerten Preisen. Das ist Teil eines Systems von Quersubventionierungen in großem Stil. Die zu Jahresbeginn 2024 neu aufgesetzte Ingrastruktursparte Infra-GO sollte eigentlich sämtliche Erträge »gemeinwohlorientiert« in die Ertüchtigung des Netzes stecken. Tatsächlich agiert sie wie ehedem, von der Konzernholding beherrscht, als Gewinnmaximierungsverein, der hilft, Löcher an anderen Stellen zu stopfen.
Nun also scheucht Schnieder seine Putzkolonne durch den Laden. »Wir räumen auf«, kündigte die neue Vorstandsvorsitzende Evelyn Palla an, die am Dienstag vom DB-Aufsichtsrat als Konzernchefin bestätigt wurde (siehe Spaltentext). Sie folgt auf Richard Lutz, den der Minister schon Mitte August degradiert hatte und der zur langen Reihe von Bahn-Chefs gehört, die mit der Eisenbahn nichts am Hut hatten, sich lieber als Autobahn- und Luftfahrtspediteure betätigen, in Auslandsabenteuer stürzten, derweil sie den Inlandsbetrieb nachhaltig kaputtsanierten. Das alles wirkte wie bestellt durch jene, deren Mission die Zerschlagung der Bahn ist und die bei einem fortgesetztem Verfall leicht reden haben, dass mit einer Privat-DB alles besser wird. Davon ist seit geraumer Zeit wenig zu hören, was aber nichts heißen muss. Jedenfalls argwöhnt »Bahn für Alle«, dass sich hinter dem Begriff »Entflechtung«, der auch in Schnieders Konzept insbesondere im Umgang mit der Infra-GO als Maßnahme »im integrierten Konzern« zur Anwendung kommt, etwas anderes verbirgt. »Entflechten« sei das neueste Modewort für »Zerschlagen und das Gegenteil von Integration«, warnt das Bündnis.
Es bleibt abzuwarten, wie Palla künftig die DB führt. Sie startet mit Vorschusslorbeeren und schwarzen Zahlen als bisherige DB-Regio-Chefin im Gepäck. Außerdem weiß sie, wie man eine Lok fährt, mit echtem Führerschein. Vor allem an der avisierten Reform der Trassenentgelte werden sich Schnieder und seine Neue messen lassen müssen. Mit ins Horrende hochgetriebenen Nutzungsgebühren hat die Infra-GO immer mehr Personen- und Frachtverkehr von der Schiene verdrängt und so das Projekt »Klimabahn« ab absurdum geführt. Eine Mitschuld trifft auch den Bund, der die Bahn mit Kapitalspritzen – statt Zuschüssen – wegen der fälligen Verzinsung zu mehr Rendite nötigt, was die mit höheren Trassen- und Ticketpreisen sowie Abstrichen bei den Leistungen erledigt.
Erst vor zwei Wochen war ein internes DB-Papier ans Licht gekommen, das eine Vielzahl an Streckenstreichungen vorsieht, womit mehrere größere Städte vom Fernverkehr abgeschnitten würden. Zu diesen Plänen hat Schnieder am Montag nichts gesagt. Dafür das: »Mehr und fairer Wettbewerb auf dem Schienennetz.« Das muss nichts Gutes bedeuten.
Hintergrund:
Rompf raus
Druck wirkt. Nach heftiger Kritik der Gewerkschaft EVG verzichtet Dirk Rompf auf den Chefposten bei der DB-Infrastruktursparte InfraGo, wie er am Donnerstag dem Verkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) und der neuen Bahnchefin Evelyn Palla mitteilte. Schon am Montag, als Schnieder seine Kandidatin für den Chefsessel bei der Deutschen Bahn vorstellte, meldete sich die EVG mit einer Protestnote zu Wort. In einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz verkündete Verbandschef Martin Burkert, man missbillige das Personalpaket des Verkehrsministers und werde im DB-Aufsichtsrat gegen die Bestellung von Evelyn Palla votieren. Gesagt, getan: Bei der Gremiumssitzung am Dienstag verweigerten ihr mehrere Beschäftigtenvertreter die Zustimmung, jedoch nicht alle. Die Lokführergewerkschaft GdL hatte im Vorfeld signalisiert, ihre Vertreter würden bei der Wahl mitgehen. Gleichwohl geriet das Ergebnis für die Neue zum Dämpfer. Zwölf Kontrolleure hoben, acht senkten den Daumen.
Das EVG-Votum sollte nicht als Abfuhr für Palla verstanden werden, sondern als Absage an Rompf, der von McKinsey kommend seit Anfang der 2000er-Jahre auf wechselnden Posten als DB-Manager tätig war. Unter anderem hat er maßgeblich bei der Anbahnung von »Stuttgart 21« mitgewirkt und später als Vorstandmitglied bei der DB Netz AG die Bereiche Netzplanung und Großprojekte verantwortet. Mit seinem damals demonstrierten Sparwahn sei er »mit Schuld an der heutigen Situation«, befand Burkert und weiter: »Der Weg nach vorne kann niemals durch die Vergangenheit führen.« Die Netz AG war die Vorgängerin der Infra-GO AG. Die Personalie Rompf ist damit erledigt. Wer den Job des InfraGo-Chefs künftig übernehmen wird, ist nun völlig offen. (rwu)
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